Demokratie kann eine schrecklich anstrengende Sache sein. Das führte in den vergangenen Jahren nicht nur zu Politikverdrossenheit bei den Wählern, sondern auch zu einer gewissen Wähler-Verdrossenheit beim Establishment: „Die da oben machen ja doch, was sie wollen“ versus „Die da unten verstehen gar nicht mehr, worum es geht“.
Die Gründe für die gegenseitige Entfremdung sind vielfältig und haben mit den Grundprinzipien ebenjener Demokratie zu tun, die in modernen Mediengesellschaften chronische Neujustierungen erlebt: Der Prozess der Meinungsbildung wird dank Internet und Social Media beherrscht von ebenso schnell provozierten wie verebbenden Shitstorms.
Oft geht es eher um Emotionen als um Argumente und um Geld, also Kampagnenfähigkeit. Flankiert wird das Theater von der Dummheit des Schwarms und von Meinungsforschern sowie „Experten“ aller Art. Und am Ende gewinnen immer häufiger sogenannte „Populisten“, die vom Establishment schon deshalb als solche diskreditiert werden müssen, weil sie aus dem Stand überraschend breite Wählerschichten ansprechen.
Großbritannien hat am Donnerstag gewählt. Und weder die Bürger noch die Parteispitzen von Labour, Tories oder Ukip haben sich diese Wahl leichtgemacht: Nach Monaten erstaunlich emotionaler Debatten entscheidet sich das Vereinigte Königreich, ob es der Europäischen Union treu bleiben oder Lebewohl sagen will. Das ist die Schicksalsfrage: Bleiben oder gehen?
Komplexeste Sachverhalte kulminieren in einem schlichten Ja oder Nein. Brexit or Bremain. Friss oder stirb!
Und beide Seiten operierten mit vielerlei Ängsten: Die EU-Skeptiker warnten vor der freiheitsfressenden Brüsseler Bürokratie und dunklen Flüchtlingshorden, die ihre Insel fluten könnten. Die EU-Verteidiger drohten mit ökonomischem Niedergang und Absturz in Isolation und Zweitklassigkeit.
Kaum einer wagt eine Prognose, wie es ausgehen wird. Als könnte letztlich die Tagesform der Wähler entscheiden oder schlichter Zufall. Es gab kluge Geister, die glaubten, dass kurz vor der Wahl noch für Europa eintretende Stars wie David Beckham einen messbaren Einfluss auf die Entscheidung haben könnten. Genauso gab es Leute, die darauf hofften, dass der Mord an der Labour-Abgeordneten Jo Cox die Unentschlossenen gegen jene Nationalisten aufbringen würde, denen sich auch Cox‘ Mörder verbunden fühlte.
Man wusste gar nicht, was einem unheimlicher sein sollte: dass die Briten einem irrlichternden Ex-Fußballer womöglich mehr vertrauen als ihrem Regierungschef? Oder dass sie schlussendlich in der EU bleiben, weil ein Irrer einen Mord begeht? Oder gar, dass am Ende der donnerstägliche Regen die Wahl entscheidet, weil die Brexit-Befürworter dann motivierter zur Wahlurne liefen? All solche Erwägungen zeigten nur, wie unsicher und hilflos alle Beteiligten den Ausgang herbeitheoretisieren.
Erfindungen, Humor und Musik
Und das ist zugleich das eigentliche Problem: Egal wie diese Wahl ausgeht, bleibt ein großer Teil der Briten enttäuscht zurück. Die europäische Frage hat das Vereinigte Königreich schier zerrissen. Und egal, welches Lager bei den nächtlichen Auszählungen vorne liegt: Es wird sich seines Sieges nicht freuen können, sondern in den nächsten Monaten und Jahren mit immer neuem Ärger konfrontiert werden.
„Die spinnen, die Briten!“, sagte der große Franzose und Europäer Asterix. Und natürlich hat er recht. Dieses merkwürdige Inselvolk ist exzentrisch und schrullig, störrisch, anstrengend, aber dabei eben auch längst in unseren Köpfen und Herzen fest verwurzelt. Wir haben sie inhaliert, kopiert, adaptiert und adoptiert, wenn man betrachtet, wie viel der Rest der Welt ihnen verdankt.
Natürlich gibt es weit mehr als die folgenden 99 Gründe, warum wir alle längst Briten sind. Natürlich sind es viel mehr. Natürlich ist es erstaunlich, dass doch recht wenige Erfindungen dabei sind wie Dampfmaschine, U-Bahn oder beutelloser Staubsauger. Die größten britischen Exportschlager waren andere: der britische Humor (von Charlie Chaplin über Monty Python bis Mr. Bean) zum Beispiel oder zeitgenössische Musik (von den Beatles und Rolling Stones bis zu Adele und Amy Winehouse).
Einerseits ehren und verteidigen sie den Zirkus Krone rund um ihre offenbar unsterbliche Elizabeth II. Andererseits haben sie mit der Magna Charta den Grundstein aller parlamentarischen Demokratien gelegt. Was wären wir ohne die Ideen eines Thomas Hobbes, aber auch Bertrand Russells? Aber was wären wir auch ohne die großen britischen Fiktionen von Frankenstein bis Harry Potter, von Sherlock Holmes bis Miss Marple?
Die Briten sind so herrlich ambivalent: pragmatisch und fantasiereich. Exzentrisch und stoisch. Und zeigen nicht all ihre Beiträge zu Punk oder Pop, politischer Theorie oder Belletristik am Ende Indizien eines unbändigen Strebens nach Eigenständigkeit, Unabhängigkeit, ja: Freiheit?
Das soll jetzt keine Liebeserklärung werden, allenfalls eine Zustandsbeschreibung. Die Briten haben es nicht so mit Umarmungen. Und wenn der „Spiegel“ zuletzt auf Deutsch wie Englisch jammerte: „Bitte geht nicht!“, dann erreichen solche Postulate eher das Gegenteil. „Wir müssen eine Art Vereinigte Staaten von Europa errichten“, hat Winston Churchill vor genau 60 Jahren gefordert. Dass Großbritannien Teil davon sein soll, hat er nie behauptet.
Völlig egal also, wie ihr euch entscheidet, liebe Briten: Es ist eure Entscheidung. Lebt damit. So wie wir mit all dem leben, womit ihr unser Leben bereichert habt und noch bereichern werdet. London ist auch am Freitag von Paris, Berlin oder Rom noch genauso weit entfernt wie am Donnerstag. Zusammenwachsen kann eh nur, wer sich seiner Unterschiede bewusst ist.
Auf den nächsten Seiten finden Sie die 99 Gründe, warum wir alle längst Briten sind
Von Adele bis zur Dampfmaschine
1. Adele
Eigentlich Adele Laurie Blue Adkins. 28 Jahre alt. Sängerin. Mutter. Weltstar. Melodien für Milliarden: Hello. When we were young. Someone like you. Chasing Pavements und und und…
2. Ahrendts, Angela
Während in Deutschland noch über Quoten debattiert wurde, avancierte sie als Chefin von -> Burberry schon zum bestbezahlten Manager (sic!) der Insel, ach: der Welt ... mischt jetzt Apple auf.
3. Auktionshäuser
Sotheby’s und Christie’s liefern sich ein enges Rennen um die Oberhoheit auf dem Kunstmarkt. Dass der inzwichen völlig überhitzt ist, liegt auch an der britischen Versteigerungs-Finesse.
4. Banksy
...zeigt zugleich, wie Kunst sich dem Markt entzieht und von den Galerien zurück auf die Straße schleicht. Der große Anonymus der Branche ist noch immer nicht enttarnt.
5. Barbour-Jacken
Ein Traum in Öl für den urbanen SUV-Fahrer in Moskau, Potsdam oder sogar, ganz crazy, den -> Highlands.
6. BBC
Kurzform für British Broadcasting Company, 1922 in London gegründet und bis heute Vorbild öffentlich-rechtlicher Sender wie ARD und ZDF.
7. Beatles
Nur zehn Jahre aktiv, angeblich rund eine Milliarde verkaufte Tonträger, die erfolgreichste Band der Welt und bis heute so stilbildend wie die ebenfalls britischen -> Rolling Stones. Beatles-Frontmann Paul McCartney – nunmehr 74 – geht noch immer auf Tour.
8. Beckham, David und Victoria
Der Fußballer und das Ex-Spice-Girl fusionierten schon 1999 zum multimedial einsetzbaren Power-Paar, mit dem sich so ziemlich alles vermarkten lässt, sogar Pro-Europa-Stimmung und Victorias Mode...eine win-win-win-win-Situation für Paar, Industrie, Publikum und…
9. Boulevardzeitungen
...die vielleicht nicht in London erfunden, aber dort Dank „Sun“, „Daily Mirror“ etc. zur Blüte gebracht wurden. Nirgendwo auf der Welt sind die Schlag-Zeilen härter, böser und bisweilen unterhaltsamer.
10. Bond, James
Geheimagent im Dienste Ihrer Majestät, Spiegelbild diverser Männer-Generationen… von Ladykiller Sean Connery bis zum existenzialistischen Grübler Daniel Craig. „Skyfall“, der vorletzte Bond-Film, spielte global über eine Milliarde Dollar ein.
11. Bowie, David
Als Kleinbürgersohn in Brixton geboren, reichte Bowies Horizont über diese Welt hinaus: Glam-Rock, Berlin-Verlorenheit, Space Oddity, Ziggy Stardust, Heroes. Androgyner Gatte des Supermodels Iman. Vorbild für Weltbürger und alle, die es werden wollen.
12. Branson, Richard
Der Tausendsassa unter den Unternehmern, nicht nur, was sein Weltraumunternehmen Virgin Galactic angeht. Alles, was Branson anfasst, scheint leicht größenwahnsinnig zu sein. Aber so muss das wohl sein bei den Entrepreneuren des 21. Jahrhundert.
13. Burberry
Modegeschichtlich ganz großes Karo, seit Thomas Burberry die Firma 1856 gegründet hat. Der Trenchcoat, einst Schützengrabenmantel des britischen Militärs, kam erst später.
14. Chaplin, Charlie
Ja, auch er ein Brite. Was wäre die Welt ohne „Lichter der Großstadt“, „Moderne Zeiten“, „Der große Diktator“...
15. Christie, Agatha
...und was wäre diese Welt ohne Miss Marple, aber auch Hercule Poirot?
16. Churchill, Winston
Wiewohl bekennender Sport-Verächter und Zigarrenraucher, hatte er viel Schweiß zu bieten. Dazu Blut, Mühe und Tränen. Als Weltkriegs-Premier und Europa-Visionär träumte er vom Friedensnobelpreis. Und bekam den für Literatur.
17. Commonwealth
...ist als Nachfolger des British Empire eine lose Staatenverbindung, aber zugleich der Beweis, wie aus einer einst imperialen Weltmacht ohne allzuviel Blutvergießen eine Gemeinschaft von Partnern werden kann. Heute gehören dieser Familie 53 Staaten an, die fast ein Drittel der Weltbevölkerung repräsentieren.
18. Cornwall
Ohne diese Grafschaft im südwestlichen Zipfel Englands wäre ein ganzes Genre an Frauen-Romanen und Adels-Romanzen gar nicht möglich, nicht nur dank der dort geborenen Rosamunde Pilcher.
19. Cricket
...ist quasi der Lieblingssport im ->Commonwealth und wurde – dereinst im 14. Jahrhundert in Kent erfunden – zum Exportschlager in den Dependancen der einstigen Kolonialmacht des Vereinigten Königreichs.
20. Dampfmaschine
Thomas Newcomen aus Dartmouth erfand sie schon 1712. Der Rest ist (Industrie-)Geschichte. Nicht nur in -> Manchester.
Von Darwin bis Internet
21. Darwin, Charles
...gehört Dank seinen Beiträgen zur Evolutionstheorie zu den bedeutendsten Naturwissenschaftlern der Welt. Fünf Jahre war er mit dem Forschungsschiff HMS Beagle unterwegs, um aus seinen Erfahrungen empirisch zu untermauern. “Survival of the Fittest” gilt bis heute im Wortsinn (Biologie) und übertragen (Management).
22. Dickens, Charles
...zeigte uns die Kehrseite der -> Industriellen Revolution. Erbärmliche Armut (Oliver Twist) neben egoistischem Reichtum (Ebenezer Scrooge).
23. Doppeldeckerbusse
...haben die Verkehrsprobleme in den Metropolen zwar nicht gelöst, aber das Stadtbild doch derart bereichert, dass die in London verkehrende knallrote Variante längst zur globalen Ikone geworden ist.
24. Dyson, James
Daniel Düsentrieb der Insel und Erfinder des nach ihm benannten beutellosen Staubsaugers. Aber auch Schöpfer des weltweit einzigen Handtrockners, der tatsächlich Hände trocknet.
25. „Economist“
1843 erschien die erste Ausgabe. Und trotz allen Medienkrisen-Gegreines erfreut sich die Marke mittlerweile globaler Beliebtheit. Eine ebenso liberale wie unabhängige Stimme nicht nur der Wirtschaft. Erscheint in einer Auflage von wöchentlich 1,6 Millionen Exemplaren, von denen nur noch ein Bruchteil in der Heimat verkauft wird.
26. Exzentrik
...hat auf der Insel viele Facetten: Das beginnt bei obskuren Ernährungsgewohnheiten wie Porridge, Fish ‚n‘ Chips, Bohnen zum Frühstück oder dem schottischen Blutpudding. Überhaupt die Schotten: ihre Dickköpfigkeit ist weltweit so berüchtigt wie ihr Geiz oder ihre Kilts. Oder die lustigen Maßeinheiten der Briten, ihr Spaß an Fuchsjagden, oder diese Wasserhähne, oder, oder, oder...
27. Fair Play
Da sagt ja schon der Name, wo das herkommen muss.
28. Frankenstein
Unter den vielen original-britischen Grusel-Exporthits nimmt „Frankenstein“ von Mary Shelley eine Sonderrolle ein. 1818 hat sie das Buch anonym veröffentlicht, seither ist das Monster nicht mehr – hoho – totzukriegen.
29. Fußball
Angeblich spielten die Chinesen schon 2000 Jahre vor Christus mit Bällen. Aber so wie wir ihn heute kennen, wurde der Sport in England seit dem Frühmittelalter immer weiter entwickelt – bis hin zu Kick and Rush, Wembley-Tor und David -> Beckham.
30. Gartenkunst
Bei der letzten Chelsea Flower Show (der berühmtesten ihrer Art) der Royal Horticultural Society wurden sogar Szenen aus dem Ersten Weltkrieg floral nachgestellt. Keine andere Nation lässt ihre Parks so elegant verlottern und zeigt damit vor allem ihr innerstes Wesen: Exzentrisches Streben nach Unabhängigkeit.
31. Hawking, Stephen
Was hat der nochmal entdeckt? Egal, der Professor im Rollstuhl ist zur Ikone geworden für die irgendwie auch hilflose moderne Wissenschaft.
32. Highlands
Ohne Moos wär hier nichts los… ein Sehnsuchtsort nicht nur für urbane Workaholics.
33. Hirst, Damien
Sie kennen seinen in Formaldehyd eingelegten Tigerhai nicht? Oder den diamantbesetzten Schädel, der für 50 Millionen Pfund versteigert wurde? Ach, doch? Na, Sehen Sie! Hirst ist das Hier und Heute der globalen Kunstszene.
34. Hobbes, Thomas
Mit dem kann man Staat machen. Ohne seinen „Leviathan“ und den Grundsatz, dass der „Mensch dem Mensch ein Wolf“ ist, geht in der Staatstheorie seither ebenso wenig wie am Akademiker-Stammtisch.
35. Holmes, Sherlock
...die berühmteste Romanfigur von Sir Arthur Conan Doyle und zugleich Vorbild aller Privatermittler der Welt.
36. Hume, David
Vorkämpfer von Aufklärung und empirischer Wissenschaft. Schrieb an gegen „stumpfsinnigen, unwissenschaftlichen Skeptizismus“. Ein bisschen mehr Hume hätte der Brexit-Debatte gut getan.
37. Hüte
Je exzentrischer, desto besser. Kopfbedeckungen, die an Vogelnester erinnern oder in ihrer Bonbonfarbigkeit wie kunstfertig verpackte Geschenke anmuten, sind für Royals, High Society und alle, die gern dazugehören würden, bei großen Events Pflicht – nie besser zu beobachten als in Ascot beim Pferderennen.
38. Industrielle Revolution
Ja, Großbritannien war mal das Land von Kohleminen, ->Dampfmaschinen und Eisenbahnen. Loks aus Nordengland waren einst so heiße Ware wie heute das neueste Tesla-Modell. Im Königreich schlug das Herz von Kapitalismus und Massenproduktion. Und dann kam der -> Thatcherismus und fraß seine Kinder.
39. Internat
Was, bitte, wären Bildungsbürgertum und kriselndes Schulsystem der Bundesrepublik ohne den Fluchtpunkt „Britisches Internat“? Entsprechend haben die Schulen und Universitäten des Vereinigten Königreichs mittlerweile ein Geschäftsmodell daraus gemacht, nicht nur dem deutschen Nachwuchs die Weltsprache Nummer eins beizubringen, aber auch ->Pub-Kultur und ->Pop-Kultur zu lehren.
40. Internet
Der Physiker und Informatiker Tim Berners-Lee hat die Programmiersprache HTML (Hypertext Markup Language) erfunden und gilt als Begründer des World Wide Web. Ohne ihn kein Google und Facebook.
Von „Keep calm and carry on“ bis zur Parlamentarischen Demokratie
41. „Keep calm and carry on“
(„Ruhe bewahren und weitermachen“) war eigentlich als Propaganda-Poster im Zweiten Weltkrieg für die britische Bevölkerung ersonnen, aber nie verteilt worden. Erst im Jahr 2000 wurde es angeblich in einem Secondhandladen wiederentdeckt – und begann seinen Siegeszug. Inzwischen gerne auch in der persiflierten Variante: „Get hysteric and stop immediately!“
42. Keynes, John Maynard
Der Professor aus Cambridge revolutionierte mit seinen Ideen die Geld- und Fiskalpolitik und war als bisexueller Bildungsbürger, Ex-Geheimagent und Ehemann einer russischen Balletttänzerin die lebende Antithese zur Ökonomie als trübsinniger Wissenschaft. Sein wichtigster Lehrsatz: „Auf lange Sicht sind wir alle tot.“
43. Kunst des Verlierens
Eine weitere Kategorie, in der die Briten einen unvergleichlichen Stil pflegen: Mit Siegen können sie irgendwie emotional schlecht umgehen. Eine heroische Niederlage bedeutet ihnen dagegen weit mehr.
44. Locke, John
Sein bahnbrechendes Werk über Demokratie, Gesellschaft und Kapitalismus nannte er profan „Zwei Abhandlungen über die Regierung“ – typisch britisches -> Understatement.
45. Little Britain
Hier ist ja viel von britischem Humor die Rede… aber niemand war bislang böser, perfider, dreckiger als das Duo Matt Lucas/David Walliams.
46. Magna Carta
Englands Adelige zwangen ihren König 1215, das erste moderne Verfassungsdokument zu unterzeichnen und führten England so auf einen langen Weg zur -> parlamentarischen Demokratie. Von Volkabstimmungen über die EU stand da aber noch nichts.
47. Mill, John Stuart
Pflanzte den Briten ihren Liberalismus so gründlich ein wie Hegel den Deutschen ihre Staatsgläubigkeit. Ist aber viel angenehmer zu lesen als das hiesige Pendant.
48. Mini
...hieß jene mobile Schuhschachtel, mit der die British Motor Corporation zwischen 1959 und 2000 ein rollendes Symbol der Coolness schuf, das dann ausgerechnet von den Krauts reanimiert wurde: Seit 2001 feiert BMW neue Erfolge mit dem Kistchen.
49. Monarchie
Geehrt, geliebt, geliked. Drei von vier Briten ziehen den Zirkus Krone einer Republik vor, jeder fünfte London-Tourist kommt wegen der königlichen Familie. Und als die Queen nun erstmals persönlich twitterte, um sich für die Glückwünsche zum 90. Geburtstag zu bedanken, waren binnen weniger Minuten abertausende von Followern „very amused“.
50. Monty Python
Ihre Sketche sind mal absurd, mal böse, meist beides gleichzeitig. John Cleese, Eric Idle und Co. begeisterten die ganze Welt für den -> schwarzen Humor der Briten – außer den Vatikan vielleicht. Aber “Das Leben des Brian” ist fast schöner, auf jeden Fall lustiger als das Jesus-Original.
51. Moss, Kate
Long-Seller unter den Supermodels. Darf man über ihr Alter reden? Jedenfalls ist sie der tröstliche Beweis, dass es auch im Beauty-Business ein Leben jenseits der 40 gibt (trotz oder wegen ihrer Alkohol- und Drogenexzesse?)
52. Mr. Bean
...alias Rowan Atkinson hat die Kunst der Parodie ohne Worte perfektioniert. Eine seiner Perlen, gerade aktuell wie nie: Atkinsons Performance der Europahymne.
53. „My Home is my Castle“
Die Maxime, dass auch Waffengewalt zur Verteidigung des eigenen Besitzes erlaubt sein muss, geht auf den Politiker Edward Coke (1552 bis 1634) zurück. Längst ist der Spruch Synonym für den Glauben an die eigene Scholle: Wer sich im Königreich nicht zumindest ein Einzimmer-Wohnklo auf Hypothek leistet, muss Ausländer, Student oder echt arm sein.
54. Nessie
...das Seeungeheuer, ist vielleicht das einzige seiner Art, vielleicht verbirgt sich dahinter auch eine Gruppe von Tieren. Oder nichts. Merke: Kein echtes Ungeheuer könnte je größer sein als unsere Vorstellung davon.
55. Newton, Isaac
Naturforscher und Verwaltungsbeamter. Gravitationsgesetz. Klassische Mechanik. Binomisches Theorem. Teilchentheorie des Lichts. Haben Sie hoffentlich alle noch aus der Schulzeit parat.
56. Oliver, Jamie
Das ist wahrscheinlich feinste Insel-Ironie, dass ausgerechnet ein Brite den Rest der Welt zum Kochen bringt.
57. Orangenmarmelade
Schön bitter. Bitter süß.
58. Orwell, George (1903 bis 1950)
Journalist, Essayist, Schriftsteller. Nach „Farm der Tiere“ schloss er 1948 „1984“ ab – eine Zukunft, die wir immerhin schon hinter uns gebracht haben, ohne dass sie eintrat.
59. Pan, Peter
...ist eigentlich die Schöpfung eines traurig blickenden Schotten namens James Matthew Barrie aus Kirriemuir – auch wenn viele wahrscheinlich denken, dass Pan, Nimmerland und Captain Hook von Disney in Florida erfunden wurden.
60. Parlamentarische Demokratie
Seit ihren griechisch-römischen Anfängen und ihrer Revitalisierung in Großbritannien ist sie die schlechteste Regierungsform, wenn man mal von allen anderen absieht. Sagte zumindest -> Churchill.
Von Penicillin bis Speaker's Corner
61. Penicillin
Der von Alexander Fleming entdeckte Wirkstoff hat Millionen Leben gerettet. Dass er aus einer verschimmelten Bakterienkultur stammt, sagt allerdings auch einiges über Land und Leute.
62. Potter, Harry
Ein weiterer Beweis dafür, dass die größten Exportschlager der Insel fiktiver Natur sind. Sieben Bücher, acht Filme und gefühlte Phantastilliarden an Umsatz. Dumbledore, Hermine und Lord Voldemort sind schon heute immaterielles Weltkulturerbe.
63. Pop-Kultur
-> Beatles, -> Rolling Stones oder ->Adele haben für die britische Ökonomie wahrscheinlich mehr getan als Vodafone oder HSBC.
64. Pub-Kultur
Während die Eckkneipe in Deutschland einen langen Tod stirbt, ist sie den Briten ein Fixstern im Kosmos ihres sozialen Lebens. Getönte Fensterscheiben, wohltemperiertes Bier, Billiardtisch und Dartscheibe sorgen dafür, dass das Pub ein beinahe klassenloser Ort geblieben ist.
65. Puh
...der Bär ist ein Kinderbuch des Autors Alan Alexander Milne aus dem Jahre 1926, das alle Moden überdauert und zugleich zeigt, wie erfolgreich die Briten gerade in der Kinderkram-Branche sind. Siehe auch ->Pan, Peter, >Potter, Harry oder ->Teletubbies. Von Thomas, der Lokomotive oder „Wallace and Gromit“ ganz zu schweigen.
66. Punk
Sie pöbelten sich durch Talkshows und pieksten der -> Queen auf ihrem Single-Cover eine Sicherheitsnadel durch die Lippen – die Sex Pistols wussten, wie man das spießige Nachkriegs-Britannien schockiert. Mit anderen Punk-Größen wie Designerin Vivenne Westwood traten sie eine Bewegung los, deren musikalischer, ästhetischer und gesellschaftlicher Einfluss bis heute nachwirkt.
67. Queen 1
Anders als von den Sex Pistols behauptet, ist Queen Elizabeth II. durchaus ein menschliches Wesen. Ein ganz bezauberndes sogar, das uns den Briten beizeiten die -> Monarchie neiden lässt und das dank ihrer -> Hüte sogar zur Stilikone wurde.
68. Queen 2
...wurde ebenso zur Marke… modisch wie musikalisch, was die Band vor allem ihrem Sänger Freddy Mercury zu verdanken hat. Von „We are the Champions“ bis „Who wants to live forever“, das später zur Abschieds-Hymne des an Aids verstorbenen Mercury umgedeutet werden sollte, aber eigentlich für den Film „Highlander“ geschrieben worden war.
69. Queueing
...also stoisches Schlangestehen ist mehr als eine Verhaltensregel. Es ist ein Wesenszug wie ->Fair Play.
70. Riesenrad
Sie nennen es „London Eye“. Als Millenium-Gag gedacht, für fünf Jahre geplant, dann doch geblieben und nicht mehr wegzudenken vom Ufer der Themse. Die Dinger wuchern mittlerweile auch andernorts.
71. Rolling Stones
Waren nun die -> Beatles größer oder die Stones? Völlig egal! Dass sich fast zur selben Zeit auf der selben kleinen Insel die beiden größten Rockbands aller Zeiten gründeten, ist Weltwunder genug.
72. Rolls Royce
Perle des britischen Automobilbaus und ebenso wie ->Mini mittlerweile in BMW-Hand. Die Kühlerfigur „Spirit of Ecstasy“ (landläufig „Emmy“) wurde 1911 erstmals auf einen Rolls geschraubt.
73. Sandwich
Mal ehrlich, klingt „Earl of Sandwich“ nicht nach einer Slapstick-Einlage aus → Little Britain? Tja, ist aber gelebter britischer Adel. Der vierten Earl in der Sandwich-Reihe soll die belegten Stullen erfunden haben, um das Kartenspielen nicht für langwierige Nahrungsaufnahme unterbrechen zu müssen. Verrät viel über britische Küche und Exzentrik.
74. Schwarzer Humor
„Nun, das hat den Abend ein wenig verdorben, oder?“ , sagt ein Herr in einem -> Monty-Python-Sketch, als der Tod seine ganze Gästeschar von ihrer Dinerparty entführt. Vielleicht ist der Hang zur ungerührt ertragenen makabren Pointe die ultimative Erklärung für die Begeisterung vieler Briten für den Brexit.
75. Scones
+ Clotted Cream + Erdbeerkonfitüre + Tee + Milch = yummie. Cornwall auf kulinarisch.
76. Scotland Yard
...halten manche womöglich für eine Fiktion wie ->Sherlock Holmes. Aber es ist die ganz reale, wenn auch nicht immer erfolgreiche Polizeibehörde der Großregion London.
77. Shakespeare, William
Größter Dramatiker aller Zeiten. „Romeo and Juliet“, „Hamlet“, „King Lear“, „Othello“, „Julius Caesar“ und und und... – schon das Name Dropping seiner wichtigsten Werke wäre seitenfüllend, auch wenn Extremisten immer noch darüber debattieren, ob er überhaupt gelebt hat.
78. Smith, Adam
Weil der Schotte eine unsichtbare Hand zu sehen glaubte, die den Markt steuert, ist er heute als fanatischer Erzkapitalist verschrien. Zu Unrecht: Smiths „Theory of Moral Sentiments“ liest nur keiner mehr.
79. Smith, Paul
...wollte eigentlich Radrennfahrer werden, musste aber nach einem Unfall ...äh... umsatteln. Seine gleichnamige Modemarke ist mittlerweile weltweit erfolgreich, auch wenn er von seinem berühmten Streifenmuster längst selbst die Nase voll hat.
80. Speaker’s Corner in Londons Hyde Park
...ist der gelebte Beweis für das Grundrecht der Meinungsfreiheit. Durch einen Parlamentsbeschluss vom 27. Juni 1872 darf hier jeder noch immer ohne Anmeldung agitieren. Nur die -> Queen und ihre Familie sollen bitte nicht Inhalt einer Rede sein.
Von Stiff Upper Lip bis Whisky
81. Stiff Upper Lip
Drei Worte, eine Haltung – Selbstdisziplin. Komme, was wolle. Sieg oder Niederlage, -> Waterloo oder -> Wembley.
82. Stonehenge
Mahnmal aus der Jungsteinzeit in der Nähe von Amesbury und bis heute Bühne und Projektfläche für mythologischen Firlefanz aller Art.
83. Suffragetten
...waren Anfang des 20. Jahrhunderts die Wegbereiterinnen der Frauenrechtsbewegung. Die überwiegend bürgerlichen Ladys setzten gern mal Landsitze in Brand, verübten Bombenanschläge und zettelten blutige Demos an. Dagegen war #aufschrei ein Waldorf-Kindergarten.
84. Thatcherismus
„The Lady is not for turning“: Margaret Thatcher beendete mit ihrer radikal-liberalen Wirtschaftspolitik eine Ära des -> Keynesianismus, etablierte die Handtasche als Machtinstrument und schickte die Royal Navy in den Krieg gegen Argentinien. Darf mit ihrem Euro-Skeptizismus als Vordenkerin des Brexit-Lagers gelten.
85. Tee
Mif or Tif?, lautet die Frage, die Familien spaltet und ebenso abendfüllende Unterhaltungen auslösen kann wie die Frage nach der idealen Uhrzeit des Teegenusses (five o’clock sharp?), Zubereitung (Blätter oder Beutel?), Beigaben (Fruit Bread? Ginger Bread? → Scones?). Ach ja: „Milk in first“ oder „Tea in first“ lautet die Auflösung der Akronyme.
86. Teletubbies
Winke winke, Laa-Laa, würden manche Eltern dem Kreaturen-Quartett gern zurufen. Aber: Schon einmalige Betrachtung der Biester macht Kleinkinder offenbar süchtig, weshalb “Winke, winke!” hier leider immer nur “Auf Wiedersehen!” heißt.
87. Titanic
Erst Höhepunkt britischer Ingenieurskunst, dann Teil einer Tragödie, Fanal menschlicher Hybris, später ein Film-Hit und Musical, nun ein schiefes Bild für die Gegenwart: Zerschellt die Titanic Großbritannien am Eisberg Europa? Und wer kriegt diesmal einen Platz im Rettungsboot?
88. Tolkien, JRR
Voldemort heißt in seinem „Herr der Ringe“ Sauron und Hogwarts heißt Auenland, aber sonst ist alles im Fantasy-Lot. Urahn aller Computer-Rollenspiele.
89. Tweed
...ist der Beweis, dass Kleinkariertes auch erstrebenswert sein kann – nicht nur in Schottenröcken.
90. Twiggy
...war die Kate Moss der 60er Jahre (spindeldürr, skandalträchtig, edgy) und zugleich Gesicht und Ikone von „Swingin’ London“.
91. U-Bahn (Tube)
Wer hat’s erfunden? Die Briten. Unverwechselbar verbunden mit dem eindringlichen und einprägsamen Ruf der Sicherheitsleute: „Mind the Gap!“
92. Understatement
Die Briten würden sich niemals selbst als Personifizierung vollkommener Bescheidenheit bezeichnen. Oder?
93. Waterloo
War am 18. Juni 1815 der belgische Ort jener Schlacht, wo die Briten Napoleon endgültig schlugen und damit eine Neuordnung Europas einleiteten. Na ja, ein bisschen haben die Preußen auch geholfen. Das zweitwichtigste “Waterloo” stammt von Abba, bezieht sich aber aufs erste.
94. Wembley
Natürlich war der Ball nicht drin. Trotzdem holte die englische Nationalmannschaft gegen Deutschland im eigenen Stadion ihren einzigen internationalen Titel. Seitdem halten sich die Engländer – trotz aller Pleiten in den 50 Jahren danach – für eine große -> Fußball-Nation.
95. Wilde, Oscar
Der Ur-Dandy Wilde ist auf Online-Zitate-Portalen ein verlässlicher Lieferant von Sottisen gegen die Ehe und andere Pfeiler der bürgerlichen Gesellschaft. Hatte -> schwarzen Humor wie kaum ein zweiter.
96. Williams, Robbie
Als Star der Boyband „Take That“ brachte er eine komplette Generation vorwiegend weiblicher Teens zum Hyperventilieren. Die werden nun mit ihm älter, hören auch seinen Solo-Hits wie „Angels“ gern zu und träumen sich zurück ins Früher-als-ich-jung-war.
97. Wimbledon
Gilt als ältestes (seit 1877) und prestigeträchtigstes Tennisturnier der Welt. Das einzige Grand-Slam-Turnier, das auf Rasen gespielt wird. Und heiliger Boden für Steffi Graf und Boris Becker, die hier etliche Male gewonnen haben.
98. Winehouse, Amy
27 Jahre voller Drama und Drogen, Sucht und Suche nach Freiheit, wunderbarer Musik und Songtexten, die bleiben werden. „Life is like a pipe. And I‘m a tiny penny rolling up the walls inside.“
99. Whisky
Cheers! Auch wenn Alkohol im Alphabet eigentlich vor Miss Winehouse hätte stehen müssen, aber das ist jetzt ein sehr deutscher Einwand.