Interview mit: Günter Müller-Stewens "Manager geraten in Misskredit"

Junge Menschen stehen Managern und der Wirtschaft im Allgemeinen zunehmend kritisch gegenüber. Günter Müller-Stewens, Professor für strategisches Management an der Universität St. Gallen, hält einen Strategie-Wechsel für Unternehmen unumgänglich - im Handelsblatt-Interview spricht er über das Fehlen gesellschaftlicher Werte und Verantwortung.

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In den Augen junger Menschen haben Manager drastisch an Coolness verloren. Quelle: PR

Handelsblatt: Herr Müller-Stewens, vor welchen strategischen Herausforderungen stehen Unternehmen?

Günter Müller-Stewens: Wie immer im Konjunkturabschwung müssen sich die Unternehmen nun intensiver mit ihren Kosten beschäftigen. Strategisch ist die Herausforderung, sich dadurch nicht die Zukunft zu verstellen. Doch Kosten sind nur ein kleiner Teil. Die Agenda für die Unternehmensführung war noch nie so lang wie heute. Wir stecken ja nicht nur in einer Finanzkrise. Die Wirtschaft selbst steckt auch in einer tiefen Sinnkrise. Das Management als Berufsstand hat in historischem Ausmaß an Reputation und Vertrauen verloren. Es ist in Misskredit geraten. Denken Sie nur an den trostlosen Auftritt der Chefs der Autokonzerne im US-Kongressausschuss. Dieses Bild sagte viel.

Woran liegt dieser Verlust?

Ein Teil der Wirtschaftselite hat das Augenmaß dafür verloren, was gesellschaftlich noch akzeptabel ist. Die Folge ist sinkendes Vertrauen. Junge Menschen sehen die Unternehmen zunehmend kritisch. Das trifft nicht nur die Vorstandsriegen, sondern die Wirtschaft als Ganzes. Man weiß nicht mehr, ob sie wirklich dem Gemeinwohl dienen will. Leider überdecken derzeit diese Entwicklungen die verantwortungsvolle Arbeit, die nach wie vor sehr viele Führungskräfte in den Unternehmen machen.

Bezieht sich Ihre Kritik vor allem auf die Managergehälter?

Die Gehälter sind nur eine Facette der Diskussion, aber dafür eine sehr plastische. Die wachsenden Differenzen zwischen den Einkommenssteigerungen von Top-Managern und "normalen" Mitarbeitern in einer ganzen Reihe von Großunternehmen sind für die meisten Menschen nicht nachvollziehbar. Es gibt Branchen, in denen der Durchschnittsmitarbeiter real heute nicht mehr verdient als vor zehn Jahren. Das Argument, eine solche Bezahlung sei im internationalen Rahmen üblich, hilft da nicht weiter.

Der Staat könnte durch Begrenzung der Gehälter eingreifen.

Von gesetzlichen Regulierungen halte ich hier wenig. Fragen der gesellschaftlichen Verantwortung und Verankerung eines Unternehmens müssen in dessen Führungsetage beantwortet werden. Es ist eine Frage der Werte, für die ein Management wirklich steht. Wenn man für nichts mehr steht, dann ist auch alles grenzenlos - und wird mit marktlicher Freiheit verwechselt.

Was raten Sie den Firmen in der gegenwärtigen Phase?

Es wäre ein Fehler, wenn die Unternehmensführung nun nur mit der heißen Nadel strickt und meint, schnelle und einfache Antworten seien die Lösung. Stattdessen sollten sich Firmen grundlegender fragen: Wofür wollen wir stehen? Warum werden wir gebraucht? Strategie muss wieder viel stärker auf Werten und einer sinnstiftenden Mission eines Unternehmens aufbauen, um glaubwürdig zu sein. Dazu müssen Manager an der Spitze stehen, die nach diesen Werten handeln. Sonst entsteht Zynismus. Das Thema Strategie muss enger mit der Verantwortung, die man als Teil der Gesellschaft übernimmt, verbunden werden. Wir an den Universitäten müssen lernen, diese Verknüpfung noch besser dem Nachwuchs zu lehren.

Um welche Werte geht es?

Schon im 13. Jahrhundert lehrte uns Thomas von Aquin seine vier Kardinaltugenden, wozu auch die Gerechtigkeit und die Mäßigung zählen. Sie haben nicht an Gültigkeit verloren. Gemeinsame Werte sind die Basis der Freiheiten, die wir genießen, denn sie setzen uns Grenzen, sie machen uns auch in einer globalen Gesellschaft verlässlich. In diesem Sinne werden die Anforderungen an die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen und ans nachhaltige Wirtschaften zunehmen. Firmen mit überzeugenden und gelebten Wertvorstellungen sowie einer dem Gemeinwohl zuträglichen Mission werden dabei Vorteile haben. Hierin sehe ich auch die zentrale Chance, die in der derzeitigen Krise steckt.

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