Spendenorganisation Innatura „Wir vernichten jedes Jahr Waren für sieben Milliarden Euro“

Quelle: dpa

Politiker fordern ein Entsorgungsverbot für Retouren. Das ist der falsche Ansatz, sagt Juliane Kronen von Innatura, das Spenden an Bedürftige verteilt. Denn die größten Vernichter sind nicht die Onlinehändler.

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Juliane Kronen hat eine Mission: Sie will Waren vor der Vernichtung retten. Zu viel landet in der Presse oder der Müllverbrennungsanlagen, sagt die Gründerin von Innatura. Ihr Unternehmen verteilt Spenden aus der Industrie an gemeinnützige Organisationen. Trotzdem teilt sie die Forderung nach einem Vernichtungsverbot für Onlinehändler nicht. Weil die Regierung es Unternehmen noch zu schwer macht, Waren zu spenden – und weil deshalb die Alternativen fehlen.

WirtschaftsWoche: Politiker fordern ein Verbot für die Vernichtung von Retouren. Unterstützen Sie das?
Juliane Kronen: Ich finde es richtig, dass Regierung und Wirtschaft zusammen versuchen, die Retouren zu reduzieren. Ein Verbot ist aus meiner Sicht nicht der richtige Hebel, weil es nicht die Frage löst, was stattdessen mit den Waren passieren soll.

Die Grünen haben vorgeschlagen, die Retouren an Sozialkaufhäuser zu spenden.
Ich weiß nicht, ob das für die Kaufhäuser handhabbar ist, wenn sie auf einmal tausende von Paketen bekommen. Wir bekommen fast alle Spenden palettenweise direkt von den Herstellern. Bei Retouren müssten wir jede einzelne auspacken und prüfen, ob die Artikel noch funktionieren.

Und das ist zu viel Aufwand?
Manchmal schon. Wir haben einen Katalog, in dem wir die gespendeten Artikel einstellen und gemeinnützige Organisationen sie bestellen könnten. Wenn wir eine Palette mit Shampoo-Flaschen von einem Hersteller bekommen, ist der Aufwand überschaubar. Aber bei einer Retoure müssten wir ja jeden einzelnen Artikel abfotografieren und einstellen. Für Einzelstücke ist das unendlich mühsam. Das können wir gar nicht leisten. Und von der Vernichtung in der deutschen Wirtschaft machen Retouren ja auch nur einen Bruchteil aus.

Was heißt das, wieviel vernichten wir denn?
Wir vernichten in Deutschland jedes Jahr Waren für sieben Milliarden Euro. Das haben wir mal für die deutsche Konsumgüterindustrie berechnet, also für Kosmetik-, Kleidungs- oder Markenartikelhersteller. Man kann annehmen, dass 2,5 bis 3,5 Prozent der Waren gar nicht erst bis zum Kunden kommen, sondern noch davor entsorgt werden, weil sie irgendwelche Fehler haben. Und diese Schätzung ist noch sehr konservativ. Da ist die Vernichtung von Lebensmitteln oder bei Maschinen noch gar nicht eingerechnet, und Importe von Konsumgütern auch nicht.

Amazon-Warenvernichtung: Entsorgung ist oft billiger als Spenden Quelle: imago images

Und warum wird so viel vernichtet?
Das hat so viele Gründe. Stellen Sie sich vor, Sie füllen Deo ab und die Abfüllanlage ist falsch eingestellt. Dann haben Sie nachher palettenweise Deoflaschen, in denen zwei Prozent zu wenig Inhalt enthalten sind. Wenn es eine Verpackung mit fünf Schnullern gibt, und einer dieser Schnuller ist defekt, dann wird gleich die ganze Verpackung entsorgt. Es lohnt sich nicht, die zu öffnen und die guten Schnuller neu zu verpacken. Oder eine Marke verändert ihr Logo. Die Premiumhersteller wollen nicht, dass in den Regalen das neue neben dem alten Logo zu sehen ist. Also müssen die alten Verpackungen bis zu einem bestimmten Termin verschwunden sein.

Innatura verteilt Waren an gemeinnützige Organisationen. Wie viele dieser Waren können Sie vor der Vernichtung retten?
Wir haben in sechs Jahren pro Jahr Spenden im Wert von 17 Millionen Euro verteilt, also nur einen Bruchteil. Und wir haben einen Nachfrageüberhang, wir könnten noch mehr an gemeinnützige Organisationen verteilen.

Die WirtschaftsWoche und das ZDF-Magazin „Frontal 21“ haben vor einem Jahr darüber berichtet, dass Amazon Neuware und Retouren vernichtet. Haben Sie seitdem eine Veränderung in der Branche bemerkt?
Es gab ein Wachrütteln. Die Onlinehändler haben angefangen, darüber zu diskutieren, was sie tun können. Und es haben sich viele Händler bei uns gemeldet, die nicht mit ähnlichen Skandalen in der Presse landen wollten und diese Frage deshalb regeln wollten. Das hat uns Spender gebracht. Im vergangenen Jahr hat sich unser Spendenaufkommen um circa 70 Prozent gesteigert, und bestimmt die Hälfte davon kam von neuen Spendern.

Sie bekommen die Waren gespendet, aber Ihre Abnehmer müssen dafür trotzdem eine Gebühr zahlen. Wieso ist das so?
Weil Windeln nun mal nicht von der Herstellungsstätte in Schottland ins Frauenhaus nach Nürnberg fliegen können. Wir brauchen etwas Geld, um unser Lager und die Logistik zu betreiben und Mitarbeiter zu bezahlen. Ein Hochregal kostet nun mal 10.000 Euro. Und für die Hersteller ist das Spenden auch teuer. Es gibt immer noch viele Unternehmen, die ihre Waren entsorgen, einfach weil es billiger ist.

Wieso ist es in Deutschland so teuer, Waren zu spenden?
Die Spender haben das Problem, dass sie Umsatzsteuer auf die Produkte zahlen müssen. Eine Shampoo-Flasche zu spenden kann für den Hersteller acht Mal so teuer sein, als die Lieferung einfach zu verbrennen. Entsorgung ist viel zu billig, das ist ein grundsätzliches Problem.

Die Grünen fordern, dass Onlinehändler auf das Spenden von Retouren keine Mehrwertsteuer zahlen sollen.
Das ist der richtige Ansatz, die steuerlichen Rahmenbedingungen für Sachspenden müssen sich ändern. Aber das darf nicht nur für Retouren aus dem Onlinehandel gelten, weil die nur ein kleines Problem sind.

Wenn Sie einen Vernichtungsverbot bei Retouren für den falschen Weg halten, was ist dann der richtige Weg?
Es darf nicht sein, dass die Vernichtung günstiger ist als die Spende. Aber die eigentliche Frage ist, wie wir das Verhalten der Verbraucher verändern können. Es gibt Onlinehändler, die verlangen extra Gebühren für Retouren und sperren die Verbraucher, die zu viel zurückschicken.

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