Erdgas Warum E.On die Nähe zu Putin sucht

Der Energieriese E.On investiert jetzt massiv im Osten. Sein neuer Russlandchef Sergei Tazin soll Lieferengpässe beim Gas verhindern. Dazu gehören auch gute Beziehungen zu Russlands Machthabern.

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Eine Gas-Pipeline von E.On Quelle: AP

Bei Sergei Tazin ist sich der Besucher nie ganz sicher, ob ein Amerikaner oder ein Russe vor ihm sitzt. Kulturell ist der gebürtige Russe, der Vater von vier Kindern und mit einer Amerikanerin verheiratet ist, beides. Seinen Berufsweg startete der 44-Jährige im Kontrollzentrum eines New Yorker Kraftwerks. Management lernte er unter anderem beim früheren General-Electric-Chef Jack Welch, später arbeitete er für verschiedene russische Energieunternehmen. Jetzt ist Tazin unterhalb der Vorstandsebene einer der wichtigsten Manager beim größten deutschen Versorger E.On (70 Milliarden Euro Umsatz, 87 000 Beschäftigte). Er leitet dort seit Jahresbeginn das Russlandgeschäft.

Sein neuer Job wird so heiß wie der eskalierte Streit von Russland und der Ukraine um die Gaslieferungen: Mitten in der Polarkälte drehte der russische Energiekonzern Gazprom auch den Westeuropäern vergangene Woche den Gashahn zu. Und E.On ist größter deutscher Importeur von russischem Erdgas aus Sibirien. Tazin muss nun nicht nur die geschäftlichen Interessen seines Arbeitgebers bei den politischen und wirtschaftlichen Schaltstellen der Macht in Russland vertreten. Zu seiner Aufgabe gehört auch, die Energieinteressen Deutschlands in Osteuropa und Russland zu wahren, um noch Schlimmeres zu verhüten – einen dauerhaften Lieferengpass von Erdgas in deutsche Haushalte und Unternehmen.

40 Prozent des deutschen Gasverbrauchs kommt aus Russland, ein Fünftel davon über Pipelines durch die Ukraine. Mit dem Lieferstopp setzt Gazprom ein Zeichen, dass Westeuropas Gasversorgung von Streits zwischen Russland und den Pipeline-Transitländern nicht unberührt bleiben wird. Das macht die Frage nach der Versorgungssicherheit von Deutschland mit Erdgas noch drängender.

E.On könnte Einfluss bei Gazprom einbüßen

E.On-Gaschef Bernhard Reutersberg spricht bereits von „Lieferengpässen“ aus Russland: „Auch unsere Möglichkeiten stoßen an ihre Grenzen, wenn diese drastischen Lieferkürzungen anhalten.“ Hintergrund dieser etwas hilflos wirkenden Bemerkung: In den Gaslieferverträgen fehlt die konkrete Verpflichtung, zu liefern – egal, welche Streitigkeiten Gazprom gerade mit dem jeweiligen Pipeline-Transitland ausfechtet.

Bisher stellte sich das Problem nicht. In den 40 Jahren seit es Langfristverträge zwischen Russland und Deutschland gibt, haben die Russen immer Gas geliefert. Unter den kommunistischen Regimen gab es ohnehin keine politischen Auseinandersetzungen, sondern nur Befehl von oben. Doch die politische Landkarte hat sich verändert. Die nach Westen orientierte Ukraine und auch das EU-Mitglied Polen, durch dessen Pipelines zeitweise russisches Erdgas nach Deutschland fließt, sind sich nicht immer einig mit der russischen Regierung, die Gazprom beherrscht und das Gasgeschäft als nationales Heiligtum ansieht.

Konkret soll Tazin solche Lieferverpflichtungen über die Transitländer hinweg vertraglich fixieren. Dazu benötigt er exzellente Beziehungen bis nach ganz oben in russische Regierungsstellen. Tazin muss nun diese Drähte, seine Herkunft und seine internationale Ausbildung in die Waagschale werfen, um mit Justierungen der Langfristverträge das Vertrauen von deutschen und russischen Partnern auch in Zukunft zu stabilisieren. Wie er das machen will? „Man muss sich auf die russische Mentalität und Geschäftskultur einstellen. Ohne Frage kommt es im Russland-Geschäft auch darauf an, gute Beziehungen zur Politik zu pflegen“, sagt Tazin zur WirtschaftsWoche.

Und hier hat E.On Nachholbedarf. Im Tausch mit Förderrechten am sibirischen Gasfeld Jushno Russkoje reduzierte E.On seinen Anteil an Gazprom von 6,4 auf 3,5 Prozent. Es ist fraglich, ob die Deutschen mit diesem abgespeckten Aktienpaket noch wie bisher einen Vertreter in den Aufsichtsrat von Gazprom entsenden dürfen. Mit der Aktienreduzierung droht die Nähe von E.On zu den energiepolitischen Zentralen Russlands gefährlich abzunehmen. Umso wichtiger ist Tazins Aufgabe in Russland.

E.On investiert massiv in Sibiriens Stromerzeuger

Der Dienstsitz von Tazin – dem neuen "CEO von E.On Russland“, wie ihn Strategievorstand Lutz Feldmann tituliert – wird Moskau sein, nahe an der Duma, dem Dienstsitz von Russlands Premier Wladimir Putin. Möglichst direkt bei ihm soll Tazin wirken – und nicht nur für das Gasgeschäft die Weichen stellen, sondern auch beim Strom. Denn E.On hat sein Geschäft in Russland mit dem Kauf von 76 Prozent an dem Stromproduzenten OGK-4 in Sibirien für 4,6 Milliarden Euro erweitert. Analysten bewerten diesen Einstieg als viel zu teuer. Die E.On-Zentrale in Düsseldorf muss jetzt das sibirische Management aus einer Entfernung von 6000 Kilometern in den Griff bekommen (siehe Seite 50). Der russische Strommarkt gilt als unübersichtlich und korruptionsanfällig und wird bisher weitgehend vom Staat kontrolliert.

E.On hat ehrgeizige Ziele in Russland. In den vergangenen zwei Jahren haben die Düsseldorfer dort mehr als fünf Milliarden Euro investiert. Weitere fünf Milliarden Euro sollen in den kommenden Jahren folgen. Somit hat Tazin vier große Aufgaben vor sich:

Tazin soll den politischen Kontakt von E.On zu Putin, der die russische Energiepolitik maßgeblich bestimmt, intensivieren. Der Russe soll dafür sorgen, dass bei verkleinertem Anteil von E.On an Gazprom dennoch weiterhin ein E.On-Vertreter im Aufsichtsrat sitzt. Das war bisher der frühere E.On-Gaschef Burckhard Bergmann. Nach Informationen aus Konzernkreisen könnte Tazin irgendwann den Posten selbst übernehmen. Er soll sicherstellen, dass Gazprom an der Ostsee-Pipeline Nord Stream festhält, an der E.On mit 20 Prozent beteiligt ist. Die Pipeline, die Russland direkt mit Deutschland verbindet, soll Konfliktzonen wie die Ukraine umgehen. Dagegen sperrt sich vor allem Polen, das mit der Ostsee-Pipeline von seiner Transitrolle ausgeschlossen würde. Schweden und Finnland haben aus Umweltgründen Bedenken gegen die Leitung, die durch ihre Gewässer führen soll. Das Projekt ist von hoher politischer Bedeutung. Putin drohte bereits damit, Nord Stream wegen der Widerstände zu kippen. Tazin soll nun im Duett mit dem Putin-Freund, Ex-Kanzler und Ostsee-Pipeline-Aufsichtsratschef Gerhard Schröder das Projekt retten. Vorige Woche war Schröder schon bei Putin. Danach hieß die Sprachregelung: „Wir müssen das umsetzen.“ Doch das Treffen wurde eher als Goodwill-Veranstaltung gewertet. Tazin soll den Stromanbieter OGK-4 in die E.On-Welt integrieren. Streit und Kleinkriege im Management führten beim deutschen E.On-Konkurrenten RWE jüngst dazu, dass sich RWE aus einem Milliardenengagement bei einem russischen Energieversorger zurückzog. Schadensersatzklagen der Russen waren die Folge. Ähnliches soll Tazin für E.On verhindern.

Die Hoffnung: Putin soll den Strommarkt liberalisieren

Damit E.On an seinem Kauf auch Freude hat, soll der Manager dafür sorgen, dass Putins Versprechen, den russischen Strommarkt zu liberalisieren, auch Wirklichkeit wird. Dies war eine wichtige Grundlage der Milliardenübernahme, denn mit der Liberalisierung würden auch die Strompreise nach und nach freigegeben. Ob Putin das Mütterchen Russland mitten in der Krise tatsächlich antun wird, ist allerdings ungewiss.

Den Antrittsbesuch bei Putin – zusammen mit E.On-Chef Wulf Bernotat und Strategievorstand Feldmann – hat Tazin bereits hinter sich. Außer freundlichem Geplänkel kam dabei zunächst nichts heraus. Aber dass der Kontakt mit der E.On-Spitze zustande kam, ist Tazins erster Verdienst.

Der Mann, der bei Jack Welch lernte, sich gnadenlos durchzusetzen, könnte das eines Tages nicht mehr nur in den Weiten Russlands, sondern im milderen Klima Düsseldorfs tun: Bei Erfolg im Reich der Kälte winkt Tazin ein Vorstandsposten bei E.On.

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