Wegen Kassenzettel-Pflicht „Bon- und Müllwahnsinn“: Bäckereien warnen vor 5 Milliarden Kassenbons

Kassenbon-Pflicht auch für Brötchen? Der Zentralverband des Bäckerhandwerks warnt vor Müll-Wahnsinn Quelle: dpa

Ab 2020 unterliegt der deutsche Einzelhandel einer neuen Pflicht zum Kassenbon. Allein die Bäckereien fürchten dadurch fünf Milliarden neue Papierbons pro Jahr – dabei gäbe es bessere Lösungen.

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Hinter dem neuen Gesetz steht, so muss man es zumindest unterstellen, sicherlich ein guter Wille: Ab 2020 soll der deutsche Einzelhandel verpflichtet werden, Kassenbons auszugeben. So will das Finanzministerium sicherstellen, dass keine Einnahmen an der Steuer vorbeigeschleust werden.

Was etwa in Elektronikgeschäften längst üblich ist, stellt hingegen für kleinere Läden wie etwa Bäckereien eine große Herausforderung dar. Sie müssen ihre Kassensysteme aufwendig nachrüsten lassen.

Entsprechend aufgebracht reagiert der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks und setzt auf die Umweltschutz-Karte. So erklärt Daniel Schneider, Hauptgeschäftsführer des Bäcker-Zentralverbands: „Das wird völlig überflüssige Müllberge produzieren.“ Es drohe ein „Bon- und Müllwahnsinn“.

Fünf Milliarden neue Kassenbons würden so allein bei Deutschlands Bäckern entstehen, schätzt Schneider und versucht sich an einer gewagten Rechnung: Damit könnte etwa 25 mal die Erde umwickelt oder zweieinhalb Mal die Strecke von der Erde zum Mond gelegt werden. „In Zeiten, in denen unsere Betriebe und die Gesellschaft zunehmend auf Nachhaltigkeit und Abfallvermeidung achten, ist es geradezu unsinnig, wenn für den Kauf von ein paar Brötchen ein Kassenzettel gedruckt werden muss.“

Die Belegausgabepflicht sei „das derzeit beherrschende Thema der Branche“, sagt Schneider. „Kein deutscher Innungsbäcker kann diese unsinnige Bürokratie-Maßnahme nachvollziehen.“

Das kann die Bäckerei Terbuyken aus der Nähe von Düsseldorf nur bestätigen. Bisher drucken die Verkäufer in den 28 Filialen Bons nur auf explizite Nachfrage der Kunden aus. Kommt im nächsten Jahr die Bon-Pflicht, rechnen die Rheinländer allein in ihren Filialen mit 25.000 Meter Bonpapier – pro Woche. Das stelle „ein riesiges Plus an (aus unserer Sicht unverhältnismäßigem) Papierbedarf dar“, kritisiert ein Terbuyken-Sprecher. Hinzu kommen nach Terbuyken-Schätzung Mehrkosten in fünfstelliger Höhe.

Auch die Münchner Traditionsbäckerei Rischart mit ihren 15 Filialen kann den Bon-Plänen nichts abgewinnen. „Unserer Erfahrung nach entsorgen die meisten Kunden die Kassenbons direkt nach Erhalt oder möchten diese gar nicht erst haben“, sagt Bäckerei-Inhaber Magnus Müller-Rischart. „Neben dem immensen Bürokratieaufwand werden wir nun leider gezwungen, Müllberge aus beschichtetem Papier zu produzieren.“

Wie groß diese Müllberge über alle Branchen hinweg werden könnten, zeigt wiederum der Handelsverband Deutschland (HDE) in einer Rechnung. „Im Einzelhandel in Deutschland rechnen wir mit mehr als zwei Millionen Kilometern zusätzlicher Länge an Kassenbons im Jahr“, sagte der Steuerexperte des HDE, Ralph Brügelmann. Betroffen seien vor allem Unternehmen, die viele günstige Artikel verkauften.

Die Kassenbon-Pflicht ist Teil der Kassensicherungsverordnung, die Steuerbetrug an der Ladenkasse verhindern soll. Demnach sollen Kassen durch eine technische Sicherheitseinrichtung (TSE) fälschungssicher werden. Ursprünglich sollten alle Kassen bis zum Jahresbeginn 2020 die neuen Vorschriften erfüllen, das Finanzministerium räumte nun Zeit bis Ende September ein.

Der HDE kritisierte, die benötigte Technik sei noch nicht am Markt verfügbar und die Umstellung kostspielig. „Erste grobe Kostenschätzungen liegen einschließlich Installation zwischen 300 und 500 Euro pro Kasse.“ Können die Kassen hingegen nicht nachgerüstet werden, sondern müssen neu gekauft werden, liegen die Kosten deutlich höher. Der Bäcker-Verband rechnet hier mit 2000 bis 4000 Euro pro Kasse.

Den Kritikern zufolge ist die neue Bonpflicht nicht nur unökologisch und teuer, sondern in Zeiten der Digitalisierung auch völlig überflüssig. Laut Brügelmann könnte die Umstellung der Kassen Steuerbetrug zwar eindämmen, die Beleg-Pflicht trage aber nicht dazu bei.

„Mit dem ersten Tastendruck beim Kassieren wird eine Transaktion eröffnet, die sich bei einer mit einer TSE ausgerüsteten Kasse nicht mehr ohne Spuren löschen lässt“, erklärt der Steuerexperte. „Ob dann der Kunde einen Beleg bekommt oder nicht, ist unerheblich.“

Bei Terbuyken werden schon heute sämtliche Verkäufe registriert, ganz ohne, dass dafür Papier verschwendet werden müsste. Umso weniger kann die Bäckerei Verständnis für die neue Vorschrift zeigen, wie der Sprecher betont: „Da in unserem Kassensystem alle Bons lückenlos und manipulationssicher aufgeführt sind und den Behörden jederzeit zur Einsicht zur Verfügung stehen, erschließt sich uns diese Entscheidung weder hinsichtlich der Notwendigkeit und Praktikabilität noch aus ökologischen oder finanziellen Aspekten.“

mit Material der dpa

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