Neue Anreize „Wir brauchen eine Haftpflicht für Politiker“

Wie bewegt man Politiker zu ergebnis-orientierterem Handeln? Der Jurist Carlos A. Gebauer meint: Mit Haftungsrecht. Quelle: Getty Images

Politiker sind nur durch ihr Gewissen gebunden. Der Jurist und Autor Carlos A. Gebauer will das ändern. Seine Forderung: Politiker sollen wie Manager für ihre Fehler verantwortlich gemacht werden.

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WirtschaftsWoche: Herr Gebauer, in Deutschland haben zuletzt der Youtuber Rezo und die Schülerdemos „Fridays for Future“ den Wahlkampf bestimmt. Was sagt das über die Politik?
Carlos A. Gebauer: Politiker treffen heute Entscheidungen, für die sie selbst persönlich nicht haften. Die aktuellen Debatten zeigen aber, dass die Bürger damit unzufrieden sind. Im Endeffekt fordern sowohl die demonstrierenden Schüler als auch etwa die Gelbwesten in Frankreich verantwortliche Entscheidungen. Die bekommt man als Wähler nicht, indem man Politikern faktisch Blankochecks ausstellt – sondern indem man die Entscheidungsträger für ihr Tun auch persönlich verantwortlich hält.

Das heißt?
In unserem gesellschaftlichen Ordnungssystem gilt allerorten: Wer für einen anderen arbeitet, haftet diesem anderen für die Güte seiner Arbeit. Nur Politiker brauchen das nicht. Bürger müssen deren Fehler hinnehmen. Deshalb brauchen wir eine rechtliche Modernisierung in Gestalt einer Haftpflicht für Politiker.

Die Wähler können ihre Vertreter selbst in Haftung nehmen – in der Wahlkabine.
Das beseitigt aber nicht das prinzipielle Problem. An die Stelle des Abgewählten tritt nur ein anderer, der bis zum Ende der Legislaturperiode auch wieder keine Verantwortung übernehmen muss.

Carlos A. Gebauer ist Rechtsanwalt, Autor und stellvertretender Vorsitzender des FDP-Bezirksverbandes Niederrhein. Quelle: PR

Was würde eine Politiker-Haftpflicht ändern?
Wer Haftpflicht hört, denkt meist an Schadensersatz. Haftungsverpflichtung bedeutet aber vor allem, präventiv an der Motivation der Vertreter anzusetzen. Wer weiß, dass er haften könnte, verhält sich von vornherein vorsichtiger. Das ist bekanntlich elementares und effizientes Qualitätsmanagement.

Naja, Politik ist meist eine Frage von Ideologie.
Ideologische Fragen sind nicht justiziabel. Es geht darum, Politiker für von ihnen verursachte Schäden verantwortlich zu halten.

Und wer bestimmt, was ein Schaden ist?
Die Rechtsordnung hat dieses Problem bereits beschrieben und ihre Antwort darauf steht zum Beispiel recht präzise in Paragraf 93 des deutschen Aktiengesetzes, der die Sorgfaltspflichten und persönlichen Verantwortlichkeiten von Vorstandsmitgliedern regelt.

von Peter Steinkirchner, Rüdiger Kiani-Kreß

Wirtschaft ist nicht Politik.
Die Lage ist aber vergleichbar und analogiefähig. Beide Vertretungsorgane stehen vor derselben Herausforderung: Sie müssen Entscheidungen für eine Zukunft treffen, die sie nicht kennen können. Ein Vorstand muss im Nachhinein erklären, darlegen und notfalls beweisen können, dass er mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes gehandelt hat. Dass er alle verfügbaren Informationen berücksichtigt und wenn nötig Sachverständige zurate gezogen hat. Warum sollten wir von Politikern weniger Qualität verlangen?

Schwierige Zeiten können mutige und schnelle Entscheidungen erfordern.
Mutige Entscheidungen müssen erst recht verantwortlich getroffen werden. Wir brauchen Mut zur richtigen Entscheidung, nicht ein rechtliches Vakuum für Übermut.

Wer geht noch in die Politik, wenn er Milliardenentscheidungen selbst verantworten muss?
Darum geht es doch: Dass nur Entscheidungen getroffen werden, die verantwortbar sind. Und keine unübersehbaren, nur weil Politiker nicht dafür haften. Vor einigen Jahren haben TV-Reporter Abgeordnete befragt, die kurz zuvor im Plenum über Euro-Rettungspakete abgestimmt hatten. Sie sollten erklären, um welchen Zweck und wie viel Geld es ging. Keiner der Präsentierten konnte eine Antwort geben.

Das ganze Land beklagt sich über die erbärmliche Performance des Politikbetriebs. Das liegt unter anderem an den falschen Anreizen.
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Wäre es nicht sinnvoller, an der Vergütung anzusetzen?
Ich habe lange darüber nachgedacht, ob sinnvoll sein könnte, Politiker zum Zwecke einer vorsichtigeren Haushaltspolitik nur aus Haushaltsüberschüssen zu bezahlen. Das führt absehbar zu nichts, weil Politiker genug Möglichkeiten haben, stets mehr Geld einzunehmen. Das Haftungsrecht ist zur Sorgfaltssteigerung erfahrungsgemäß wirkungsvoller.

Es könnte aber auch dazu führen, dass jedes Detail im Nachhinein diskutiert wird – beispielsweise welche Baumaterialen bei einem Projekt verwendet werden.
Das Entscheidende an Schadenersatzprozessen ist nicht zuletzt, dass unterlegene Kläger sie selbst bezahlen müssen. Wer vor Gericht Kritik anbringt, muss also in seinem eigenen Interesse sehr substantiiert darlegen können, warum er meint beweisen zu können, dass eine andere Entscheidung richtig gewesen wäre. Wer willkürlich klagt, macht das vielleicht ein oder zweimal. Aber anschließend kann er sich das nicht mehr leisten.

Sie sind Mitglied der FDP. Die Liberalen kritisieren gerne die Stigmatisierung des Scheiterns und fordern eine neue Fehlerkultur. Wie passt das mit Ihrer Forderung zusammen?
Da sehe ich keinen Widerspruch. Wenn ich mich als Unternehmer betätige und scheitere, verliere ich mein eigenes Geld und hafte denen, die sich willentlich mit mir eingelassen haben. Der heutige Politiker hingegen haftet nicht mit seinem eigenen Geld, sondern nur mit dem fremder Leute. Da ist eine Modernisierung nötig.

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