Unternehmerinnen am Limit Alleinerziehend und selbstständig – der Königsweg?

Alleinerziehende sind für Personalchefs ein rotes Tuch und gelten auf dem Arbeitsmarkt als schwerst vermittelbar. Was also tun, wenn einen keiner mehr einstellt?

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Die Verhältnisse sind prekär und müssen sich ändern - zum Wohle der Betroffenen, ihrer Kinder und zum Wohle der ganzen Gesellschaft, fordert die Autorin Christine Finke in ihrem Buch.

Konstanz Das Geld ist immer knapp, der Alltag hektisch, und für die Kinder bleibt wenig Zeit. Alleinerziehende wie die Autorin Christine Finke befinden sich nicht nur am Rande der Belastbarkeit, auch von Gesellschaft und Politik werden sie benachteiligt: besteuert nahezu wie Singles, auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert und von der Gesellschaft missachtet - obwohl ihre Kinder unsere Zukunft sichern. Für unser Businessnetzwerk Leader.In hat Christine Finke, die selbst alleinerziehende Mutter von drei Kindern ist, diesen Gastbeitrag geschrieben. Sie weiß genau, wovon sie spricht.

Sie nennen sich Mompreneurs, sind bestens vernetzt, und treten nach außen als Frauen auf, die das Unmögliche geschafft haben: den turbulenten Alltag mit Kind zu meistern und gleichzeitig ihr Hobby zum Beruf gemacht zu haben, die Glücklichen. Viele arbeiten als Texterin, Grafikerin, Übersetzerin, oder vertreiben selbstgemachte Produkte. Gejammert wird nicht, und wenn, dann höchstens über die anziehende Auftragslage, die frau aber selbstredend bestens im Griff habe.

Doch in geschlossenen Facebook-Gruppen oder im Gespräch mit Freunden sieht die Sache schon anders aus – da erfährt man, dass schon wieder ein Kunde nicht gezahlt habe, die Anfragen unfassbar kurzfristig kommen, und die kranken Kinder oder die ständigen Schließzeiten von Hort und Kita den selbstständigen Frauen einen Strich durch die Rechnung machen. Denn selbstständig und Mutter zu sein, das ist kein Zuckerschlecken, im Gegenteil. Oft genug ist dieses Unternehmertum eine reine Notlösung, um nicht in Arbeitslosigkeit oder Hartz IV zu landen, und ähnelt eher einer prekären Beschäftigung als einer Firma.

Während verheiratete Mütter oder solche in Beziehungen nicht selten darüber klagen, dass der Mann ihre beruflichen Aktivitäten belächle und ihre Arbeit immer an zweiter Stelle komme, haben es Mütter ohne Partner an der Seite aber noch viel schwerer. Und trotzdem wird von ihnen erwartet, dass sie funktionieren.

Natürlich wird es das – die Kinder brauchen ein geordnetes, liebevolles Zuhause, und die Auftraggeber interessiert nicht, wie die familiäre Situation ist. Eine Deadline ist eine Deadline, und wer sie verpatzt oder von vorneherein einen Auftrag ablehnt, ist draußen.


Die Altersarmut winkt aus der Ferne

Jeden Monat im Ungewissen darüber zu sein, wie viel Geld reinkommt, ist eine enorme Belastung – die wenigsten selbstständigen Kleinunternehmerinnen haben so viele feste Aufträge, dass sie zuverlässig mit Geldeingängen rechnen können. Und weder selbst krank werden zu können, noch sich so, wie eine Mutter es gerne täte, um ein erkranktes Kind kümmern zu können, weil der Schreibtisch voll ist, ist ein ganz blödes Gefühl.

Bei jedem Kinderarztbesuch läuft innerlich die Stechuhr, denn Arbeitszeit ist kostbare Zeit. Dass krankheitsbedingte Ausfälle den Verlust eines Kunden bedeuten würden, und dass es weder bezahlte Krankheitstage noch Mutterschutz oder bezahlten Urlaub gibt, sind Nebenaspekte der Freiberuflichkeit, die zu Dauerstress führen können. Krankenkassenbeiträge müssen natürlich auch selbst abgeführt werden, und für die Rente zu sparen, das schaffen viele selbstständige Alleinerziehende nicht. Die Altersarmut winkt schonmal aus der Ferne.

Neid auf die große Freiheit bei alleinerziehenden Selbstständigen ist also nicht angebracht. Warum geben aber dann diese Frauen jeden Monat doch wieder alles, und wieso hängen sie so an der Selbstständigkeit? Es ist ganz einfach, und sehr niederschmetternd: weil drei von vier Alleinerziehenden keinen vollen, regelmäßigen Unterhalt fürs Kind vom Kindsvater erhalten und die Möglichkeiten, dieses Geld einzuklagen, nur von sehr begrenzten Erfolgsaussichten gekrönt sind.

Warum das so ist, müsse noch erforscht werden, sagt die neueste Bertelsmannstudie zum Thema Alleinerziehende – betroffene Frauen haben da ihre eigenen Theorien, sie erzählen von unmotivierten oder inkompetenten Beistandschaften des Jugendamtes, Ex-Männern, die lieber schwarz arbeiten oder sich ins Ausland absetzen, als Unterhalt zu zahlen, und von Familiengerichten, denen egal ist, wie das neue Motorrad und die schicken All-Inclusive Urlaube des nicht zahlungsfähigen Vaters bezahlt wurden, weil die Angabe, dies seien Geschenke, vom Gesetzgeber als ausreichend angesehen wird. Nicht einmal die Kontobewegungen des säumigen Zahlers darf der Staat einsehen.


Andere Alleinerziehende kapitulieren

89 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen, und da der Unterhaltsvorschuss vom Staat auf maximal 6 Jahre begrenzt ist, und wenn das Kind 12 wird, gar nicht mehr gezahlt wird, sowie obendrein systematisch zu niedrig angesetzt ist, müssen diese Frauen irgendwie Geld ins Haus bekommen. Sie sind Ernährer und Familienoberhäupter, ob sie das wollen oder nicht.

Das Jobcenter oder Arbeitsamt vermitteln Alleinerziehende vorwiegend in 1-Euro-Jobs oder Fortbildungen, deren Nutzen in den Sternen steht, und bei denen die Zukunftsperspektiven miserabel sind. Also beißen etliche Alleinerziehenden in den sauren Apfel und malochen von Zuhause aus. Was ihre Einsamkeit oft nur verstärkt. Aber es bleibt ihnen ja nichts anderes übrig. Verglichen mit einer vom Jobcenter verordnete Umschulung zur Altenpflegerin oder Erzieherin ist die Selbstständigkeit immer noch die bessere Wahl, denkt sich so manche.

Andere Alleinerziehende kapitulieren und versuchen gar nicht mehr, beruflich einen Fuß in die Türe zu bekommen. Mit fatalen Folgen für die Kinder, die dadurch jahrelang in Hartz-IV-Bezug leben, was kein guter Start ins Leben ist und für messbare Defizite sorgt, zum Beispiel im Bereich der Motorik, der musikalischen Förderung, und bei der Teilhabe in Sportvereinen.

1 Million Kinder von Alleinerziehenden kennen nur eine Mutter, die keinem Beruf nachgehen kann, sondern über Jahre vom Staat lebt. Die Nichterwerbsquote von alleinerziehenden Müttern, die Kleinkinder betreuen, ist nach wie vor hoch – und verglichen mit alleinerziehenden Männern wagen deutlich weniger alleinerziehende Frauen den Schritt in die Selbstständigkeit: Alleinerziehende Mütter sind zu 5,1 Prozent selbstständig, während von den alleinerziehenden Väter 12,5 Prozent selbstständig arbeiten.

Woran das liegt? Nun, alleinerziehende Väter betreuen meist nur ein Kind, und die Statistik sagt uns, dass dies fast ausschließlich ältere Kinder ab Vorschulalter sind, die seltener Krankheitskeime aus Kita und Krippe mit nach Hause schleppen und sich auch kurze oder längere Zeit selbst beschäftigen können.


Am Rande ihrer Kräfte

Es ist also nicht alles Gold, was wie freies Unternehmertum glänzt. Und trotzdem wählen laut Destatis 118.000 alleinerziehende Frauen und 409.000 alleinerziehende Väter lieber den Weg der Selbstständigkeit, als sich in der vielzitierten sozialen Hängematte auszuruhen. Vielleicht, weil sie ihrem Kind ein Vorbild sein wollen. Vielleicht auch, weil sie einfach gerne arbeiten. Vor allem aber, weil sie mit ihren Talenten fürs eigene Auskommen sorgen möchten, anstatt in einer “Maßnahme” zu verblöden.

Schade eigentlich, denn eigentlich könnte der Staat hier etliche Anreize setzen, um das Unternehmertum attraktiver zu gestalten, angefangen beim Mutterschutz bis hin zur Möglichkeit, in Notsituationen Hilfe bei der Kinderbetreuung oder eine begrenzte Zahl von Krankentagegeld/Urlaubsgeld für alleinerziehende Mütter qua Fördertopf zur Verfügung stellen.

Das wäre ein wichtiges Zeichen und echter Ansporn für die Betroffenen, die sich oft genug am Rande ihrer Kräfte abstrampeln und sich von der Gesellschaft komplett alleine gelassen fühlen.

Und im Grunde nur recht und billig, denn alle würden profitieren: die selbstständigen Alleinerziehenden, ihre Kinder, und am Ende die ganze Gesellschaft. Aber um das zu erkennen, braucht es nachhaltiges Denken. In einer Zeit, in der kurzfristige Profite als Erfolge zählen, mag das nicht ganz einfach zu vermitteln sein. Aber es lohnt sich.

Über die Autorin

Christine Finke, Jahrgang 1966, bloggt seit 2011 unter dem Namen "Mama arbeitet" über ihr Leben als Alleinerziehende mit drei Kindern. Die promovierte Anglistin, freie Journalistin und Kinderbuchtexterin lebt in Konstanz am Bodensee, wo sie sich als Stadträtin für Kinder und Familienfreundlichkeit einsetzt. Mit ihrem Blog erreicht sie täglich mehrere tausend Leser und ist deutschlandweit bekannt. Ihr Buch „Allein, alleiner, alleinerziehend - Wie die Gesellschaft uns verrät und unsere Kinder im Stich lässt“ ist kürzlich bei Lübbe erschienen.

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