Besuch bei Mutti Rampenlicht gestohlen? So deutet die britische Presse Johnsons Merkel-Besuch

Angela Merkel wird in vielen britischen Tageszeitungen und Nachrichtensendern in den höchsten Tönen gelobt. Quelle: dpa

Die britischen Medien reagieren überwiegend positiv auf den Berlin-Besuch von Boris Johnson und auf Angela Merkels angebliches Entgegenkommen. Haben sie die Signale falsch gedeutet?

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In den britischen Medien ist das Interesse an Boris Johnsons Berlin-Besuch groß. Schließlich steht eine Menge auf dem Spiel: Großbritannien soll die EU in gerade einmal zweieinhalb Monaten verlassen. Und so, wie die Dinge laufen, steuert das Land auf einen ungeordneten Brexit zu.

Der Nachrichtensender BBC News überträgt daher am Mittwochnachmittag live, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren britischen Amtskollegen empfängt. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz kurze darauf nimmt der anwesende BBC-Reporter kein Blatt vor den Mund: Er fragt Johnson, ob er vorhabe, auf die EU zuzugehen oder ob sein Besuch „nur Getue“ sei, dem er in Kürze Schuldzuweisungen gegenüber der EU folgen lassen werde. Johnson antwortet, angesichts der ein wenig schroffen Frage sichtlich verdutzt, dass es „reichlich Raum“ für einen Deal gebe und dass er an diesem Tag „ernsthafte Gespräche“ führen werde.

Der BBC-Reporter fragt daraufhin Merkel, ob der drohende No-Deal-Brexit jetzt ein britisches Problem sei. Sie lässt daraufhin den Satz fallen, der die Berichterstattung in Großbritannien für den Rest des Tages beherrschen wird: „Vielleicht können wir ja in den kommenden 30 Tagen eine Lösung finden.“ In einem später ausgestrahlten Bericht über den Besuch bezeichnet derselbe BBC-Reporter Merkel respektvoll als „eine der mächtigsten Führungsfiguren in Europa“. 

In der allabendlichen BBC-Nachrichtensendung „Beyond 100 Days“ läuft später ein Bericht von Jenny Hill, der langjährigen BBC-Korrespondentin in Berlin. Sie ist in Hamburg unterwegs und lässt einen Fischhändler zu Wort kommen, der sagt, die EU habe gegenüber Großbritannien schon genügend Zugeständnisse gemacht. Deutschland solle jetzt bloß nicht noch mehr nachgeben. Auch Hills Darstellung von Angela Merkel wirkt respektvoll: Sie bezeichnet sie als „Europas Königin des Kompromisses“. Deutschland habe schon immer „eine Schwäche“ für die Briten gehabt, erklärt Hill dann am Ende ihres Berichts. „Doch diejenigen, die darauf hoffen, dass das zu weiteren Zugeständnissen beim Brexit führen wird, werden enttäuscht sein.“ Deutschland stelle sich „auf einen schmerzhaften Abschied“ ein.

Hat Merkel Johnson einen Gefallen getan?

Einer der beiden Moderatoren der Sendung bemerkt in einem kurzen Gespräch mit seiner Studiokollegin, wie „ehrfürchtig“ Johnson bei der Pressekonferenz mit Merkel gewirkt habe. Der Reporter bezeichnet die Bundeskanzlerin als „Stern am europäischen Firmament“. Diese Ehrfurcht habe vermutlich auch dazu geführt, dass Johnson – der vor seiner Fahrt nach Berlin noch kämpferische Erklärungen in Richtung EU abgegeben hat – bei der Konferenz kleinlaut eingeräumt hat, dass nun London am Zug sei, einen Lösungsvorschlag zu präsentieren, fügt er hinzu.

Der linksliberale Guardian schreibt in einer Analyse, dass Angela Merkel in Sachen Brexit gegenüber Großbritannien immer eine der „sorgsamsten“ europäischen Spitzenpolitikerinnen gewesen sei. Und so auch heute: Merkel habe mit ihrer 30 Tage-Bemerkung Johnson einen Gefallen getan und ihm die Möglichkeit gegeben, das als Entgegenkommen zu präsentieren.

„Doch das könnte auch nur wenig bedeuten“, schreibt der Guardian dann. „Merkels Tonfall war hilfreich, aber in der Sache hat sie überhaupt nichts hergegeben.“ An den grundlegenden Problemen habe sich nichts geändert. Auch „Theresa Mays erste Pressekonferenz wurde als Erfolg gewertet“, heißt es weiter. „Es stellte sich jedoch heraus, dass das ein sehr schlechter Hinweis darauf war, wie sich die Beziehung letztendlich entwickelt hat.“

Der Privatsender Channel 4 ging in einem langen Beitrag auf Johnsons Berlin-Besuch ein. Und auch darin schlug der Sender gegenüber Merkel einen freundlichen Ton an. So bemerkt der Reporter, dass sich die Bundeskanzlerin nichts habe anmerken lassen, als man kurz vor dem Spielen der Nationalhymnen „Stop Brexit“-Rufe von Demonstranten gehört habe. „Mutti stayed mum“, sagte er dazu auf Englisch - Mutti schwieg dazu. Auch der Channel 4-Bericht konzentrierte sich auf Merkels 30 Tage-Erklärung und darauf, wie Johnson versuchte, diese Äußerung als Zugeständnis zu werten. Danach habe Merkel Johnson „wie eine Schuldirektorin zur Arbeit geführt“. 

Diese Art dieser Berichterstattung ist repräsentativ dafür, wie die gängigen britischen Medien und die linksliberalen Tageszeitungen wie der Independent, der Daily Mirror und der Guardian auf Deutschland und auf Angela Merkel blicken: respektvoll, freundschaftlich und bisweilen sogar anerkennend. Weitaus angriffslustiger geben sich hingegen die rechtslastigen Blätter. So auch der Daily Telegraph, der in den vergangenen drei Jahren eine Wandlung von einer respektablen konservativen Tageszeitung zu einem Kampfblatt für Brexit-Hardliner durchlaufen hat. Die Kommentaren des Blattes, für das auch Boris Johnson und der Rechtspopulist Nigel Farage schreiben, verfällt vor allem in seiner Berichterstattung über die EU und über den ewigen Konkurrenten Frankreich oft in eine reflexartig wirkende Angriffsposition.

Britische Medien im Clinch

Gegenüber Deutschland zeigt sich das Blatt meist zurückhaltender. Doch auch da findet man oft kleinere Seitenhiebe. So auch heute: So hat laut dem Telegraph Johnson seiner Gastgeberin bei der gemeinsamen Pressekonferenz „das Rampenlicht gestohlen“, als er an einer Stelle auf Deutsch das Merkel-Motto „Wir schaffen das“ eingeworfen habe. „Es war der Slogan für ihre Flüchtlingspolitik der offenen Tür“, schreibt das Blatt weiter, „die Deutschland entzweit hat und beinahe zum Ende ihrer politischen Laufbahn geführt hat.“

Auch der Leitartikel vom Mittwoch klingt durch und durch kämpferisch. Wenn die EU-Politiker einen No-Deal-Brexit vermeiden wollten, dann müssten sie anfangen, den Premierminister ernst zu nehmen, heißt es darin. „Die EU müsste einmal verstehen, dass sich die Brexit-Politik seit Theresa Mays geändert hat und dass sie nun flexibler sein muss, falls es bis zum 31. Oktober einen Fortschritt geben soll.“ Niemand in Brüssel scheine Boris Johnson ernst zu nehmen, stellt das Blatt dann fest. „Wenn sie einen No Deal-Austritt verhindern wollten, dann wäre es an der Zeit, dass sie das endlich tun.“

Der Economist kommentiert die Entwicklungen an diesem Tag, wie üblich, deutlich taktvoller. Doch das, was Jeremy Cliffe, der Brüssel-Bürochef und frühere Berlin-Korrespondent des Magazins über die Reaktion vieler Kollegen auf Johnsons Berlin-Besuch zu sagen hat, dürfte nur die wenigsten von ihnen freuen. Cliffe tweetet trocken, dass sie die Dinge zu rosig sähen: „Die Westminster-Journalisten sprechen kein Deutsch, verstehen deutsche Politik nicht und sind unendlich dazu bereit, aus Angela Merkels Stellungnahmen Dinge herauszulesen, die sie nicht so meint.“

Und auch der frühere Civil Service-Beamte David Hening, heute Direktor des „UK Trade Policy Projects“ des Brüssel Thinktanks ECIPE, weist in einem Tweet darauf hin, dass wohl weniger Bewegung in die Dinge gekommen sei, als viele Beobachter anzunehmen scheinen. „Wir sind nicht wirklich vorangekommen. Und erinnert Euch an den Mangel an Vertrauen, der von allen Seiten gegenüber der britischen Regierung herrscht...“

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