Unternehmensführung Manager in der Krise: Kreide für den Leitwolf

Die Finanzkrise hat die Alpha-Manager in eine Sinnkrise gestürzt. In den Konzernen sind künftig andere Rudelführer gefragt.

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Porsche-Chef Wendelin Quelle: AP

Georg Fischer ist der Mann, dem die Manager vertrauen. In seiner Praxis an der Düsseldorfer Königsallee bietet der Psychoanalytiker Top-Managern Gespräche auf Augenhöhe. Fischers Spezialgebiet: nicht das Jonglieren von Finanzzahlen, sondern die Aufarbeitung seelischer Konflikte. Die Finanzkrise, sagt der 50-jährige Führungsberater griechischer Abstammung, habe ihm Zulauf beschert – etliche Männer und Frauen aus den Top-Etagen deutscher Unternehmen suchen Fischers Beistand, bis vor Kurzem wagte kaum ein Mitglied einer Chefetage diesen Seelenstriptease.

Fischer hört zu, wenn Menschen, die sonst über Milliardenumsätze und das Wohl und Wehe Tausender Arbeitsplätze bestimmen, plötzlich nicht mehr über zweistellige Renditen nachdenken. Sondern anfangen, Fragen zu stellen: Wie habe ich geführt? Wie auf Druck reagiert? Wie viel Kritik habe ich verhindert? Wo habe ich geschwiegen, statt mich zu Wort zu melden? Lohnt sich der tägliche Kampf überhaupt für meinen Job? Sie sinnieren darüber, ob ihre Unternehmen grundsätzlich auf dem richtigen Weg sind. Und sie selbst noch an der richtigen Position. „Sie stellen sich selbst, ihre Werte und ihren Führungsstil infrage“, sagt Fischer.

Es bleibt ihnen auch nichts anderes übrig. Die nun zwei Jahre andauernde Finanzkrise hat sich zum Kehraus selbst für sogenannte Alpha-Tiere unter den Managern entwickelt. Jeder sechste Chef eines deutschen Unternehmens verlor im vergangenen Jahr seinen Job, in der Finanzbranche war es jeder fünfte, so eine Studie der Strategieberatung Booz & Company.

Von Hamburg bis München mussten die Chefs der Landesbanken abtreten. Der Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate ist knapp der Pleite entkommen. Stefan Ortseifen, Ex-Chef der IKB, ist wegen des Vorwurfs der Börsenmanipulation angeklagt. Die staatliche KfW servierte ihren Risiko-Vorstand ab, der die 320-Millionen-Euro-Überweisung an das Stunden später bankrotte Bankhaus Lehman Brothers nicht stoppte. Düsseldorfer Sparkassen-Lokalfürsten strauchelten ebenso wie Kölner Privatbankiers über bevorzugte Kunden.

Finanzkrise entwickelt sich zum Kehraus für Alpha-Tiere

Auch staatliche Bankenkontrolleure wie Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen und Jochen Sanio, Chef der Bankenaufsicht, stehen unter Beschuss. Selbst erprobte Alpha-Männchen wie Porsche-Chef Wendelin Wiedeking und sein Finanzvorstand Holger Härter oder Schaeffler-Chef Jürgen Geißinger kamen vom Kurs ab, die Nächsten dürften bald folgen. Gescheitert sind sie alle aus dem gleichen Grund: an ihrer Selbstüberschätzung – mit der sie im Übrigen erheblichen Anteil hatten an Ausbruch und Ausbreitung der globalen Wirtschaftskrise.

Sinnkrise erfasst Finanzmanager

Was aber treibt Alpha-Tiere an? Verhaltensforscher charakterisieren diese Leittiere nicht unbedingt als statusorientiertestes, aber meist stärkstes und schlauestes, häufig ältestes Tier einer Herde. Psychoanalytiker Fischer schreibt den Alpha-Tieren der Wirtschaft eine herausragende Intelligenz, Führungswillen, Mut und Entschlossenheit zu. Dazu Charisma, Visionen, Rhetorik und Dialektik. Doch all das sei nicht zwangsläufig gepaart mit der Fähigkeit, Kritik und ebenbürtige Geister in der eigenen Nähe zu ertragen.

Nach außen vor Selbstbewusstsein strotzend, fehlt solchen Alpha-Tieren in Politik und Wirtschaft oft ein verlässliches Selbstwertgefühl. Sie verfügen über einen inneren Treiber, aber keinen inneren Kompass, der sie Kritik wertschätzen ließe – und sei es nur aus purem Egoismus. Sie umgeben sich mit Jasagern, oft entstehen um sie herum kritikfreie Zonen. „Nachdem sie sich während ihres Aufstiegs Schritt für Schritt ihre Überlegenheit haben bestätigen lassen, ist es für sie schwer vorstellbar, fehlbar zu sein“, beschreibt Fischer die verhängnisvolle Selbsttäuschung.

Inzwischen hat die Sinnkrise die Finanzmanager erfasst. Die Zeiten, in denen sich vermeintliche Alpha-Tiere in den Banktürmen auf der ganzen Welt als „Masters of the Universe“ gerierten und mit schnellen Erfolgen glänzten, sind längst vorbei.

„Die Bankenwelt war immer schon viel internationaler als die deutsche Industrie. Sie verlangt hohe Flexibilität und schnelle Auffassungsgabe. Alles das, was die besten und risikofreudigsten unter den Absolventen angezogen hat“, beschreibt Christine Stimpel, Geschäftsführerin der Personalberatung Heidrick & Struggles Deutschland, die Anziehungskraft der Branche, „zudem agieren Banker mit sehr abstrakten Produkten, die sie anderen Bankern verkaufen.“ Dabei wussten die Finanzmanager oft kaum, womit sie da gerade handelten. Kein mittelständischer Maschinenbauer würde etwa seinen Kunden Maschinen verkaufen, deren Funktionsweise er nicht genau kennt.

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