Jamaika-Sondierung Grünen geht Kohle-Angebot der Union nicht weit genug

FDP und Grüne legen mit Kompromissangeboten vor - und verlangen ähnliche Schritte von der Union. Doch richtig greifbare Fortschritte gibt es in den Jamaika-Kernthemen nicht. Der Zeitdruck wächst.

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Quelle: dpa

In der Schlussphase der Jamaika-Sondierung zeichnet sich noch keine Einigung beim Kernthema Klimaschutz ab - ein Kompromissangebot der Union geht den Grünen nicht weit genug. Die Unterhändler von CDU, CSU, FDP und Grünen streiten weiter darüber, wie viele Kohlekraftwerk-Blöcke abgeschaltet werden müssen, um die deutschen Klimaziele zu erreichen. In den Beratungen mit den Verhandlungsführern um Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatten Union und FDP angeboten, die Stromgewinnung aus Kohle bis 2020 um drei bis fünf Gigawatt zu reduzieren. Die Grünen wollen um acht bis zehn Gigawatt reduzieren.

Zuvor war der Druck von FDP und Grünen auf die Union gewachsen, mit konkreten Zugeständnissen den Weg für Koalitionsverhandlungen zu ebnen.

Aus Teilnehmerkreisen erfuhr die Deutsche Presse-Agentur, es sei in den Klimaverhandlungen am Montag nicht über Kraftwerke und erst recht nicht über deren Schließung gesprochen worden. Man sei dabei, mit Fachleuten den Ist-Stand der CO2-Lücke und Versorgungssicherheit zu klären. Unter CO2-Lücke versteht man die Differenz zwischen dem aktuellen Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) in Deutschland und dem Ziel bis 2020. Bis dahin sollen die Treibhausgase um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert werden. Dieses Ziel gilt Fachleuten als kaum mehr erreichbar.

Aus Verhandlungskreisen hieß es, die Fachgruppe Energie und Klima wolle an diesem Dienstag erneut mit externen Sachverständigen beraten, wie groß die CO2-Lücke tatsächlich ist.

Die Grünen wollen bis 2020 insgesamt 20 Kohlekraftwerk-Blöcke abschalten. Insgesamt müssten nach ihrer Auffassung etwa 90 bis 120 Millionen Tonnen CO2 weniger ausgestoßen werden. FDP und Union gehen von 32 bis 66 Millionen Tonnen aus. Grünen-Chefin Simone Peter sagte über das Unionsangebot: „Das ist weit unter dem, was in der wissenschaftlichen Expertise begutachtet wird.“ Damit erreiche man die Klimaziele nie. Die Grünen würden genau darauf achten, dass die Lücke nicht kleingerechnet werde.

In der Schlussrunde versuchen die Chef-Unterhändler derzeit, Kompromisse zu den einzelnen Themenblöcken zu finden. Dabei sondieren Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer, FDP-Chef Christian Lindner, sein Vize Wolfgang Kubicki sowie das Grünen-Spitzenduo Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir zusammen mit den Berichterstattern der Parteien für die jeweiligen Themenkomplexe. An diesem Donnerstag oder in der Nacht auf Freitag soll ein Sondierungspapier fertig sein, mit dem die Parteien bei ihren Gremien für den Einstieg in Koalitionsverhandlungen werben wollen.

Seehofer sagte nach Ende der ersten Runde dieser Gespräche, man habe Fortschritte erzielen können, müsse aber noch einige Probleme lösen. Man habe hart gearbeitet, strittige Punkte abgebaut und Themen zurück an Arbeitsgruppen gegeben, sagte er.

Im Bereich Bildung und Forschung blieb auch nach Beratungen mit den Verhandlungsführern umstritten, wie das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern weiter gelockert werden soll. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur aus Teilnehmerkreisen geht es vor allem darum, ob eine Grundgesetzänderung nötig ist.

In der zweiten Sondierungsrunde hatten sich CDU, CSU, FDP und Grüne bereits auf das Ziel besserer Rahmenbedingungen für die Schulen geeinigt. Während die Union sich aber wegen massiver Bedenken in den Ländern dafür ausgesprochen hat, die föderale Kompetenzverteilung zu erhalten, wollen FDP und Grüne für eine Stärkung der Kooperation von Bund und Ländern „die dafür notwendigen verfassungsrechtlichen Änderungen vornehmen“.

Lindner hatte vor den Beratungen gesagt: „Jetzt schauen wir auf die Unionsparteien, ob es da Bewegung gibt.“ Entgegenkommen von CDU und CSU erwarte er bei der Frage eines Digitalministeriums, den Bürgerrechten und einer weiteren Lockerung des Kooperationsverbots in der Bildung. FDP und Grüne hätten sich von Maximalforderungen verabschiedet und damit neue Möglichkeiten eröffnet. Die vergangene Woche habe „uns optimistischer werden lassen, was einen möglichen Erfolg dieser Woche angeht“.

von Christian Schlesiger, Andreas Macho

Die Grünen-Spitze verlangte erneut einen geordneten Ausstieg aus der Kohleverstromung und die Schaffung bezahlbarer Wohnungen. Göring-Eckardt hob die Bedeutung der Wohnungspolitik hervor: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese potenzielle Koalition eine Politik macht, in der nicht eindeutig eine Begrenzung des Mietwuchers stattfindet.“ Özdemir pochte auf einen geordneten Kohleausstieg. „Klimaschutz auf der einen (Seite), Wirtschaft auf der anderen können Hand in Hand zusammengehen, wenn wir uns da alle gemeinsam darauf verpflichten, die Parteien, die jetzt gemeinsam über Jamaika verhandeln“, sagte er.

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter warf CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt vor, die Sondierung zu belasten. „Kompromissbereitschaft ist das Gebot dieser Woche“, sagte er der dpa. Dobrindts Verhalten sei „abwegig“. Der CSU-Politiker hatte im ARD-„Morgenmagazin“ ein Entgegenkommen beim Streitthema Familiennachzug für Flüchtlinge ausgeschlossen und das Konzept der Grünen für eine Kohleausstieg als „abwegig“ bezeichnet. Hofreiter sagte: „Statt nach konstruktiven Lösungen zu suchen, belastet er die letzte Woche der Sondierungen weiter mit zerstörerischen Querschüssen.“

Direkt vor Beginn der Beratungen äußerte sich Dobrindt dann etwas entgegenkommender. „Es ist wie beim Marathon, die letzte Etappe ist die schwierigste“, sagte er. „Jamaika ist jetzt runter vom Balkon und rein in den Maschinenraum.“ Man werde sehen, ob aus dem „scharfkantigen Puzzle“ bei den Verhandlungen noch ein Bild werde.

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