Wasserkrise am Mittelmeer Abwasser verpestet Küste am Gazastreifen

Die Kläranlagen des Gazastreifens sind marode, Abwasser fließt ungeklärt ins Mittelmeer, auf vielen Kilometern ist die einst malerische Küste inzwischen biologisch tot. Hilfsprojekte kommen nur mühsam voran.

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Täglich ergießen sich Millionen Liter Abwasser aus dem Gazastreifen ungefiltert ins Mittelmeer. Quelle: AP

Flüchtlingslager Schati An den Stränden des Gazastreifens ergießen sich täglich Millionen Liter Abwasser ins Mittelmeer. Auf vielen Kilometern ist die einst malerische Küste inzwischen biologisch tot. Fäkalien und Schmutzwasser verpesten die Grundwasserressourcen, dezimieren die Fischereizonen und bedrohen inzwischen auch die israelische Küste.

Umweltschützer und Hilfsorganisationen fordern Abhilfe, doch dafür müsste Israel die Einfuhrbeschränkungen von Baumaterial lockern und mehr Strom nach Gaza liefern. Die Lieferungen, so befürchtet Israel, könnte die im Gazastreifen herrschende, radikalislamische Hamas aber für militärische Zwecke nutzen.

Nasser Abu Saif wohnt in einem Apartment in Strandnähe im Flüchtlingslager Schati. Früher lebte er gerne am Meer, heute meidet er das stinkende Wasser: „Es gibt Stechmücken im Sommer und sogar im Winter“, erzählt er. „Es macht unser Leben unangenehm.“

Ahmed Jakubi von der Palästinensischen Wasserbehörde bestätigt: „Die Strände des Gazastreifens sind vollkommen verschmutzt und zum Schwimmen und Spielen nicht geeignet, vor allem nicht im Sommer.“

Chronische Stromknappheit lähmt die Anlagen

Die Wasserwirtschaft im Gazastreifen liegt seit Jahren im Argen. Der Ausbau konnte mit der schnell wachsenden Bevölkerung nicht mithalten, viele Anlagen wurden in den Kriegen mit Israel beschädigt. Außerdem herrscht chronische Stromknappheit, was den Betrieb der noch funktionierenden Kläranlagen lähmt.

Seit die Hamas 2007 die Macht übernahm, kontrollieren Israel und Ägypten die Grenzen, was die Probleme für die 1,8 Millionen Einwohner der Enklave weiter verschärft. Hinzu kommen Misswirtschaft und interne Machtkämpfe bei den Palästinensern.

Internationale Hilfsprojekte kommen nur mühsam voran. So unterstützte die deutsche Förderbank KfW nach Angaben ihres Direktors im Westjordanland den Wiederaufbau einer Kläranlage im Gazastreifen mit umgerechnet 17,4 Millionen Euro. Wegen Stromknappheit laufe die Anlage jedoch nur halbtags, sagt Jonas Blume.

Im August soll nun mit dem Bau einer weiteren Anlage für eine Million Menschen im Zentrum des Gazastreifens begonnen werden. Doch israelische Sicherheitsauflagen verzögerten die Arbeiten: „Am Ende können wir das meiste Material einführen, aber es ist ein Kampf, es braucht Zeit, und es führt zu Verzögerungen, die zusätzliche Kosten verursachen“, klagt Blume.


Auch das Trinkwasser ist verunreinigt

Auch die Weltbank baute nach Angaben ihres Direktors für die Palästinensergebiete, Steen Jorgensen, vor neun Jahren eine Kläranlage für umgerechnet rund 63,5 Millionen Euro. Die Anlage könnte etwa ein Fünftel der Abwässer des Gazastreifens klären und wäre bereits in Betrieb – wenn sie zuverlässig mit Strom versorgt würde. Doch wegen eines Steuerstreits zwischen der Hamas und der Palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland läuft das einzige Kraftwerk der Enklave nur mit reduzierter Kapazität.

Trotz Stromlieferungen aus Israel und Ägypten ist die Versorgung normalerweise nur sechs bis acht Stunden pro Tag gesichert. „Das ist für eine Kläranlage nicht verlässlich genug“, so Jorgensen. Ausländische Geber, darunter die USA, wollten die Anlage über eine zusätzliche Leitung mit Strom versorgen, doch Israel habe seine Zustimmung verweigert.

Nach Angaben der israelischen Koordinierungsstelle für Aktivitäten in den Palästinensergebieten liefert Israel täglich bis zu 140 Megawatt Strom in den Gazastreifen, der gesamte Tagesverbrauch des Gebietes liegt aber bei rund 400 Megawatt. „Die Verteilung liegt in der Verantwortung der Palästinenser“, heißt es bei der Behörde.

Jorgensen plant nun, mit Dieselgeneratoren in Betrieb zu gehen, auch wenn das die Sache teurer mache. „Wenn wir dies nicht zum Laufen bringen, dann wird es meines Erachtens sehr schwierig, Geld für andere notwendige Projekte in Gaza zu beschaffen.“

Auch das Trinkwasser ist verunreinigt: Durch jahrelanges Abpumpen des Grundwassers dringen Meer- und Abwasser in die einzige Trinkwasserquelle des Gazastreifens. „Wir können sagen, dass das Wasser zu 100 Prozent nicht trinkbar ist“, warnt Jakubi.

150 Unternehmen offerieren inzwischen gefiltertes Wasser. Doch Eitemad Abu Chader, die mit ihren vier Töchtern nördlich von Gaza-Stadt lebt, kann sich das saubere Wasser nicht leisten. Stattdessen trinke die Familie Leitungswasser, erzählt sie: „Ich verbringe meine Zeit damit, von Arzt zu Arzt zu fahren, von Krankenhaus zu Krankenhaus. Meine Töchter haben immer Ausschläge.“


Die Krise trifft auch Israel

Die Wasserkrise trifft auch Israel: Nach Angaben der israelischen Wasserbehörde ging die Entsalzungsanlage nahe Aschkelon zehn Kilometer nördlich des Gazastreifens im Januar und Februar „wegen der Qualität des Rohwassers“ vorübergehend außer Betrieb.

Nach Einschätzung von Gidon Bromberg, dem israelischen Leiter der Umweltgruppe EcoPeace Middle East, war Abwasser aus dem Gazastreifen verantwortlich: „Es gibt keine andere Quelle.“

Cholera, Typhus und andere pandemische Krankheiten könnten über das Grundwasser und das Meer leicht nach Israel gelangen, warnt Bromberg: „Es ist eine einzige, gemeinsam benutzte Badewanne. Es gibt 101 verschiedene Übertragungswege für die Bakterien.“

Israels Umweltministerium verweist ganz allgemein auf Algen, die die Filter der Entsalzungsanlage verstopfen könnten und betont, die Strände bei Aschkelon seien zum Baden geeignet. Auch der stellvertretende Bürgermeister der Stadt, Joram Schefer, sieht keinen Grund zur Sorge: „Das Mittelmeer ist groß. Nicht alle Abwässer gehen nach Aschkelon.“

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