Richard Florida im Interview „Intolerante Orte sterben“

Wirtschaftswissenschaftler Richard Florida über die ökonomischen Vorteile offener Gesellschaften.

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WirtschaftsWoche: Herr Professor Florida, in Ihrem Buch „The Rise of the Creative Class“ vertreten Sie eine provokante These: „Je schwuler eine Stadt, umso offener ist sie – und wirtschaftlich umso erfolgreicher.“ Übertreiben Sie da nicht ein wenig? Florida: Klar, es gab heftige Reaktionen darauf. Wir haben aber in Studien herausgefunden, dass Leute von Regionen und Orten angezogen werden, die ein offenes Klima haben. Wir haben das für die USA und Schweden untersucht und einen Indikator entwickelt, der das gut darstellt, den Gay-Index. Ein Ort, der Selbstverwirklichung ermöglicht, zieht kreative Leute an – und darunter sind viele Schwule, die dort offener leben können. Es sind also Orte, in denen Unternehmer ihre Innovationen zum Leben erwecken können. Zum Beispiel? Wo hat die High-Tech-Revolution stattgefunden? Nicht in New Jersey, auch nicht im Süden der USA – es war in San Francisco und seinem Umland, der Bay Area. Es war der Ort, der stark die Gegenkultur der Sechzigerjahre prägte. Viele der Innovatoren im Silicon Valley waren früher Hippies oder liebäugelten mit der Hippie-Kultur. Die Region wurde von einer Woge der Selbstverwirklichung erfasst. Sei du selber, folge deinen Ideen, du musst dich nicht von außen auferlegten Regeln unterordnen. Vordenker wie Apple-Gründer Steve Jobs orientierten sich daran. Sie bemühen gerne die High-Tech-Branche. Treffen Ihre Thesen auch auf andere Industrien zu? Halt, das ist ein Missverständnis. Es ist nicht Technologie, die das Wachstum forciert – es sind die Menschen dahinter, die immer neue Dinge erfinden. Die entscheidende Frage ist von Ökonomen bisher nur unzureichend beantwortet worden: Welche sozialen und kulturellen Faktoren bringen diese Talente hervor? Viele Volkswirte nehmen an, dass man Talente einfach hat – so wie Staaten über Rohstoffe verfügen. Aber kreative Menschen sind anders als Gold oder Öl sehr mobil. Wir müssen daher untersuchen: Wo sammeln sie sich? Und warum? Wie zieht man sie an und behält sie? Ich bin überzeugt, dass neben hervorragenden Universitäten und Forschungseinrichtungen eine tolerante und weltoffene Atmosphäre ein wichtiger Magnet ist. Was sind die größten Missverständnisse, mit denen Sie sich herumplagen müssen? Ach, da ist die Mär, ich sei Aktivist der Schwulenbewegung. Manche behaupten, ich sei gegen die Familie und wolle, dass sich alles nur noch um Singles dreht. Es ist aber nun mal Fakt, dass es in den USA inzwischen mehr Singles als verheiratete Paare gibt. Oder die Auffassung, dass Kreative stets auch Künstler seien. Manche hören den Begriff „kreative Klasse“ – und denken an Poeten, Maler oder Designer. Aber es geht auch um Unternehmer, Wissenschaftler, Beschäftigte in wissensbasierten Berufen. Meine Forschungen haben ergeben, dass es in Amerika rund 38 Millionen Kreative gibt und 150 Millionen weltweit in den entwickelten Ländern. Kritiker behaupten, Sie würden alles, was Ihren Thesen widerspricht, unter den Teppich kehren. Etwa die Tatsache, dass als unkreativ eingestufte Regionen wie Las Vegas boomen und in den vergangenen Jahren viele Jobs geschaffen haben. Vermeintliche Magnete wie Seattle und San Francisco haben hingegen Einwohner verloren. Es stimmt, Las Vegas hat eine Menge Jobs geschaffen. Aber es sind größtenteils niedrig bezahlte Jobs im Dienstleistungsbereich und nur wenige in innovativen Industrien. Nehmen wir eine Wette an, welche Städte in den nächsten Jahren besonders prosperieren, Las Vegas und Oklahoma City oder San Francisco und Seattle. Ich – und ich glaube, die meisten anderen auch – würden auf Letztere setzen. Klar ziehen Leute aus San Francisco und Seattle weg. Doch größtenteils deswegen, weil sie sich die hohen Lebenshaltungskosten nicht mehr leisten können, weil sie zu wenig verdienen. Sie werden durch besser ausgebildete Leute mit höherem Einkommen ersetzt, die meist kleinere Haushalte bilden.

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