Leere Schiffe, volle Frachtflugzeuge Coronavirus bringt die Logistik durcheinander

Der Coronavirus hat Auswirkungen auf die Logistik. Für Unternehmen die keine Alternativen finden, könnten Transportkosten erst mal in die Höhe schiessen. Quelle: dpa

Das Coronavirus sorgt für Produktionsausfälle und bringt Lieferketten durcheinander: In China fahren kaum Lkw, Schiffe bleiben leer, Luftfracht wird teuer. Unternehmen müssen deshalb mit hohen Transportkosten rechnen.

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Die „Task Force Coronavirus“ trifft sich jeden Morgen um 8.45 Uhr. Seit Ende Januar ist die Telefonkonferenz Morgenroutine beim Logistik-Start-up Freighthub. Jeden Morgen geben die Kollegen aus China ihren neusten Informationsstand weiter. Jeden Morgen beraten die Kollegen in Europa, welche Informationen sie an ihre Kunden weitergeben sollen. Jeden Morgen ist die Situation wieder neu, wieder anders, jeden Morgen muss Freighthub-Vorstand Michael Ardelt darauf reagieren.

Freighthub ist angetreten, die Frachtbranche zu vereinfachen. Speditionen, die Lieferungen mit Lastwagen und Schiffen weltweit organisieren, arbeiten oft noch wenig digital und noch weniger transparent. Freighthub wolle genau das leisten, so das Versprechen an die Kunden. Dazu kauft Freighthub Kapazitäten bei Reedern und Frachtflugzeugen auf eigene Kosten ein, um sie dann über das eigene Internetportal an Kunden weiterzugeben. Doch Transparenz und Vorhersehbarkeit, das sind in Zeiten des Coronavirus schwer zu erfüllende Ansprüche.

Seit gut einem Monat schon versucht die chinesische Regierung mit strengen Maßnahmen, den Ausbruch von Covid-19 zu stoppen. Über Wochen bleiben Fabriken und Büros abgeriegelt, der Verkehr ist eingeschränkt. Die Folgen sind rund um den Globus spürbar: Unternehmen aus der ganzen Welt melden Engpässe, weil sie auf Lieferungen aus den betroffenen Gebieten warten. Die Schiffe sind leer, die Frachtflugzeuge übervoll. Lieferfristen und Frachtraten schwanken von einem Extrem ins andere, die Vorhersehbarkeit sinkt. Der Speditionsverband DSLV warnt deshalb bereits vor „Zusatzkosten für den Warenverkehr“.

Das Coronavirus hat den internationalen Transport ins Chaos gestürzt.

Es sind nicht nur die Produktionsstopps, sagt Michael Ardelt. „Die größte Herausforderung ist es bisher, die Ware überhaupt zum Hafen zu bekommen. Der Lastwagenverkehr in China war komplett eingebrochen und erholt sich aktuell nur langsam.“ Der Grund: Die strengen Vorsichtsmaßnahmen treffen auch die Fahrer. Je nachdem, durch welche Gebiete ihre Route führt, müssen auch sie in Quarantäne. So waren viele Trucker gleich für zwei Wochen blockiert.

Die Lage ist kritisch. China gilt nicht nur als eine der Werkbänke der Welt, die chinesischen Häfen sind längst auch das Tor zu anderen asiatischen Märkten. Sieben der zehn weltgrößten Häfen befinden sich in dem Land. Zwar sind die chinesischen Häfen – mit Ausnahme von Wuhan – offiziell weiter in Betrieb. Doch es fehlt an Personal.

„Wir spüren enormen Druck an den Hafenterminals, weil es nicht genügend Arbeiter in den Häfen gibt um die Container zu befördern; nicht genügend Truckfahrer, um die Güter zu befördern; und niemanden in den Fabriken oder Warenhäusern, um die Waren entgegenzunehmen“, sagte Sören Toft, Vorstandsvorsitzender von Maersk, der weltgrößten Reederei.

Der Seefrachtspediteur Kühne und Nagel warnt seine Kunden: „Die Häfen von Shanghai, Tianjin und Ningbo bleiben überlastet.“ Dem Personalmangel folgt der Platzmangel: Viele Häfen haben kaum noch Raum für die Container, die auf Bearbeitung und Weiterversand warten. Und so stauen sich die Container in den Häfen.

Vor allem für Obst- oder Gemüselieferungen ist das ein großes Problem. Frische Ware wird normalerweise in Kühlcontainern transportiert, die an den Strom angeschlossen werden müssen, sobald sie am Hafen angekommen sind. Nur gibt es an vielen Standorten nicht mehr genügend Steckdosen, melden Reedereien. Die ersten Anbieter verlangen deshalb nun bereits eine Extragebühr von 1000 Dollar für jeden Kühlcontainer, der noch in chinesischen Häfen eintrifft.
Dabei haben Reeder die Fahrten nach China ohnehin schon weitgehend begrenzt: Seit dem Ausbruch des Coronavirus haben Reedereien mehr als 30 Fahrten von Asien nach Europa gestrichen. Nach Berechnungen des Analysedienstes Alphaliner sind das 46 Prozent der gesamten Kapazität auf der Route.

Zu dieser Jahreszeit sei das zu einem gewissen Grad normal, sagt Michael Ardelt von Freighthub. Ende Januar feiern die Chinesen den Beginn des Neuen Jahres. Es ist der wichtigste Feiertag für viele Chinesen. Rund um das Ereignis haben viele Unternehmen ohnehin Betriebsferien, in der Transportbranche gelten deshalb die folgenden Tage traditionell als schwach. „Auf diese erste Woche ist die Logistik vorbereitet“, sagt Ardelt. „Aber aus dieser einen Woche wurden je nach Region drei bis vier Wochen Ausnahmezustand. Und damit konnte niemand rechnen.“

Teilweise seien Schiffe nur mit 20 Prozent Auslastung gefahren. „Die Raten sind in den Keller gestürzt“, sagt Ardelt. So kostet ein Container von China nach Europa laut dem Frachtindex SCFI aktuell kaum noch 850 Dollar. Ende 2019 lag der Index noch bei über 1000 Dollar je Container.

Das Coronavirus wird damit zu einer heftigen Störung für den internationalen Seeverkehr. Nach Berechnungen von Alphaliner könnten die chinesischen Häfen im ersten Quartal etwa 6 Millionen Standardcontainer weniger verladen. Das wären etwa vier Prozent des weltweiten Containerverkehrs im Jahr.

Und selbst wenn die Reeder ihre Fahrten wieder aufnehmen: Es könnte Wochen dauern, bis der Rückstand an den Häfen wieder abgearbeitet ist. Frachtkapazitäten bleiben deshalb knapp.

Hinzu kommt, dass auch viele Airlines ihre Flüge nach China gestrichen haben. So hat die deutsche Airline Lufthansa alle Passagierflüge auf das chinesische Festland ausgesetzt. Nur die Frachttochter Lufthansa Cargo steuert die chinesischen Flughäfen weiter an. Allerdings reduzierte die Airline die Zahl der Verbindungen um rund ein Drittel, die Maschinen fliegen außerdem einen Umweg über das russische Nowosibirsk, wo die Crew ausgetauscht wird. Eine Sicherheitsmaßnahme. Die Maßnahmen sind schmerzhaft für die Lufthansa. Die Airline will wegen des Coronavirus ein Sparpaket auflegen. Doch wie viel genau die Sicherheitsvorkehrungen kosten, dazu schweigt sich die Lufthansa noch immer aus. Ein Indiz könnte jedoch die jüngste Ankündigung des Konkurrenten Air France-KLM sein: Die Airline rechnet mit 150 bis 200 Millionen Euro weniger Umsatz wegen der gestrichenen Flüge.

Die verbleibenden Frachtflieger können die Nachfrage kaum auffangen. Alleine die nun gecancelten Passagierflugzeuge transportieren in ihren Bäuchen unter den Sitzreihen normalerweise etwa 50 Prozent der Luftfracht. „Es ist davon auszugehen, dass die Luftfrachtraten aus China um 300 bis 400 Prozent sprunghaft ansteigen könnten“, warnt Freighthub seine Kunden auf seiner Homepage.

Bis Ende März könnte sich die Situation wieder normalisieren, hofft Ardelt. Nur kann nicht jedes Unternehmen in Deutschland so lange auf seine Lieferung warten. Ihnen bleiben nicht viele Optionen: Wer keinen neuen Zulieferer findet, der zahlt ein Vielfaches für den Transport.

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