Entwicklung Wohlstand: Armes Deutschland

Die Krise: Deutschland, drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, ist auf dem absteigenden Ast. Selbst in guten Jahren erzielt das einstige Wirtschaftswunderland nur noch magere Wohlstandszuwächse. Gewiss: Von außen gesehen sieht die Bundesrepublik Deutschland immer noch wie ein reiches Land aus. Doch ihren im internationalen Vergleich hohen Lebensstandard halten ihre Bürger schon heute eigentlich nur noch, weil sie von der Vergangenheit zehren – und sich zugleich massiv Geld aus der Zukunft borgen.

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Wiwo-Grafik: Der Wohlstand sinkt

Wie weit es mit Deutschland gekommen ist, zeigt der Blick nach Irland: 1960 erreichte das irische Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf kaufkraftbereinigt nur 36 Prozent des bundesrepublikanischen Niveaus – neben Portugal war die Inselrepublik das Armenhaus Westeuropas. 1980 hatten sich die Iren auf 55 Prozent des westdeutschen Niveaus herangearbeitet. 1998 zogen sie mit dem wiedervereinigten Deutschland gleich. Und in diesem Jahr schon wird Irlands Pro-Kopf-Einkommen kaufkraftbereinigt das deutsche um 20 Prozent übersteigen. Irland ist nur ein krasses Beispiel: Die Bundesrepublik war 1980 unter den heutigen 15 EU-Mitgliedsländern das Land mit dem dritthöchsten Pro-Kopf-Einkommen. Seither ging es im Vergleich mit den Nachbarn bergab: 1995 reichte es noch für Rang vier – hinter Dänemark, Belgien und Österreich. 2000 war Deutschland auf Platz 7unter den 15 abgestiegen, in diesem Jahr dürfte es nur Rang 10 werden. Inzwischen erwirtschaften auch Briten, Franzosen und Holländer mehr Wohlstand als die Deutschen. Dass arme Länder zu reicheren aufschließen, ist nur natürlich. „Länder mit einem in der Ausgangslage geringeren Kapitalstock weisen zunächst höhere Wachstumsraten auf“, weiß Horst Siebert, ehemaliger Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Deutschland selbst ist das beste Beispiel. In der großen Zeit des Wirtschaftswunders, den Fünfzigerjahren, legte die westdeutsche Wirtschaftsleistung jährlich im Durchschnitt um stolze 7,5 Prozent zu. In den Sechzigern reichte es immerhin noch für 4,4 Prozent. Hoher Leitzins belastet Auf der anderen Seite zeigen Dänemark, die Niederlande und die USA, dass auch wohlhabende Länder weiter kräftig wachsen können. So haben es die Vereinigten Staaten wie kaum ein anderes Land geschafft, die Effizienzsteigerungen durch die Revolution bei den Informations- und Kommunikationstechnologien zu nutzen – Wachstumsraten von vier Prozent und mehr waren in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre die Belohnung. Klar ist aber auch, dass Deutschland in den vergangenen Jahren mit Problemen zu kämpfen hatte, von denen andere verschont blieben. So ist die Bundesrepublik mit einem überbewerteten D-Mark-Kurs in die europäische Währungsunion eingetreten – und hat deshalb nun Probleme mit der Wettbewerbsfähigkeit. Richtig ist ebenfalls, dass die deutsche Volkswirtschaft unter einem zu hohen Leitzins leidet. Angesichts des niedrigen Preisanstiegs hat Deutschland mit den höchsten Realzins in der Währungsunion. Und schließlich ist auch klar, dass das Ende der politischen Teilung Deutschlands dem Westen des Landes auch über 13 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer noch eine große Bürde auflädt. Immerhin werden Jahr für Jahr netto rund vier Prozent der westdeutschen Wirtschaftsleistung nach Ostdeutschland transferiert.

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