AUB-Gewerkschaft Ex-AUB-Chef Schelsky: Brachialer Charme

Wie der von Siemens gepäppelte Anti-Gewerkschafter Wilhelm Schelsky auch IOC-Vize Thomas Bach und hochrangige Aldi-Manager einwickelte.

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Fax von Aldi Nord zum Fall Schelsky

In kleiner Runde, so berichten Teilnehmer, machte Wilhelm Schelsky vor Jahren einen Scherz: „Um die AUB bundesweit richtig bekannt zu machen, müsste ich jemanden erschießen.“ Das war gar nicht nötig. Inzwischen ist die Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger berühmt – und berüchtigt: Die AUB ist jene Organisation, die Siemens heimlich zur Gegengewerkschaft wider unbequeme IG-Metall-Betriebsräte aufbauen wollte. Vielen Mitarbeitern gilt sie als Feind von innen, der Arbeitnehmern Unabhängigkeit nur vorgaukelte – tatsächlich kamen das Geld der Organisation und ihre Funktionärsgehälter nach dem Stand staatsanwaltlicher Ermittlungen großenteils von Siemens und in einem Fall von Aldi.

Miterdacht hat das perfide System der Verschleierung ein auf seine Art findiger Kopf: Schelsky, gegen den die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth wegen Steuerhinterziehung und Beihilfe zur Untreue ermittelt und der seit 15 Monaten in der Nürnberger Justizvollzugsanstalt in der Bärenschanzstraße in Untersuchungshaft sitzt.

Seither kam eine Menge ans Licht: Schelsky, der seine Karriere 1978 bei Siemens in Erlangen begann, soll über sein als Unternehmensberatung firmierendes Unternehmen über Jahre hinweg Millionenhonorare von Siemens kassiert haben, so die Anklagebehörde. Alles in allem geht es um rund 50 Millionen Euro – Geld, das nach den Ermittlungen der Staatsanwälte nicht Bezahlung für guten Rat war, sondern der AUB zugute kommen sollte, deren Vorsitzender er 23 Jahre lang war. Anklage wollen die Staatsanwälte in wenigen Wochen erheben. Der Prozess gegen Schelsky und Ex-Siemens-Zentralvorstand Johannes Feldmayer, der die Verträge mit Schelskys Unternehmensberatung unterschrieb, beginnt voraussichtlich im Herbst.

Vor Gericht werden die Millionen-Honorare von Siemens an Schelsky aufgearbeitet.

Vor Gericht werden die Millionen-Honorare von Siemens an Schelsky aufgearbeitet. Jenseits dieser Zahlungsströme gibt es aber noch viel mehr Fragen: Wie gelang es Schelsky, durchaus kritische Geister auf seine Seite zu ziehen und über die wirklichen Hintergründe seiner Organisation zu täuschen? Wie konnte der Sohn des renommierten Soziologen Helmut Schelsky mit seinem brachialen Charme versierte Strippenzieher wie den Vizepräsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Thomas Bach, und auch Manager von Aldi Nord für sich einnehmen?

Vieles davon erschließt sich auch engen Schelsky-Weggefährten erst nach und nach. Gottfried Linn etwa war Geschäftsführer der AUB. Doch von den Siemens-Geldströmen habe er „nichts gewusst“, beteuert er. Von den heute bekannten 50 Millionen Euro sei schätzungsweise weniger als ein Fünftel tatsächlich bei der AUB angekommen.

Auch dass Aldi Nord die Personalkosten des AUB-Handelsbeauftragten bezahlte, wussten, so bestätigt der Discountkonzern gegenüber der WirtschaftsWoche, zwar Aldi und Schelsky, nicht aber der betroffene AUB-Mann.

Dessen Name ist Mike Bubner. Auch er stellt sich heute viele Fragen: Wie ließ er sich einfangen, warum hat er Schelsky vertraut? Bubner wurde vor zehn Jahren AUB- Mitglied. Damals hatte er von Gewerkschaften eigentlich „die Nase voll“. Denn zu DDR-Zeiten war der 1967 Geborene erst als Vollmatrose der Handelsschifffahrt, dann als Reichsbahner „zwangsweise Mitglied im FDGB“, dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund. Nach der Wende wurde er Mitglied der Eisenbahner-Gewerkschaft, ohne jemals einen Aufnahmeantrag gestellt zu haben.

Dann baute die Bahn Personal ab, und Aldi suchte neue Leute für die Ost-Expansion. Bubner bewarb sich und stieg Mitte der Neunzigerjahre zum Filialleiter bei der Aldi-Regionalgesellschaft Hoyerswerda auf. Die gehört zu Aldi Nord, wo Arbeitnehmervertretungen Usus sind, anders als im betriebsratsfreien Aldi-Süd-Reich. 1996 trat Bubner bei der ersten Betriebsratswahl der Regionalgesellschaft an. Er wurde gewählt und Vorsitzender des Gremiums.

Anfangs lud Bubner Funktionäre der damaligen DGB-Handelsgewerkschaft HBV zu den Sitzungen ein, weil er „noch nicht mal wusste, wie man einen Betriebsrat organisiert“. Aber die HBV, fand Bubner, „wollte inhaltlich zu viel Einfluss nehmen“. So stieß er auf die AUB, besuchte deren Seminare und wurde 1998 Mitglied.

Über die Landesgeschäftsstelle in Dresden wurde AUB-Boss Schelsky auf den agilen Ossi aufmerksam. Im Frühjahr 2001 rief der Vorsitzende den damals 34-jährigen Bubner an. Schelsky reiste zu ihm nach Cottbus. Bubner war „begeistert von seinem Auftreten“. Schelsky duzte ihn, Bubner blieb respektvoll beim Sie und erfuhr, dass Schelsky ihn zum bundesweiten Handelsbeauftragten der AUB machen wollte. Für diese Perspektive gab der Umworbene seine aufgrund des Betriebsratsmandats unkündbare Aldi-Anstellung auf.

Was hinter den Kulissen lief, davon hatte er nach eigener Aussage „keinen Schimmer“. Den Wechsel Bubners hatte Schelsky mit Aldi-Verantwortlichen in Essen abgesprochen. Das heimliche Agreement bestätigt Aldi Nord. In einem zweieinhalbseitigen Fax heißt es, es sei „in der Tat zutreffend, dass Herr B. bis zum 08.04.2008 nur wusste, dass er vom 01.06.2001 bis zur Insolvenz der Schelsky Unternehmensberatung deren Angestellter war“. Der verschwiegene Discountgigant räumt ein, dass er – nachdem zunächst Schelskys Unternehmensberatung dafür aufgekommen war – die Kosten von Bubners AUB-Anstellung trug. Der habe davon nichts mitbekommen: „Wir wussten ja, dass Herr B. nur bei Unkenntnis dieses Umstands in der Lage war, sich (von uns) ‚frei‘ zu fühlen.“ Die Initiative für den Deal sei von Schelsky ausgegangen: „Er war es, der Herrn B. von uns abgeworben hat, um ihn für die AUB tätig werden zu lassen.“

Bubner reiste seitdem in seinem Opel-Zafira-Dienstwagen durch Deutschland, beriet Betriebsräte bei Hornbach, Ikea und natürlich bei Aldi und trat bei Betriebsratsseminaren auf. „Ich wurde sieben Jahre lang getäuscht“, sagt er heute. Zwar habe Aldi auf seine Arbeit keinen Einfluss zu nehmen versucht. Er habe „nichts zu vertuschen“. Dennoch weiß Bubner, dass seine Arbeit nun „im Nachhinein diskreditiert“ ist, weil es so aussieht, als habe er die Interessen der Kollegen verraten.

Dabei ist Bubner in ehrenwerter Gesellschaft: Auch Deutschlands wichtigster Sportfunktionär, Thomas Bach, der als ehemaliger Florettfechter jede Finte drei Meter gegen den Wind riechen müsste, war von Schelsky schwer beeindruckt. Wirtschaftsanwalt Bach ist auch Aufsichtsratsvorsitzender des weltgrößten Holzbearbeitungsmaschinenherstellers, der Michael Weinig AG, in der Fechterhochburg Tauberbischofsheim. 2001 wurde Schelsky Mitglied in diesem Gremium.

Warum, das kann Bach nicht so recht erklären. Schelsky, so Bach in einer Mail an die WirtschaftsWoche, sei ihm „als erfahrener Unternehmensberater“ empfohlen worden. Seltsam – denn Schelskys Unternehmensberatung diente ja nach den bisherigen Erkenntnissen der Staatsanwälte vor allem dazu, heimlich Siemens-Gelder einzunehmen. Als Beratungsgesellschaft dagegen war die Firma so gut wie unbekannt. Von wem also kam die Empfehlung? Darauf bleibt Bach die Antwort schuldig.

Tatsache ist, dass Bach wie Schelsky enge Verbindungen zu Siemens pflegten. Bach gehört dem Verwaltungsrat von Siemens in der Schweiz an und hat gute Kontakte zum Siemens-Zentralvorstand. Ein Beratervertrag Bachs mit Siemens Deutschland war hoch dotiert. Bachs Honorar – laut Medienberichten 400.000 Euro pro Jahr – hat der Konzern vor vier Wochen vorläufig ausgesetzt und lässt überprüfen, welche Leistungen den bisherigen Zahlungen gegenüberstanden.

Laut „Spiegel“ war es Schelsky, der Bach schon 1999 an Siemens empfahl, denn Bach habe „glänzenden Zugang zu fast allen Regierungen dieser Welt, da Besuche immer eine Mischung aus ehrenamtlicher Tätigkeit (IOC) und Interessenvertretung sind“. Bach hingegen besteht darauf, IOC-Amt und Eigeninteressen immer sauber auseinander zu halten. Er ließ sich jedenfalls – wie Bubner und Linn – von Schelsky einwickeln. „Ein äußerst intelligenter“ Mann, schwärmte der IOC-Vize 2007, ein „wirtschaftlich erfahrener Gesprächspartner.“

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