Lobbyismus Von Menschen und Läusen

Mittelständlern fehlt in Berlin oft eine starke Stimme. Die Firma Wolff Arzneimittel aus Bielefeld ist nun selbst laut geworden und hat vor einigen Wochen einen offenen Brief an Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt geschrieben. Ein neuer Weg?

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Kindertagesstätten und Grundschulen haben regelmäßig mit Kopfläusen zu Kämpfen: Quelle: PR

"Es geht nur um ein paar Millionen Kinderköpfe und ein mittelständisches Unternehmen in Bielefeld", schrieb Eduard Dörrenberg, geschäftsführender Gesellschafter von Dr. Wolff Arzneimittel. Und zwar in einem offenen Brief an Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt - vor einigen Wochen, als Anzeige in mehreren überregionalen Zeitungen.

Damals griff der Familienunternehmer Dörrenberg mit der teuren Kampagne zu einem ungewöhnlichen Mittel, um auf sein Problem aufmerksam zu machen. "Während große Pharmakonzerne eigene Lobbyisten in Berlin beschäftigen, kann man sich als Mittelständler kaum Gehör verschaffen", lautet seine Erfahrung (siehe "Umworben und verkannt").

Der Grund: Dörrenberg fühlt sich "in einem fairen Wettbewerb behindert". Sein Läusemittel Etopril habe zwar in Studien bewiesen, dass es ohne chemisch wirkende Schädlingsbekämpfungsmittel wirkt, bislang aber nicht in ein Verzeichnis staatlich geprüfter Mittel - Entwesungsmittelliste genannt -, aufgenommen wurde.

Für Newcomer Wolff wäre eine zügige Aufnahme in diese Liste jedoch sehr wichtig, um mit seinem Produkt auch Geld verdienen zu können. Denn, was nicht auf der Liste steht, darf nicht in den betroffenen Kindergärten oder Schulen verwendet oder von ihnen empfohlen werden. Ärzte und Apotheker müssen sich zwar nicht daran halten, folgen diesen Empfehlungen aber häufig, erklärt eine Branchenexpertin die Relevanz der Liste. Und: Zeit ist Geld. Stefan Heidbreder, Geschäftsführer der Stiftung Familienunternehmen, bestätigt, dass "die Geschwindigkeit und Flexibilität für Familienunternehmen ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil ist".

Die Aufmerksamkeit hat Dörrenberg mit seiner Kampagne nun bekommen: Viele Zeitungen und Fachmedien berichteten über den Fall - nicht nur positiv. Die Branche beäugt die Firma Wolff kritisch. Einige empfinden vor allem die Aussage der Anzeige "Insektizide gehören nicht auf Kinderköpfe" als pauschale Diffamierung zugelassener Arzneimittel, die Eltern verunsichere. Auch weil inzwischen das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) in seiner Gesundheitsinformation Mittel, die wie das Etopril von Wolff zusammengesetzt sind, als wirksame Alternative zu insektizidhaltigen Präparaten empfiehlt und damit die Wettbewerbssituation deutlich verändern könnte. Denn besorgte Eltern wollen ihre Kinder natürlich so schonend und wirksam wie möglich behandeln und suchen immer wieder nach der besten Lösung.

Zurzeit vertreibt das Familienunternehmen Infectopharm aus Heppenheim mit seinem insektizidhaltigen Mittel Infectopedicul das nach eigenen Angaben meistverordnete Kopflausmittel in Deutschland. Mittlerweile geht ein anderes konkurrierendes Familienunternehmen, die Eduard Gerlach GmbH in Lübbecke, juristisch gegen einige Aussagen Dörrenbergs vor. Gerlach verkauft seit Jahrzehnten erfolgreich Goldgeist forte, das ein insektizidhaltiges Läusemittel ist. Das Produkt macht immerhin rund zehn Prozent seines Umsatzes von rund 45 Millionen aus.

Die Firma Pohl-Boskamp, ein Familienunternehmen aus Hohenlockstedt, hat ihr ebenfalls physikalisch wirkendes Medizinprodukt zur Bekämpfung von Läusen, Nyda L, das wie Etopril ebenfalls mit dem Wirkstoff Dimeticon helfen soll, bereits im April 2006 auf den Markt gebracht und kurz danach die Aufnahme auf die Entwesungsmittelliste beantragt. Zurzeit wartet das Unternehmen aus Schleswig-Holstein noch auf einen Bescheid.

Zwar sind sie und einige andere Konkurrenten, doch einige schlagen sich mit denselben Problemen herum. Erstens, dauert die Aufnahme in die Entwesungsmittelliste offensichtlich sehr lange. Das bestätigen mehrere Insider, die ihren Namen in diesem Zusammenhang nicht in der Zeitung lesen möchten.

Das zweite Problem: Bei den Läusemitteln von Wolff und Pohl-Boskamp handelt es sich um so genannte Medizinprodukte. Diese unterscheiden sich von Arzneimitteln darin, dass sie keinen pharmakologischen Wirkmechanismus auslösen, sondern rein physikalisch wirken. Bislang werden solche Produkte nur sehr selten von den Krankenkassen erstattet. Im Sommer wird aber das neue Medizinproduktegesetz in Kraft treten, das möglicherweise eine Erstattung von solchen Produkten zulässt. Das würde auch Familien begünstigen, die einen Ladenpreis von rund 15 Euro nicht bezahlen können. Der gemeinsame Bundesausschuss berät noch über die Kriterien. Stellungnahmen dazu dürfen nur die Fachverbände abgeben.

Dörrenberg selbst ist sogar in mehreren Fachverbänden, zum Teil auch im Vorstand, dennoch fühlt er sich mit seinem Problem allein. "Zurzeit sind wir zwischen zwei Behörden gefangen", beklagt er sich. Seine wichtigste Forderung an die Politiker: "Schaffen Sie die Bürokratie ab!"

Gerlach-Geschäftsführer Gerlach-Meinders sieht das anders. Er empfindet "nicht die Bürokratie als Problem, sondern eher die Methoden der Newcomer auf dem Markt". Dörrenberg von Wolff sei nicht der erste Anbieter, mit dem er sich juristisch rumschlagen müsse. "Wenn man in einem schützenswerten Bereich wie dem Gesundheitsmarkt agiere und ein neuer Marktteilnehmer mit unwahren Argumenten arbeite, dann muss diesen Einhalt geboten werden, im Zweifel mit mehr Bürokratie." Zurzeit hat Gerlach zwei einstweilige Verfügungen gegen den Konkurrenten aus Bielefeld am Landgericht Köln erwirkt, die dritte bahne sich gerade an, sagt Gerlach.

Der Grund für die aufgeheizte Stimmung in der Branche liegt aber offenbar noch woanders. Mittlerweile haben immer mehr Kindertagesstätten oder Grundschulen regelmäßig mit Kopfläusen zu kämpfen. Michael Forßbohm vom Gesundheitsamt Wiesbaden ist Experte für das Problem und hat die ihm gemeldeten Fälle hochgerechnet, weil er von "einer erheblichen Dunkelziffer" ausgeht. "Angenommen, der Befall träte tatsächlich bei zehn Prozent der Mädchen zwischen dem 3. und 13. Lebensjahr auf, so brächte jedes Mädchen rechnerisch ein Mal in diesen zehn Jahren einen Kopflausbefall aus einer Einrichtung mit." Bei den Jungen ist die Zahl wegen kürzerer Haare etwas geringer, doch oft ist nicht nur das Kind, sondern auch die Umgebung von Läusen befallen. "Angesichts der Häufigkeit des Kopflausbefalls und der Notwendigkeit einer Behandlung leuchtet es ein, dass es sich bei Läusemitteln um einen wirtschaftlich relevanten Markt handelt, der hart umkämpft ist", erläutert Forßbohm.

Dörrenberg rechnet vor, dass es in den vergangenen sechs Jahren immer zweistellige Wachstumsraten beim Verkauf von Läusebekämpfungsmitteln gab. "Es lohnt sich also, weiter zu kämpfen."

Umworben und verkannt

Viele Politiker sehen den Mittelstand als wichtige Wählerschicht, und fast alle Parteien haben mittlerweile Mittelstandsinitiativen gegründet, erläutert Stefan Heidbreder, Geschäftsführer der Stiftung Familienunternehmen. Und dennoch zieht er den Schluss, dass "Familienunternehmer von der Politik gleichermaßen umworben und verkannt werden". Denn diese "größte und heterogene Gruppe der Unternehmen wird bei Gesetzentwürfen oft vernachlässigt". Zum Teil mit fatalen Folgen für Tausende Firmen, mit noch viel mehr Mitarbeitern, wie das aktuelle Beispiel der Erbschaftsteuer zeige.

Das alles passiert, obwohl viele Mittelstandsverbände beim Deutschen Bundestag gemeldet sind. Insgesamt 115 von ihnen beschäftigen sich irgendwie mit dem Thema Mittelstand, ergab eine Anfrage des Handelsblatts beim Deutschen Bundestag.

Für den Mittelstandsbeauftragten der CDU, Michael Fuchs, ist das ein Problem: "Wir könnten viel mehr für den Mittelstand tun, wenn die Verbände sich fokussieren und vereinen würden", ist Fuchs überzeugt. Er glaubt, dass ein mächtiger Vertreter mehr bewirken könne. "Wenn dagegen alle zwei Minuten ein Unternehmen oder Verbandsvertreter vorstellig wird, dann wird es schwer."

Auch die Firma Wolff hatte mit ihrem Anliegen alle Bundestagsabgeordneten, die sich mit Gesundheitsthemen befassen, angeschrieben. Es kam bislang nur eine Rückmeldung - mit vielen Rückfragen. Heidbreder von der Stiftung Familienunternehmen wundert das nicht, denn die Komplexität nehme auf beiden Seiten zu. Die Wege der Politik seien für hilfesuchende Unternehmer genauso anspruchsvoll, wie die Eigenheiten einiger Branchen für die Politiker. Deshalb glaubt er, dass eine hohe Zahl von Verbänden auch gar nicht schade. So gebe es jeweils Verbände für spezielle Probleme, die dann aber in der Politik auch die richtigen Ansprechpartner kennen. Deshalb würde Heidbreder eher den Weg über einen Verband als einen Alleingang empfehlen.

Ein Blick in die Zukunft zeigt aber, dass es nicht leichter für Mittelständler wird, sich Gehör zu verschaffen. Zum einen steigt die Zahl der Lobbyisten immer weiter, und selbst die großen Industrieverbände beklagen einen Verlust an Einfluss, weil viele Konzerne über eigene Repräsentanzen in Berlin agieren. Gleichzeitig werden immer mehr Gesetze in Brüssel beschlossen. Und während die großen Konzerne dorthin bereits seit längerem eigene Vertreter entsandt haben, wird es für die Mittelständler noch unübersichtlicher.

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