Verband schlägt Alarm Viele Mittelständler ignorieren Industrie 4.0

Während die deutsche Industrie auf Wachstum durch die Digitalisierung setzt, hinkt der Mittelstand beim Thema Industrie 4.0 hinterher. Mario Ohoven vom Mittelstandsverband spricht von einer alarmierenden Entwicklung.

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Vom digitalen Wandel profitiert die Industrie. Dass viele Mittelständler das Thema nicht so ernst nehmen, hält der zuständige Verband für ein Alarmsignal. Quelle: dpa

Berlin Der Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW), Mario Ohoven, blickt mit Sorge auf die Haltung vieler Mittelständler zur Digitalisierung der Wirtschaft. „Beim Thema Industrie 4.0 hat der deutsche Mittelstand noch sehr großen Nachholbedarf. Wenn selbst in der innovativen und exportstarken Elektroindustrie rund 40 Prozent der Unternehmen meinen, Digitalisierung sei nicht ihr Thema, dann ist das ein Alarmsignal“, sagte Ohoven dem Handelsblatt (Online-Ausgabe).

Ohoven warnte, angesichts des technologischen Wandels den Kopf in den Sand zu stecken, sei keine Lösung. „Die Mittelständler müssen jetzt die Weichen für ihre zukünftige Wettbewerbsfähigkeit stellen – mit Unterstützung der Politik.“ Die Bundesregierung habe der Digitalisierung der Wirtschaft im Koalitionsvertrag Priorität eingeräumt, fügte der Mittelstands-Präsident hinzu. Jetzt müsse sie den Worten auch Taten folgen lassen.

„Es ist sicher nicht zielführend, dass für die Digitalisierung gleich drei Bundesministerien zuständig sind“, bemängelte Ohoven in diesem Zusammenhang. „Hier könnte eine Bündelung der Kompetenzen unter einem Dach sinnvoll sein.“

Die digitale Vernetzung der Produktion unter dem Stichwort „Industrie 4.0“ ist auch Schwerpunkt der Hannover Messe, der weltgrößten Industrieschau. Die deutsche Industrie rechnet in den kommenden Jahren mit zusätzlichem Schwung durch die Digitalisierung der Produktion. Maschinenbau und Elektroindustrie gehen davon aus, dass dadurch Tausende neue Jobs entstehen.

Der Bundesverband der deutschen Industrie verbreitete in dieser Hinsicht viel Optimismus. BDI-Chef Ulrich Grillo verwies auf eine Studie von Roland Berger, wonach allein Deutschland aus der digitalen Revolution bis 2025 ein zusätzliches Wertschöpfungspotenzial von 425 Milliarden Euro erwarten kann. Für Europa könnte der Zuwachs sogar bei 1,25 Billionen Euro liegen.

Die Maschinenbauer – mit gut einer Million Beschäftigten die Branche mit den meisten Arbeitsplätzen in Deutschland noch vor Auto- und Chemieindustrie – rechnen mit kräftigem Rückenwind durch das Zusammenwachsen von Produktion und IT.

Bis 2018 könnten dadurch 10.000 neue Jobs in Zukunftsfeldern wie IT-Entwicklung und der Automatisierungstechnik entstehen, sagte der Präsident des Branchenverbandes VDMA, Reinhold Festge. „Aktuell gibt es hier etwa 2000 unbesetzte Stellen.“


Vor allem kleinere Unternehmen scheuen die hohen Investitionen

Im Zuge der Digitalisierung der Fabriken hofft die Branche, in der sich vornehmlich kleine und mittelständische Unternehmen tummeln, auf völlig neue lukrative Geschäftsmodelle, etwa indem der Maschinenlieferant Einblicke in die Vorgänge in der Fabrik eines Kunden bekommt.

Elektronische Helfer in Maschinen könnten zudem Lieferanten mitteilen, wann es Zeit für eine Wartung ist und so die Produktivität steigern. Damit im Wettbewerb gleiche Bedingungen herrschten, müssten einheitliche Rahmenbedingungen für die Datensicherheit geschaffen würden, forderte Verbandschef Festge. „4.0 ist ein europäisches Thema.“

Auch der Zentralverband der Elektrotechnik- und Elektroindustrie (ZVEI) sieht die Digitalisierung als Jobmotor. Es könnten zusätzliche Stellen in ähnlicher Größenordnung wie im Maschinenbau entstehen, sagte ZVEI-Präsident Michael Ziesemer. „Industrie 4.0 ist mehr als nur die Vernetzung von Produktion.

Es geht um die Digitalisierung kompletter Wertschöpfungsketten.“ Deutschland dürfe sich dabei nicht von den USA mit Firmen wie Google abhängen lassen. Durch die neuen Technologien könnten Produktivitätssteigerungen von bis zu 30 Prozent erzielt werden.

Die Branchenverbände ZVEI, VDMA und der Verband der Computer- und Elektronikbranche Bitkom hatten vor zwei Jahren eine Plattform zur Entwicklung von Industrie 4.0 gegründet. Auch die Bundesregierung hat das Thema weit oben auf ihre Agenda in der Wirtschaftspolitik gesetzt, damit deutsche Firmen mit der Konkurrenz in den USA und China mithalten können. Am Dienstag kommen deshalb Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Bundesforschungsministerin Johanna Wanka nach Hannover.

Bislang schreitet die Digitalisierung in Deutschland nur langsam voran. Vor allem kleinere Unternehmen schreckten laut einer Bitkom-Umfrage noch vor den hohen Investitionen zurück. Während die Vernetzung der Produktionsanlagen im Automobilbau bereits von mehr als der Hälfte der befragten Unternehmen genutzt werde, sei der Anteil im Maschinenbau mit 41 Prozent noch vergleichsweise gering. „Die Digitalisierung deutscher Fabriken ist in vollem Gange, aber noch lange nicht vollzogen“, sagte Bitkom-Präsidiumsmitglied Winfried Holz. Für jedes siebte Unternehmen sei Industrie 4.0 derzeit noch kein Thema.

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