Jobmotor Regelbruch als Erfolgsrezept für Mittelständler

Die Regelbrecher sind die wahren Helden des Mittelstands: Unternehmer, die gegen den Strom schwimmen, sich von keinem Widerstand abschrecken lassen. Und dabei erfolgreich sind. Sie halten den Jobmotor der Wirtschaft am Laufen.

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Radiologe Wolfgang Auffermann: Rebell gegen das Standesrecht Quelle: Catrin Moritz für WirtschaftsWoche

Die flehentliche Stimme seines Vaters wird Eduard Appelhans nie vergessen. Es ging um Geld, nicht einmal um viel Geld, doch von der Zahlung hing das Überleben des Familienbetriebes ab, der damals, Ende der Sechzigerjahre, gut 30 Leute beschäftigte. Der klamme Kunde hat gezahlt, der Fensterbaubetrieb im sauerländischen Sundern-Hagen hat überlebt. Für Appelhans jedoch gehören die Telefongespräche seines Vaters mit säumigen Zahlern, die Angst der Familie vor Zahlungsausfällen und verweigerten Krediten bis heute zu den weniger schönen Kindheitserinnerungen.

Der sauerländische Junge ist inzwischen 49 Jahre alt und führt, flankiert von Gattin Elisabeth, in der vierten Generation das Familienunternehmen. Sorpetaler Fensterbau hat sich gut entwickelt. Während die Branche seit Mitte der Neunzigerjahre um die Hälfte schrumpfte, wuchs der auf Holzfenster spezialisierte Betrieb auf 70 Mitarbeiter. Etwa ein Drittel der Produktion geht ins Ausland – bis in die USA. Wenn das Unternehmerpaar heute durch die Hallen führt und die Prachtstücke der Produktion vorstellt, gebogene Turmfenster oder fein gegliederte Bogenfenster aus Eiche, ist von der Kindheitsangst des Chefs nichts mehr zu spüren.

Die Lockerheit des Familienunternehmers hat einen Grund: Appelhans ist Regelbrecher. Statt nächtens schweißgebadet darüber nachzudenken, wie sexy oder marode die Bank sein Unternehmen findet, oder sich gar von Heuschrecken scheuchen zu lassen, holt Appelhans einen großen Teil des Kapitals von seinen Mitarbeitern. 70 Prozent der Belegschaft sind beteiligt. „Der kleinste Anteil liegt bei wenigen Euro, der größte bei mehreren Tausend Euro“, sagt Appelhans. Zwei Millionen Euro hat Appelhans in den vergangenen Jahren im Gegenzug an Gewinnen an seine Mitarbeiter verteilt.

Als der Finanzrebell vor etwa 20 Jahren in das elterliche Unternehmen einstieg, lag die Eigenkapitalquote des Luxusfensterbauers bei null. Heute liegt sie bei über 20 Prozent. „Ohne unser Modell hätten wir die 15 Jahre dauernde Baukrise vielleicht nicht überlebt“, meint der sauerländische Unternehmer.

Überleben und Gedeihen durch Regelbruch – Unternehmen wie Sorpetaler Fensterbau zeigen, dass oft nur das Verlassen der branchenüblichen Trampel- pfade den Niedergang verhindern kann. » „Regelbrecher leben länger“, sagt der Münchner Consulter Norbert Wieselhuber, der in diesen Tagen seine Studie über die Revolutionäre unter den Unternehmern veröffentlicht. Ein Ergebnis: Mittelständische Unternehmen sind der ideale Nähboden für Regelbrecher. Starke Führungspersonen, hohe Risikobereitschaft, so die mehrheitliche Meinung der 52 in ausführlichen Interviews befragten Familienunternehmer, sind die wichtigsten Eigenschaften von Regelbrechern – Charakterzüge von Radikalunternehmern und weniger von Konzernmanagern.

„In großen Unternehmen besteht ohnehin kaum die Chance, Regeln zu brechen“, sagt Wieselhuber. Tatsächlich waren alle berühmten Radikalunternehmer zum Zeitpunkt des Bruchs mit der Routine kleine und mittlere Unternehmen: Ikea (Selbstbau statt fertiger Möbel), SAP (Standardsoftware statt individueller Unternehmenssoftware), Aldi (billige Qualität), McDonald’s (Fertigmahl statt Menü), Fielmann (Designerbrillen aus Optikerfiliale), der Verlag Taschen (billige Kunstbücher), Ratiopharm (Generika).

„Um die Regel zu brechen, bedarf es einer gewissen Sturheit oder gar Schrulligkeit“, sagt Mittelstandsforscher Bernd Venohr, Professor für Strategisches Management an der Fachhochschule für Wirtschaft in Berlin, „jemand der mit dem Strom schwimmt und von allen geliebt werden will, hat es als Regelbrecher schwer.“

Einer von denen, die mit einer „gewissen Sturheit“ zu Werke gehen, hat seinen Standort 100 Kilometer nordöstlich von Sundern-Hagen. Vor den Toren Bielefelds steht der Gebäudeblock des Bau- und Solarunternehmers Goldbeck. Statt der idyllischen Holzkonstruktion bei dem Fensterbauer bestimmen kühle Glasfronten das Bild. Die Familienfirma beschäftigt über 1800 Mitarbeiter und setzte im vergangenen Geschäftsjahr 757 Millionen Euro um. Mit dem Sorpetaler Fensterbau hat Goldbeck auf den ersten Blick wenig gemein. Doch Goldbeck hat sich wie der Fensterbauer Appelhans über gängige Routinen und Regeln hinweggesetzt. Schon in den Achtzigerjahren, als es der Baubranche wieder einmal schlecht ging, entschied sich der Vater des heutigen Goldbeck-Chefs Uwe Goldbeck für den Systembau. Statt die Gebäude an der Baustelle von Hand zu bauen, produziert der Spezialist für Hallen, Büros und Parkhäuser große Module in Fabriken industriell vor und setzt sie beim Kunden nur zusammen.

„Das war damals eine Revolution im Gewerbebau“, erklärt Uwe Goldbeck. Wettbewerber spotteten über die „Plattenbauer“. Heute spottet niemand mehr. Denn Goldbeck wuchs – in den vergangenen zehn Jahren jährlich über zehn Prozent –, während die Baubranche lange Jahre vor sich hin darbte und viele der einstigen Spötter aus dem Markt ausschieden.

Ein bisschen Druck von außen wie ein lahmender Markt, nachhaltig sinkende Branchenrenditen oder Überkapazitäten in der Branche bringen die Regelbrecher häufig erst auf den Gedanken, die Regel zu brechen. Längst nicht alle Regelbrecher gewinnen, etliche scheitern wie Cargoliftergründer Carl von Gablenz, dessen Idee, Luftschiffe für den Transport schwerer Lasten einzusetzen, vom Markt nicht angenommen wurde, oder der Beate-Uhse-Ableger Mae B., dessen Erotikshops für Frauen sich nicht füllten.

„Die Rate derer, die scheitern, ist größer als die der erfolgreichen Regelbrecher“, vermutet Wieselhuber. Tröstlich: Nach den Beobachtungen des Unternehmensberaters müssen sich die Regelbrecher nicht lange mit dem Niedergang quälen: Regelbrecher leben nicht nur länger – wenn es nicht klappt, scheitern sie auch schneller.

Fest steht, dass sich Wirtschaft und Gesellschaft an Regelbrüche gewöhnen müssen. „Die globalisierte Welt mit ihren Störungspotenzialen ist geradezu ein Brutkasten für erzwungene Routinebrüche“, sagt Wieselhuber. Und oft bieten Globalisierung und Internet erst die Möglichkeit, die Regel zu brechen – und damit einen Markt zu revolutionieren, Selbstverständlichkeiten über den Haufen zu werfen und verkrustete Strukturen aufzubrechen.

So wie DocMorris-Gründer Däinghaus es gemacht hat. Däinghaus legte sich mit der durch ständische Schutzmauern verwöhnten Apothekerzunft an, indem er die deutsche Vorschrift umging, nach der Apotheker nicht als Versandhändler agieren durften, und sich in den Niederlanden direkt hinter der deutschen Grenze etablierte. Von dort aus belieferte er Patienten in Deutschland, die über das Internet ihre Bestellungen schickten.

Deutschlands Apotheker überzogen ihn mit Prozessen – vergeblich. Das Verbot des Pharmaverkaufs per Internet fiel. Im vergangenen Jahr setzte Däinghaus den zweiten Schlag gegen die Pharmazeutenzunft und gründete eine Apothekenkette. Das sogenannte Fremdbesitzverbot umgeht der rothaarige 40-Jährige mit der markanten Brille durch ein Franchise-System, bei dem die bisherigen Inhaber zwar selbstständig bleiben, aber eine Lizenzgebühr zahlen und Logo und die günstigen Einkaufsbedingungen von DocMorris nutzen. In drei bis fünf Jahren soll es in Deutschland 500 Filialen geben.

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