„Vordenker“-Studie Beste Laune trotz drohender Gefahr

Wie sehen Führungskräfte die Lage Deutschlands? Nach einer Umfrage der WirtschaftsWoche in Kooperation mit BCG diagnostizieren sie eine Republik im Wohlfühlmodus – die vor gewaltigen Herausforderungen steht.

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Der Hamburger Hafen und eine Baufällige Treppe Quelle: dpa, Montage

Junge Führungskräfte blicken derzeit optimistisch auf ihr Land. Das ist das Ergebnis einer Umfrage der WirtschaftsWoche in Kooperation mit der Boston Consulting Group (BCG) unter den „Vordenkern“, einer Gruppe junger Führungskräfte. Zwei Drittel der befragten Unternehmer und Manager bewerten die Lage im Land demnach als „gut“, elf Prozent vergaben die Bestnote „sehr gut“. Als „ausreichend“ oder „mangelhaft“ bezeichneten nur 16 Prozent der „Vordenker“ die aktuelle Situation in Deutschland.

Die „Vordenker“ sind eine ausgewählte Gruppe von Führungskräften in Unternehmen, Großkonzernen und Start-ups. In regelmäßigen Abständen werden Sie von der WirtschaftsWoche und der BCG zu aktuellen Themen befragt. An der aktuellen Umfrage haben 57 „Vordenker“ teilgenommen.

Gleichzeitig zum derzeitigen Optimismus sehen die Führungskräfte Deutschland vor großen Herausforderungen. Die Integration von Flüchtlingen und Migranten sehen die „Vordenker“ als drängendste Aufgabe an. Dahinter folgen die Themen Digitalisierung und Bildung. Eine drohende soziale Spaltung, Umweltprobleme oder Steuern gehören aus Sicht der „Vordenker“ zu den derzeit weniger wichtigen Herausforderungen.

Benjamin Grosch, Partner bei BCG und Mitglied des Management Teams, überraschen diese Befunde nicht. Tatsächlich sei die wirtschaftliche Lage in Deutschland derzeit sehr gut, sagt Grosch. „Wir haben eine hohe Beschäftigungsquote, der Mittelstand floriert zum großen Teil, die meisten Menschen bekommen vom Wohlstand etwas ab.“ Allerdings verleite der derzeitige Wohlstand dazu, sich auf den aktuellen Lorbeeren auszuruhen. Und in einer Zeit so schneller Veränderungen könne es auch schnell wieder abwärts gehen. „Das ist durchaus eine gefährliche Situation.“

Wenn Grosch mit Unternehmern redet, hört er immer wieder drei Bereiche, in denen es jetzt schon hakt – und die sich zu noch größeren Problemen auswachsen könnten: Bildung, Infrastruktur und Integration. Am Bildungssystem habe sich zum Beispiel jahrzehntelang nichts geändert. „Die Abiturienten heute können genau das gleiche wie vor 30 Jahren“, sagt Grosch. „Neue Fähigkeiten wie Advanced Analytics und Programmieren lernen sie dagegen kaum.“

Für viele Unternehmen ist das ein riesiges Problem. Jeden Tag kann Grosch bei seiner Arbeit in den Unternehmen beobachten, wie die Personalabteilungen verzweifelt nach gut ausgebildeten IT-Fachleuten fahnden. Oft vergeblich, mit potentiell fatalen Folgen: „Wenn wir die Investitionen in Bildung und Infrastruktur weiterhin so vernachlässigen, werden wir unseren Wohlstand nicht halten können“, sagt Grosch. Wenn sich im Bildungssystem nichts ändere, fehle es bald massiv an Fachpersonal. „Und dann fallen wir im internationalen Wettbewerb zurück.“

Es sei allerdings nicht bloß die Politik, die sich hinsichtlich vieler Herausforderungen im Dämmerschlaf befinde. Die meisten Unternehmen haben nach Groschs Erfahrung die Herausforderungen der Digitalisierung zwar erkannt, aber sie reagieren ganz unterschiedlich entschieden darauf. „Manche haben sich sehr gut aufgestellt, andere sind deutlich zu langsam.“

Insgesamt sieht Grosch Deutschland für die Zukunft nicht so gut aufgestellt, wie viele glauben. Zum einen dränge der Ausbau der digitalen Infrastruktur. Das sei jedoch ein Problem, das man mit Geld lösen könne. „Und Geld haben wir momentan.“ Anders sehe es bei der Bildung aus: „Hier hemmt uns das föderale System und die Politik diskutiert die notwendigen strukturellen Reformen nicht einmal.“

Gemeinsam mit der Boston Consulting Group hat die WirtschaftsWoche die besten Nachwuchsführungskräfte identifiziert. Ein regelmäßiges Panel ermittelt die Stimmung unter den Vordenkern, die WiWo und BCG laden zu...

Auch die „Vordenker“ wünschen sich vor allem in den Bereichen Bildung, Integration und Steuern Reformen von der neuen Bundesregierung. Dabei geht es vor allem um Themen wie die Verringerung der Bürokratie, Stärkung der Familien und Arbeitsrechte für Geflüchtete. Außerdem am Wunschzettel der Vordenker: Eine Digitalisierungs-Reform und neue Ideen für das demographische Problem der Sozialsysteme.

Im Wahlkampf finden die „Vordenker“ diese Themen kaum wieder. Nur zwei Prozent der Befragten finden, dass die Politiker die zukünftigen Herausforderungen für Deutschland im Wahlkampf ausreichen thematisieren. Etwas mehr als die Hälfte der „Vordenker“ glaubt, dass teilweise über die wichtigen Themen gesprochen wird. Mehr als 40 Prozent beantwortet die Frage, ob die Politiker über die drängendsten Herausforderungen sprechen mit Nein.

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