90 Jahre WirtschaftsWoche Eine Odyssee

90 Jahre WirtschaftsWoche – von der Fachzeitschrift „Der deutsche Volkswirt“ zum populären Marktführer.

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Dieter von Holtzbrinck Quelle: dpa

Im Jahr 1926 gründete der Verleger Gustav Stolper „Den deutschen Volkswirt“ als Fachpublikation für Ökonomen und an Wirtschaftspolitik Interessierte. Entsprechend der eng definierten Zielgruppe erreichte das angesehene Blatt eine Höchstauflage von weniger als 20.000 Exemplaren. 1966 übernahm der „Zeit“-Verleger Gerd Bucerius den stetig defizitären „Volkswirt“, um ihn zu einem allgemein verständlichen Wirtschaftsmagazin weiterzuentwickeln. Mit dieser Idee wollte Bucerius das Blatt finanziell sanieren, verfolgte sogleich aber auch ein gesellschaftspolitisches Ziel: Er wollte bei den besser gebildeten Bürgern das Interesse und Verständnis für ökonomische Zusammenhänge fördern.

Miriam Meckel präsentiert das Jubiläumsheft

Der Erfolg der neu konzipierten und in WirtschaftsWoche umgetauften Publikation blieb bescheiden. Zum einen verfügte das Gros der Bevölkerung über keinerlei wirtschaftliche Grundkenntnisse, da das Thema Wirtschaft aus dem deutschen Schulfächer-Kanon verbannt war (und weitgehend noch ist). Zum anderen fristete die liberalkonservative WirtschaftsWoche-Redaktion ein Stiefkind-Dasein im Umfeld der weit größeren, damals stark linkslastigen „Zeit“-Redaktion. Dennoch dachte Bucerius lange nicht an einen Verkauf.

Der Verkauf kam erst im Frühjahr 1974. An einem strahlend schönen Tag unterzeichneten Gerd Bucerius und mein Vater den Vertrag, beide mit bitterer Miene, eisig schweigend. Noch kurz zuvor wollten beide Altverleger dem Notar absagen. Bucerius, weil er nicht verkaufen wollte, mein Vater, weil er das immer noch defizitäre, publizistisch keine Standards setzende Blatt nicht haben wollte. Mit Nachdruck betrieben und ausgehandelt hatten wir Jungen den Deal. Auf Seiten Bucerius’ dessen Vertrauter Diether Stolze, auf unserer Seite mein Kollege Pierre Gerckens und ich. Stolze vertrat zu Recht die Meinung, dass die WirtschaftsWoche viel besser zum „Handelsblatt“ als zur „Zeit“ passe. Auch nutzte er die Verhandlungen als Gelegenheit, uns die „Zeit“ als langfristiges Übernahmeprojekt schmackhaft zu machen – und fädelte erste Gespräche mit dem kinderlosen Bucerius dazu ein, die 22 Jahre später zum Erfolg führten.

Standortwechsel: Hamburg - Düsseldorf

Pierre Gerckens, Geschäftsführer der „Handelsblatt“-Gruppe, und ich wollten durch den Kauf der WirtschaftsWoche ein drittes Standbein für den Verlag aufbauen, neben der „Tageszeitung“ und dem kleinen „Handelsblatt“-Fachverlag. Mein Vater war skeptisch, ob wir Jungen zusätzlich zum gerade in Schwung gekommenen „Handelsblatt“ noch ein so schwieriges Magazinprojekt stemmen könnten. Zunächst schien er recht behalten zu haben.

Wenige Wochen nach dem Erwerb trat die WirtschaftsWoche eine selbst gelegte Mine los, die nicht nur das Blatt, sondern unsere gesamte Verlagsgruppe substanziell hätte gefährden können. Zu jener Zeit, in welcher „Spiegel“ und „Stern“ in Deutschland den sogenannten investigativen Journalismus dominierten, versuchte sich die WirtschaftsWoche mit einer Enthüllungsgeschichte über die WestLB zu profilieren, welche die Bank in beachtliche Schwierigkeiten brachte.

Die Geschichte erwies sich als im Kern falsch; nur durch eine schnelle Richtigstellung konnte eine 100 Millionen DM schwere Schadensersatzklage abgewendet werden. Nach Chefredakteurwechsel und Teilboykott der Redaktion entschlossen wir uns zu einem zeitlich vorgezogenen Standortwechsel des Gesamtverlages von Hamburg nach Düsseldorf, wo eine aufnahmefähige Infrastruktur bestand.

Etliche Management- und Chefredakteurwechsel

Auch in den Folgejahren machte uns das Blatt mehr Sorgen als Freude. Dabei mussten wir selbstkritisch erkennen, dass es uns an Magazin-Know-how mangelte. Nur vordergründig sind Zeitungsmachen und Magazinverlegen fast das Gleiche. Bei einem Magazin spielen Layout, Bild und Dramaturgie eine wichtigere Rolle als bei Tageszeitungen, sollten Texte meist leichter erfassbar und erzählerischer sein, braucht es Führungskräfte mit spezifischer Erfahrung. So kam es über fast zwei Jahrzehnte zu etlichen Management- und Chefredakteurwechseln.

Unsere Lernkurve ging einher mit ständigen Investitionen in die Redaktion und in das Marketing. Das Blatt wurde attraktiver, besser, Auflage und Marktanteile wuchsen. Dank eines boomenden Print-Anzeigengeschäftes ging es auch finanziell erfreulich bergauf. Bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Mit dem Kollaps der New Economy in 2001 knickte auch das Ertragsstandbein Anzeigenerlöse ein: minus 35 Prozent binnen Jahresfrist. Nur acht Jahre danach wiederholte sich mit der Finanzkrise das Schockerlebnis in vergleichbaren Dimensionen.

Umsatzeinbußen sind nur zum Teil konjunktureller Natur

Den meisten Verlagen war klar, dass Umsatzeinbußen und die parallel hierzu erfolgten Auflagenrückgänge nur zum Teil konjunktureller Natur waren. Mittel- und langfristig weit bedeutsamer waren die gravierenden Marktveränderungen, welche das Internet mit sich brachte – und welche die Digitalisierung noch mit sich bringen wird. Rasend schnell hatten sich Technologiewettbewerber gebildet, gegen die mittelständische Unternehmen finanziell hoffnungslos unterlegen waren und bleiben.

Spitzenposition im Bereich Wirtschafts- und Finanzpublikationen

Der Versuchung, auf das Allheilmittel „cost cutting“ zu setzen, auf redaktionelle Synergien und die Reduzierung der Marketingausgaben, haben wir widerstanden. Stattdessen hatten wir uns früh entschieden, noch stärker auf die sich verändernden Wünsche und Bedürfnisse unserer Leser und Nutzer einzugehen. Während sich das Feld der Wirtschafts- und Finanzpublikationen in den letzten zehn Jahren deutlich lichtete, eroberte die WirtschaftsWoche in diesem Zeitraum die Spitzenposition in ihrem Segment. Die Digitalisierung erforderte eine Anpassung der journalistischen Angebote. Wegen der sozialen Netzwerke, des „user-generated content“, sind Nachrichten sekundenschnell an jedem Ort und gratis erhältlich.

Was jedoch in Zeiten der Globalisierung und der Überflutung mit Informationen Mangelware ist, sind Medien, die Relevantes und Richtiges von Unwichtigem und Falschem trennen, die Ursachen von Fehlentwicklungen erforschen und Problemlösungen sowie Orientierungshilfen bieten. Der Fokus auf tief recherchierte, intelligent analysierte, klug kommentierte Informationen wird an Wert gewinnen. Diese Nutzwerte in jeder technologisch möglichen Form interessierten Zielgruppen anzubieten bleibt das Ziel der WirtschaftsWoche.

Die WirtschaftsWoche hat auf ihrer langen Reise viele Fährnisse umschifft und überwunden und in der Marktführerschaft ihr Zuhause gefunden. Ich bin überzeugt davon, dass das Blatt und seine Sprösslinge auf ihrem Weg durch das digitale Zeitalter neue, spannende Herausforderungen mit Klugheit und dem Glück der Tüchtigen erfolgreich meistern werden.

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