Neuer Siemens-Chef Löscher plant bereits den Umbau

Der neue Vorstandschef Peter Löscher wirkt noch wie ein Fremdkörper im Siemens-Weltreich. Im Stillen plant er einen tief greifenden Umbau.

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Peter Löscher krempelt Siemens um, AP

Dass Peter Löscher mal so richtig laut wird oder eine der emotional aufgeladenen Reden schwingt, für die sein Vorgänger bekannt war, darauf warten die Siemensianer seit Anfang Juli. Bislang vergebens. Seit Sommer ist Löscher als Nachfolger des im Zuge der Korruptionsaffäre zurückgetretenen Klaus Kleinfeld Chef von Siemens. Doch er hört immer noch zu, stellt geduldig Fragen – und nach manchen seiner Fragen stellen sich die altgedienten Siemens-Leute selbst die Frage: Was weiß der eigentlich über uns? Es fremdelt zwischen dem Neuen und seiner Mannschaft. Intern hat er bei vielen längst seinen Spitznamen weg: der Autist. „Wozu braucht Siemens eigentlich eine eigene Beratertruppe?“, fragte Löscher, so berichten Insider, jüngst seine Top-Manager. Das war so eine dieser Fragen. Den Managern blieb, so berichten sie später, vor Schreck der Mund offen stehen. Denn diese Beratungsgesellschaft, intern Siemens Management Consulting genannt, ist die Kaderschmiede des Konzerns. Sie ist Löscher direkt unterstellt, die gut 200 jungen Top-Manager, die dort arbeiten, beraten die Siemens-Geschäftsbereiche. Rund 40 Prozent aller internen Beraterprojekte wickeln sie ab. Wer es in diese Abteilung geschafft hat, der hat eine Karriere vor sich: Eine Reihe von Siemens-Größen ging aus ihr hervor, nicht zuletzt Löschers Vorgänger Kleinfeld. Diese Elitetruppe wagte Löscher infrage zu stellen und signalisierte den Siemensianern: Der ist keiner von uns. Wie, so fragen sich die Mitarbeiter, will der es je schaffen, Siemens zusammenzuhalten und aus der Krise zu führen? Nach fast 100 Tagen im Amt wirkt Löscher noch immer wie ein Fremdkörper in dem von der Korruptionsaffäre geschüttelten Konzern, ein einsamer Solist im Palais der Zentrale am Wittelsbacherplatz in München. Und er bekommt als erster externer Siemens-Chef in der 160-jährigen Unternehmensgeschichte die volle Dosis Misstrauen zu spüren: Schließlich galt es jahrzehntelang als ausgemacht, dass niemals einer von außen als Vorstand oder Aufsichtsrat das so besondere, komplizierte Siemens-Gebilde würde leiten können. Was im Unternehmen nur wenige merken: Löscher bricht im Stillen mit Traditionen und baut den Konzern um. Was unter seinen Vorgängern oft Jahre dauerte – rentable von unrentablen Sparten zu trennen, nach Verkaufsoptionen zu suchen – packt er schon jetzt an. Diverse Beteiligungen stehen nach Informationen der WirtschaftsWoche aus Unternehmenskreisen zur Disposition: neben Osram auch die Gemeinschaftsunternehmen Nokia Siemens Networks und Fujitsu Siemens Computers. Aber Löscher lässt nur wenige an seinen Plänen teilhaben. Schweigen sei es, womit sich Löscher derzeit auszeichne, heißt es in den Geschäftsbereichen. Selbst auf höchster Ebene wird geklagt: „Warum führt Löscher keinen intensiven Dialog mit uns, wie wir es von seinem Vorgänger gewohnt waren?“, fragt ein Siemens-Top-Manager. Den groß angekündigten Umbau des Vorstands hat Löscher erst mal auf November verschoben. Dabei sollte die neue Struktur schon bei der jährlichen Führungskräftetagung Mitte Oktober in Berlin, bei der sich die rund 600 wichtigsten Manager treffen, auf der Agenda stehen. Nur dem Aufsichtsrat stellte Löscher vor Kurzem in groben Zügen die neue Organisation vor, die er mit Chefaufseher Gerhard Cromme abgestimmt hatte. Demnach wird der Vorstand zwar nicht drastisch verkleinert, aber Löscher wird die Zuständigkeit für die einzelnen Geschäftsbereiche auf die drei großen Arbeitsgebiete Energie und Umweltschutz, Industrie und Infrastruktur sowie Medizintechnik verteilen. Wer von den Vorständen welche Verantwortung übernehmen wird, ist ungewiss. „Nicht einmal die Bereichsvorstände wissen, wo es langgeht“, sagt ein Siemens-Manager. Löscher holte mit Peter Solmssen einen Manager in den Zentralvorstand, der wie er selbst früher beim Erzrivalen GE arbeitete. Der Amerikaner soll bei Siemens für Recht und Ordnung sorgen – ein Kulturschock. Mit Solmssen hat Löscher erstmals einen Vorstand berufen, der sich nur darum kümmern soll, dass sich die Mitarbeiter an Gesetze und interne Richtlinien halten – die sogenannte Compliance. Das gab es bei Siemens noch nie. Solmssen direkt unterstellt ist Andreas Pohlmann, der die Compliance-Abteilung leitet. Der 49-Jährige kommt vom Chemiekonzern Celanese. Auch ihn kennt Löscher persönlich, aus seinen Tagen bei der früheren Hoechst. Das sind die Signale, die bei den Siemensianern ankommen: Löscher bringt seine Getreuen mit und schweigt. Das nährt den Verdacht, da sei Großes im Gang. Was so falsch nicht ist. Denn nach Informationen der WirtschaftsWoche will sich Löscher so schnell wie möglich von Beteiligungen trennen, die nicht zum Kerngeschäft gehören. Allein in den Bereichen, an denen Siemens zu 100 Prozent beteiligt ist, stehen damit gut 57 000 Arbeitsplätze und neun Milliarden Euro Umsatz auf der Kippe. Gemessen an den Mitarbeitern wären das gut zwölf Prozent des ganzen Unternehmens. Auf dem Prüfstand steht etwa der Lichttechnikhersteller Osram. Osram ist zwar hochprofitabel, bekommt es aber mit zunehmender Konkurrenz aus China zu tun. „Kein Kommentar“, heißt es offiziell bei Siemens zu Osram. Aber Löscher ist in diesen Tagen in London und New York auf Investorentour. Ebenso prüft Löscher, ob Siemens zukünftig an den Gemeinschaftsunternehmen Bosch Siemens Hausgeräte, dem PC-Hersteller Fujitsu Siemens oder dem Telekomausrüster Nokia Siemens Networks festhalten sollte. Das Gleiche gilt für die Siemens-Töchter Siemens Home and Office Communications Devices, in der das Geschäft mit Festnetz- und Schnurlostelefonen gebündelt ist. Auch das Siemens Enterprise-Geschäft steht zur Disposition. Es bietet Kommunikationslösungen für Unternehmen an. All das sind für Siemens Randgeschäfte. Beispiel Fujitsu-Siemens: Im hart umkämpften PC-Markt tut sich die deutsch-japanische Allianz schwer. Nach Berechnungen des Marktforschers Gartner hat Fujitsu-Siemens im zweiten Quartal als Einziger der fünf größten Anbieter in Deutschland weniger PCs verkauft als im Vorjahr. Der Vorsteuergewinn ging 2006/07 um ein Viertel auf gut 91 Millionen Euro zurück. Beispiel Nokia Siemens Networks: Für das zweite Quartal wies das Gemeinschaftsunternehmen einen operativen Verlust von 1,3 Milliarden Euro aus. Der Markt der Telekomhersteller steht unter einem starken Preisdruck. Zudem musste der Start des Joint-Ventures verschoben werden, weil Siemens zuerst klären musste, ob auch die Telekomsparte vom Korruptionsvirus befallen sei. Die Verschiebung habe einen negativen Einfluss auf das Geschäft gehabt, heißt es bei Nokia. Die dominierende Rolle in dem Geschäft spielt ohnehin Nokia. Die Finnen übernehmen dort nach Insider-Informationen mehr und mehr die Macht. Ein weiteres Problemfeld ist das Enterprise-Geschäft. Kleinfeld hatte das krisengeschüttelte Geschäft mit Telefonanlagen für Unternehmen zum 30. Juni 2006 in ein eigenständiges Unternehmen ausgelagert und durch die Verbuchung als auslaufendes Geschäft aus der Bilanz herausbekommen. Einen Käufer fand der verantwortliche Siemens-Vorstand Eduardo Montes jedoch nicht. „Wir sind in Gesprächen mit Partnern“, heißt es bei Siemens. Doch die Zeit drängt: Gemäß den US-Bilanzierungsrichtlinien darf eine Unternehmenseinheit maximal ein Jahr – nach Absprache mit der US-Börsenaufsicht SEC noch um ein Jahr länger – als zu beendend verbucht werden. Die Verlängerung läuft bereits für das Siemens-Geschäft. Folglich müsste Löscher, falls er bis Juni 2008 keinen Käufer findet, das Geschäft wieder in die Bilanz aufnehmen. „Das will Siemens auf jeden Fall vermeiden und wird irgendwie versuchen, die Sparte rechtzeitig loszuschlagen“, sagt ein IG-Metall-Vertreter aus dem Siemens-Team der Gewerkschaft. Dann droht dem Geschäft ein ähnliches Schicksal wie der ehemaligen Handy-Sparte von Siemens, befürchtet die IG Metall. Die ging nur ein Jahr nach dem Verkauf an BenQ aus Taiwan pleite. Dass Siemens weiter am Verkauf von Enterprise Networks arbeitet, zeigte sich kürzlich: Im dritten Quartal schrieb Siemens 355 Millionen Euro auf den Buchwert dieses Geschäfts ab. So eine vorzeitige Wertminderung hilft, bei einem späteren Verkauf zu geringem Preis zu große Buchverluste zu vermeiden. Im August kündigte Siemens an, zehn Prozent aller Stellen dieser Sparte in Deutschland bis Jahresende abzubauen, das sind 600 von 6000 Jobs. Nach internen Berechnungen würde die Trennung von allen Randgeschäften Siemens einen zweistelligen Milliardenbetrag in die Kasse spülen. Geld, das Löscher nach der teuren Übernahme des US-Medizinspezialisten Dade Behring für runde sieben Milliarden Dollar gut gebrauchen kann. Zudem muss Löscher mit Strafzahlungen in Milliardenhöhe von der SEC und auch von deutschen Gerichten wegen der Korruptionsaffäre rechnen. Der Druck der Finanzmärkte auf Löscher nimmt zu. Seit Ende Juli geht es mit dem Aktienkurs abwärts. Knapp zwölf Prozent büßte das Papier seitdem ein. Lag der Kurs am 24. Juli noch bei 106,04 Euro, notiert das Papier zwei Monate später nur noch bei 96,27 Euro. Dabei will Siemens den Aktienkurs mittelfristig auf bis zu 140 Euro steigern. „Bei uns heißt es jetzt Tempo, Tempo, Tempo“,, ratterte Löscher kurz nach seinem Amtsantritt. Längst hat er Kleinfelds Programm Fit for 2010 auf die Jahre 2008 und 2009 heruntergebrochen und den Spartenchefs verordnet, die Gewinne schneller zu steigern. „Löscher ist ein Mann, der intern nicht die große Mücke macht“, sagt ein Insider. „Aber er ist in seinem Handeln strikt amerikanisch geprägt.“ Den Börsenwert zu steigern stehe bei ihm an oberster Stelle. „Probleme aussitzen – die Zeiten sind mit Löscher bei Siemens endgültig vorbei.“ Nur bei den Mitarbeitern des großen Schweigers ist das noch nicht angekommen.

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