Keimfarben Unlösbare Verbindung

Vom Mailänder San-Siro-Stadion bis zum Weißen Haus: Anstriche der bayrischen Traditions-firma Keimfarben zieren Bauten in aller Welt. 

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König Ludwig I. von Bayern (1786–1868) war ein Verehrer italienischer Kunst. Vor allem die farbenfrohen Freskenmalereien der Toskana hatten es dem Monarchen angetan. Diese Kunstwerke aus Kalk wollte er unbedingt auch in der Heimat sehen. Doch entsprechende Arbeiten einheimischer Künstler hielten der bayrischen Witterung nur wenige Jahre stand – zur großen Enttäuschung des alternden Ludwig. In seiner Not rief er die Wissenschaft zur Hilfe: „Entwickelt mir eine Farbe, die wie Kalk aussieht, aber länger hält.“ 

Der Töpfer Adolf Keim las den königlichen Aufruf – und begann um 1868 in München mit Tüfteln und Mischen. Nach zehn Jahren kam der große Tag: Keims Tünche – die wetterfeste Silikatfarbe – war anwendungsfertig. Den Lohn für die Leistung des unstudierten Autodidakten kann man heute in Diedorf bei Augsburg im Foyer der Firma Keimfarben besichtigen: Das kaiserliche Patent Nr. 4315 für die „Befestigung von Mineralfarben auf Wandputz zur Herstellung von Wandgemälden“ aus dem Jahr 1878. 

In den 125 Jahren danach ist einiges geschehen. „Keims Idee hat auf der ganzen Welt ihre Spuren hinterlassen“, sagt Keimfarben-Geschäftsführer Peter Neri. Stolz präsentiert er eine endlose Liste mit Referenzprojekten seiner Firma. Die liest sich wie das „Who’s who“ der internationalen Baukunst: Ob Buckingham-Palast oder New York Stock Exchange, ob Bolschoi-theater oder Capitol – überall waren Farben aus dem Hause Keim am Werk. 

Insbesondere Denkmalschützer schwören auf die Keim’schen Anstriche. Denn die Farbe enthält flüssiges Kaliumsilikat (Wasserglas) als Bindemittel, wodurch eine unlösbare Verbindung zwischen Farbe und Untergrund ensteht – während andere Farben wie ein Film an der Wand kleben. „Die Vermischung mit dem Untergrund macht unsere Farbe extrem langlebig“, erklärt der 54-jährige Neri. „Es gibt sogar noch gut erhaltene Keim-Wandmalereien aus dem vorletzten Jahrhundert.“ 

Qualität hat ihren Preis: 50 Prozent mehr als für eine handelsübliche Dispersionsfarbe müssen Käufer der Keim’schen Farben berappen. Bei Otto Normalverbraucher tut sich die Firma deshalb schwer. „Weit über die Hälfte unseres Umsatzes machen wir bei der Renovierung historischer Gebäude“, berichtet Neri. Massentauglichere Farben kommen ihm trotzdem nicht ins Sortiment – das ist Firmenphilosophie. An der haben Neris Vorgänger selbst Anfang der Sechzigerjahre festgehalten, als die Kunden scharenweise zur neuen Dispersionsfarbe wechselten. So viel Stehvermögen imponiert dem diplomierten Volkswirt: „Die sind dem Trend nicht hinterhergehechelt, sondern haben neue Märkte für ein bewährtes Produkt gefunden.“ 

Aus der einstigen Münchner Werkstatt ist längst ein international operierendes Unternehmen geworden. 20 000 Tonnen Farbe aus Diedorfer Produktion – 1911 hatte der Firmengründer das Werk in die Nähe von Augsburg verlegt – gehen pro Jahr in alle Welt. Zu den Abnehmern gehören zwölf ausländische Tochtergesellschaften – beispielsweise in Singapur und China – und Vertragshändler von Russland bis in die USA. 

Im letzten Jahr erwirtschaftete Keimfarben die Hälfte des Umsatzes von rund 50 Millionen Euro außerhalb Deutschlands, knapp ein Drittel der 330 Mitarbeiter sind im Ausland tätig. „Die beiden stärksten Märkte sind England und Italien“, berich- a tet Neri. In „vier bis fünf Jahren“ sieht der gebürtige Badener jedoch China ganz vorne. „Das wird ein Riesenmarkt für uns.“ Seit 1995 sind die Diedorfer in Chengdu in der zentralchinesischen Provinz Sichuan vertreten – ohne das für Auslandsinvestoren sonst unumgängliche Joint Venture mit einem einheimischen Unternehmen. „Die China-Tochter gehört uns zu 100 Prozent“, sagt Neri stolz. Keimfarben hatte Glück: „1995 ließ der Einfluss der Zentralregierung auf die Provinzen kurzzeitig nach.“ Im armen Sichuan habe man sich besonders intensiv um Investoren bemüht. 

Die Erfolge auf neuen Märkten haben Keimfarben in den letzten beiden Jahren vor einer Krise bewahrt. „Das Wachstum im Ausland hat den Umsatzrückgang in Deutschland ausgeglichen“, sagt Neri, der sich seine Sporen als Manager beim Konsumgüterkonzern Unilever verdient hat. Seit 1992 leitet er Keimfarben – weit gehend unbehelligt vom Besitzer, der Moll AG. Zur Holding-Gesellschaft der gleichnamigen Münchner Familie gehören neben Keimfarben ein Grundstückshändler und die Moll Betonwerke. Keims gibt es unter den Eigentümern nicht mehr: Der 1913 verstorbene Firmengründer hat keine Nachkommen hinterlassen – „zumindest keine anerkannten“, schmunzelt Neri mit Blick auf eine uneheliche Tochter des Erfinders. 

Schade für deren Nachkommen – ihnen entgehen stabile Erträge. „Unsere Umsatzrendite liegt deutlich über fünf Prozent“, sagt Neri. „Wir schreiben jetzt seit zehn Jahren schwarze Zahlen.“ Gekriselt hat es nur Anfang der Neunziger. Keimfarben hatte 1990 im brandenburgischen Luckau ein zweites Werk eröffnet und mit erheblichen Startschwierigkeiten zu kämpfen. „Aber seit 1994 verdienen wir auch da Geld.“ 

Angesichts der stabilen Entwicklung und einer Eigenkapitalquote von mehr als 50 Prozent liegt der Gedanke an Zukäufe nahe. Unnötige Risiken will der passionierte Skiläufer Neri aber vermeiden. „Sanierungsfälle kaufen wir nicht.“ Priorität habe die Gründung einer Tochterfirma in den USA im kommenden Jahr. Der Ausbau des Geschäfts in Übersee ist für Neri von entscheidender Bedeutung – schließlich konnte Keimfarben in den letzten Jahren prestigeträchtige Regierungsaufträge an Land ziehen. So läuft seit 2001 die Renovierung des Weißen Hauses in Washington. Mit Farbe aus Diedorf. 

Anfang des Jahres hatten die Bayern einen weiteren dicken Fisch an der Angel. Doch das US-Verteidigungsministerium zog den Auftrag an Keimfarben wieder zurück, nachdem die Bevorzugung eines deutschen Unternehmens gegenüber amerikanischen Mitbewerbern für erheblichen Medienrummel in den USA gesorgt hatte (siehe Kasten). Neri kann dem Hickhack trotz der Umsatzeinbußen durchaus Positives abgewinnen. „Wann kommt denn schon mal ein Mittelständler wie wir in die internationalen Schlagzeilen?“ 

DANIEL SCHÖNWITZ 

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