US-Rezessionsangst Das R-Wort geht um

Die Börsen fürchten eine Rezession in den Vereinigten Staaten. Das US-Wachstum hat sich seit Sommer abgeschwächt, die Auftragsflaute in der Industrie verunsichert zusätzlich. Nur der Konsum lässt noch hoffen.

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Geht es in den USA bergab? An den Märkten herrscht Unsicherheit, ob es in den Vereinigten Staaten zu einer Rezession kommt. Quelle: ap

Frankfurt Ein Gespenst geht um an den Börsen - das Gespenst einer Rezession in Amerika. Trieb bislang vor allem der stotternde Wirtschaftsmotor in China die Investoren um, rückt nun die weltgrößte Volkswirtschaft in den Fokus. Denn dort läuft es nicht so rund wie es sollte. „Das 'R'-Wort steht wieder auf der Tagesordnung“, sagt Chefanalytiker Bo Bejstrup Christensen von Danske-Invest. Die Strategen von MM Warburg betonen, die derzeit beherrschende Frage an den Börsen sei, ob in den USA mit einem kräftigen Abschwung oder sogar mit einer neuen Rezession gerechnet werden müsse.

Der Zeitpunkt für solche Ängste ist denkbar ungünstig: China-Krise, Ölpreis-Verfall und die Sorge vor Kreditausfällen im Bankensektor haben an den Finanzmärkten seit Jahresbeginn für heftige Turbulenzen gesorgt. Der deutsche Leitindex Dax verlor seitdem rund fünfzehn Prozent, bei den US-Indizes sind es bis zu elf Prozent.

Seit Sommer verlangsamt sich das Wachstum in den USA. Ende 2015 legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nur noch um 0,2 Prozent zu. Selbst die chronisch schwächelnde Euro-Zone schaffte 0,3 Prozent. Ein Grund dafür ist der stark gestiegene Dollar - US-Produkte verteuern sich dadurch auf dem Weltmarkt. Zudem wagte im Dezember die Notenbank Fed die erste Zinserhöhung seit zehn Jahren. Doch mit dem Nullzins fällt ein großer Wachstumsbeschleuniger weg, wie einige Börsianer fürchten. Durch die höheren Zinsen werden Kredite teurer und die Wirtschaft damit nicht mehr so stark angeregt. Nicht wenige fühlen sich an die Finanzkrise erinnert, die die ganze Welt in einen Abwärtsstrudel gerissen hatte. Im Dezember 2007 fiel die USA in einen 18 Monate währenden Wirtschaftsabschwung.

In europäischen Ländern spricht man von einer Rezession, wenn das Bruttoinlandsprodukt zwei Quartale in Folge schrumpft. In den USA hat das private Institut National Bureau of Economic Research (NBER) das letzte Wort. „Eine Rezession ist ein Zeitraum, in der die wirtschaftliche Aktivität quer durch die Wirtschaft schrumpft“, lautet dessen Definition. Sie muss länger als ein paar Monate dauern sowie bei Realeinkommen, Beschäftigung, Industrieproduktion und im Groß- und Einzelhandel sichtbar sein.


Uneinigkeit über Zustand der US-Wirtschaft

Über Amerikas tatsächlichen Gesundheitszustand herrscht bei Börsianern Uneinigkeit. Strategen großer Bankhäuser wie Morgan Stanley und Bank of America Merrill Lynch zufolge liegt die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in diesem Jahr bei rund 20 Prozent. Vor allem eine Auftragsflaute in der Industrie gibt Grund zur Sorge. So gingen etwa die Bestellungen langlebiger Güter wie Maschinen seit November drei Monate in Folge zurück. Zudem droht vielen Ölkonzernen wegen des Preiseinbruchs des schwarzen Golds das Aus. Nach Prognose der Unternehmensberatung Deloitte wackelt jede dritte der 500 weltweit untersuchten Firmen, viele davon in den USA. Wenn sie ihre Verbindlichkeiten nicht mehr begleichen können, trifft die Krise auch die Banken. Kommt es zu einem massiven Jobverlust in der Ölindustrie, drohen darüber hinaus noch reihenweise Verbraucherinsolvenzen.

Doch noch knicke der US-Konsum nicht ein, hält NordLB-Analyst Tobias Basse entgegen. So hätten im Januar die gestiegenen Einzelhandelsumsätze positiv überrascht. Das zeige, dass die Verbraucher bislang nicht nachhaltig verunsichert seien. Zudem profitiere der private Konsum von den niedrigen Benzinpreisen, sagt Martin Hüfner vom Vermögensverwalter Assenagon.

Das zeigt sich auch am Arbeitsmarkt: die Arbeitslosigkeit fiel mit 4,9 Prozent im Januar auf das niedrigste Niveau seit acht Jahren. Damit herrscht praktisch Vollbeschäftigung. „Vor den letzten Rezessionen hat die Abkühlung der Wirtschaft am Arbeitsmarkt stets deutliche Bremsspuren hinterlassen“, betont Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. So sei die Arbeitslosenquote in den sechs Monaten vor Rezessionsbeginn um durchschnittlich 0,3 Prozentpunkte gestiegen, während sie im vergangenen halben Jahr dagegen um 0,4 Punkte gefallen sei. „Die Diagnose ist damit klar: Die US-Wirtschaft ist nicht in einer Rezession“, sagt Krämer. „Und kurzfristig droht auch keine.“

Die Schwarzseher vermuten allerdings schon im Kursverfall der vergangenen Wochen den Vorboten eines wirtschaftlichen Absturzes. Tatsächlich sind Dow Jones & Co in den meisten Fällen im Vorfeld von Rezessionen um 15 bis 20 Prozent abgesackt - unfehlbar ist dieser Indikator allerdings auch nicht. So sind beispielsweise 1988 und 2002 die Kurse derart eingebrochen, ohne dass die Wirtschaft anschließend kollabierte, wie eine Studie von Alliance Bernstein zeigt. „Wenn es um die Prognose von Rezessionen geht, haben Bärenmärkte in der Vergangenheit nur eine Trefferquote von gut 50 Prozent gehabt, was ungefähr einem Münzwurf entspricht“, sagen die Strategen von MM Warburg.

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