Michael Frese im Interview „Wunderbares Rohmaterial“

Der Gießener Organisationspsychologe Michael Frese über den fruchtbaren Umgang mit Fehlern, unausweichliches Versagen und die schädlichen Folgen verängstigter Mitarbeiter.

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WirtschaftsWoche: Herr Frese, wir haben deutsche Topmanager zu ihren Fehlern gefragt, aus denen sie am meisten gelernt haben. Nur wenige wollten über ihre Fehler sprechen. Warum? Frese: Das wundert mich nicht. Fehler sind das letzte Tabu im Wirtschaftsleben. Ich versichere Ihnen: Es ist leichter, Forschung über das Sexualleben älterer Manager zu betreiben als über ihre Fehler. Sie übertreiben! Keineswegs. Fehler sind das negativePendant zu Leistung. Manager betrach-ten Fehler als etwas Schlechtes, ja Bösartiges. Mindestens aber sind sie etwas, das die Karriere vermiesen kann. Wer einen Fehler macht, so das gängige Ur teil, hat versagt. Deshalb schweigt man sie lieber tot. Aber das gängige Urteil ist doch falsch. Wieso ist es dennoch so wirksam? Wir lauern nur darauf, Fehler anderer anzuprangern. Auf diese Weise schonen wir unser Ego. Gerade kompetitiv veranlagte Männer denken so. Wenn ich selbst einen Fehler mache, dann weiß ich in der Regel, wie er zustande gekommen ist. Die anderen kennen diese Umstände aber nicht. Sie sehen nur den Fehler, den Schuldigen und sprechen ihr Urteil. Journalisten haben übrigens diesen Mechanismus perfektioniert: Sie machen Fehler gern an einer Person fest. Weil wir aber wissen, dass alle so denken, kehren wir den Missgriff lieber unter den Teppich. Hinzu kommt: Fehler sind im Nachhinein oft so fürchterlich offensichtlich. Man fühlt sich zutiefst blamiert. Ist es schwerer geworden, Fehler zu erkennen? Ganz klar. Der größte Fehler ist, nicht zu akzeptieren, dass wir permanent Fehler machen. Dabei sind Fehler doch etwas ganz Normales, für jedermann Unausweichliches. Stimmt. Gerade in unserem beschleunigten, immer komplexeren Berufsalltag wimmelt es nur so von Fehlern und schlecht erkennbaren Fehlerquellen. Unser Gehirn arbeitet heuristisch, das heißt mit Hypothesen und vorläufigen Annahmen, während etwa ein Computer algorithmisch, also nach starren Regeln, Aufgaben löst. Wenn Sie einen Ball in ein Kornfeld werfen, gehen wir an die Stelle, wo wir den Ball vermuten und beginnen mit der Suche. Mit einer Wahrscheinlichkeit von ungefähr 95 Prozent finden wir den Ball. Eine Maschine würde nach einem Algorithmus Furche für Furche absuchen und mit 100-prozentiger Wahrscheinlichkeit die Aufgabe lösen. Allerdings braucht die Maschine viel länger für die Lösung. Die fehlerbehaftete Methode ist also effizienter. Was meinen Sie, wie viele Fehler macht ein Topmanager pro Tag? Sie haben im Schnitt neun Minuten Zeit für eine Entscheidung, da geht ständig etwas schief. Jeder – ob Führungskraft oder Sachbearbeiter – macht zwei bis fünf Fehler pro Stunde und Handlungsbereich. Das Gros der Fehler – etwa ein Grammatikfehler während des Sprechens – ist trivial. Unser Gehirn korrigiert die Fehlgriffe automatisch. Das Dumme ist nur: Ein kleiner Prozentsatz der Fehler hat wirklich negative Konsequenzen. Wie können wir diese Fehler verhindern? Gar nicht. Es sei denn, Sie sitzen zu Hause untätig auf Ihrem Sofa. Aber selbst das wäre ein Fehler. Wir können nur die negativen Fehlerkonsequenzen verringern und die positiven erhöhen. Was müssen wir dafür tun? Wir sollten Fehler nicht verteufeln. Pannen sind ein wunderbares Rohmaterial, um Neues zu entdecken. Das menschliche Gehirn ist imstande, über Irrwege zu herausragenden Ideen und Innovationen zu gelangen. In unseren Fehlern schlummert ein unschätzbares kreatives Potenzial. Viele große Leistungen gehen auf Fehler zurück: Die Erfindung des Penicillins, die Entdeckung Amerikas – die Liste können Sie beliebig fortsetzen. Außerdem können Unternehmen durch ein engagiertes Fehlermanagement Prozesse verbessern.

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