Wirtschaft von oben #45 – Flughäfen in der Coronakrise Parkplätze für Billionen

Frankfurt, Seoul, Abu Dhabi: Die Coronakrise macht aus den geschäftigsten Flugplätzen der Welt riesige Abstellflächen für weit mehr als 11.000 derzeit überflüssige Maschinen. Satellitenbilder zeigen, dass der Platz knapp wird. Darum weichen immer mehr Airlines auf Provinzpisten aus – und die ersten inzwischen sogar auf Jet-Friedhöfe. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

Flughäfen in der Coronakrise

Die neue Nordwestbahn am Flughafen Frankfurt ist gerade der wohl traurigste Ort der deutschen Flugwirtschaft. Dort wo noch Ende Februar fast im Minutentakt Flugzeuge aus aller Welt landeten, parkt Ende März bereits ein halbes Dutzend Flugzeuge der Lufthansa, wie exklusive Satellitenbilder von LiveEO zeigen. Bald dürften es mehr als 20 sein, vermuten Manager des Konzerns.

An fast keinem der weltweit wichtigen Verkehrsflughäfen sieht es derzeit besser aus als in Frankfurt. Von Seoul Incheon in Korea und Abu Dhabi International, über Paris-Charles de Gaulle bis nach Toronto-Pearson: Seit die Corona-Krise Anfang März die Reisebranche voll traf, haben sich fast alle großen Drehkreuze von geschäftigen Knotenpunkten der Weltwirtschaft zu Abstellflächen rund um verwaiste Terminals gewandelt. „An manchen Tagen werden bis zu 800 Maschinen abgestellt“, so eine Analyse des Datenspezialisten Cirium.

Abu Dhabi

Auf dem weltgrößten Airport Atlanta Hartsfield-Jackson im US-Bundesstaat Georgia hat Hausherr Delta gar drei der fünf Bahnen mit Fluggerät zugestellt. In Kopenhagen sind es zwei von drei Bahnen, wie die Satellitenbilder zeigen:

Laut einer aktuellen Übersicht des auf die Fliegerei spezialisierten Datendienstleisters CH-Aviation für die WirtschaftsWoche steht seit dieser Woche mindestens ein Drittel der weltweit gut 33.000 aktiven Maschinen am Boden. „Viele der großen Flughäfen können bereits keine weiteren Jets mehr aufnehmen“, warnt eine Analyse des Datenspezialisten Cirium. Damit ruht nicht nur ein weiter Teil der Globalisierung, sondern auch ein Wert in Billionenhöhe. Mehr als 1500 Milliarden Euro an Wert könnte derzeit seine Zeit auf Beton verbringen statt beim Geld verdienen in der Luft.

Der hohe Wert rührt vor allem daher, dass die strikten Reisesperren vor allem die Langstreckenflüge treffen. So hat die weltgrößte Fluglinie American Airlines mit Ausnahme von London und Tokio alle Überseerouten gestrichen und beschränkt sich auf Verbindungen im Inland und nach Lateinamerika. Und weil selbst die überwiegend leer bleiben, bedient sich American überwiegend kleinerer Boeings. Dadurch bleiben überdurchschnittlich viele Großraumjets am Boden – allen voran fast 200 Exemplare des Superjumbo Airbus A380 oder der Boeing 747-8, von denen jede mit Einrichtung meist bis zu einer halben Milliarde Euro gekostet hat.

Dabei halten sich die Airlines noch zurück. Denn laut der Übersicht von CH-Aviation haben die Linien im Schnitt weltweit 80 Prozent der Kapazität abgebaut, aber nur gut ein Drittel der Flieger geparkt. „Statt eine Maschine wie bisher sechs bis acht Mal am Tag starten zu lassen, schicken sie nun sechs bis acht Maschinen jeweils einmal am Tag in die Luft“, beschreibt CH-Aviation-Vorstand Simonas Bartkus das Muster der fliegenden Kurzarbeit.

Der Anteil könnte jedoch noch deutlich steigen, fürchtet Peter Harbison, Chef der Beratungsgesellschaft Centre for Aviation. „Corona könnte am Ende 80 Prozent der Weltflotte an den Boden zwingen.“

Danach sieht es noch nicht aus. Derzeit wollen die Airlines laut ihren aktuellen Planungen bereits ab Mai wieder gut 80 Prozent der Kapazität anbieten, die sie noch im Februar für die Zeit vor Pfingsten im Angebot hatten. „Doch das wirkt sehr optimistisch“, urteilt der US-Branchendienst Skift.

Denn die Hoffnung der Planer ruht auf der vermeintlich schnellen Erholung in China, wo die Fluglinien laut einer Übersicht der Marktforschung Anna.aero bereits wieder 80 Prozent der Vorjahreskapazität bewegen. Zum Höhepunkt der Krise Anfang Februar waren es nur 30 Prozent. Doch der Aufschwung rührt wohl eher aus den Vorgaben der Pekinger Regierung, die Airlines mögen doch bitte eine Rückkehr zur Normalität zeigen. Und die - nach umfangreichen Staatshilfen mehr denn - je politikfreundlichen Airlines folgen dem Ruf.

Allerdings sind die Jets schlecht gebucht, berichten Reisende. Und an den Airports sind noch viele Läden geschlossen. „Wenn in der Region ein Chanel-Laden zu hat, kann es mit der Rückkehr zur Normalität noch nicht weit her sein“, berichtet ein jüngst heimgekehrter Asienreisender. Offenbar treibt weder der wirtschaftliche Aufschwung die Geschäftsreisen, noch ist das private Reisefieber auch nur in der Nähe des Vorkrisenniveaus.

Stattdessen gibt es Anzeichen, dass viele Airlines im Rest der Welt ihr Angebot erstmal kürzen. „Dann folgt endgültig ein Schub bei den Stilllegungen“, so Harbison.

Es sind offenbar mehr als Planspiele. Denn inzwischen weichen die Airlines bereits von den Großairports reihenweise in die Provinz aus, wenn auch vorerst nur in kleinen Stückzahlen pro Flugplatz. So parkt der Lufthansakonzern seine vielen hundert nicht mehr benötigten Flieger nicht nur an wenig genutzten Airports wie am rekordverspäteten neuen Berliner BER oder Plätzen außerhalb des Liniennetzes wie Nordholz bei Cuxhaven.

Die Schweizer Tochter Swiss nutzt Militärflughäfen wie Dübendorf bei Zürich. Laut einer Übersicht des Portals Flightradar24 hat der Konzern mit dem Kranich im Logo seine überzähligen Maschinen fast europaweit verteilt - von Orten mit konzerneigenen Werkstätten wie Shannon in Irland, auf Luqa in Malta oder dem bulgarischen Sofia bis zu Orten wie Bratislava in der Slowakei oder Teruel in Ostspanien.

Noch großzügiger streut Easyjet. Der britische Billigflieger verteilt seine zuletzt 344 Flieger auf fast alle 30 Airports, an denen er eine Basis mit eigenem Personal hat.

Air France stellt nicht nur, wie die Satellitenbilder zeigen, am stillgelegten zweiten Pariser Flughafen Orly oder in Toulouse ab, sondern auch im kleinen Vatry im Nordosten Frankreichs. American Airlines hat in Tulsa im Bundesstat Oklahoma die seit gut einem Jahr von einem Flugverbot betroffenen Boeing 737 MAX nun um seine Interkontinental-Boeings 777 und 787 ergänzt. British Airways und Virgin Atlantik haben gut 20 Flieger im südenglischen Seebad Bournemouth untergebracht. Und Hawaiian Airlines lässt seine Flieger in Honolulu ruhen.

Noch signalisiert die Wahl der zusätzlichen Ruhestellen allerdings Zuversicht. „Denn für einen längeren Aufenthalt sind diese Airports eher nicht geeignet“, erklärt der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. Denn nichts setzt einer Maschine mehr zu als eine längere Ruhe in einem Küstenort mit feuchtem Klima. Auch wenn die auffälligen roten Abdeckungen auf Triebwerken oder den Pitot-Rohren zur Geschwindigkeitsmessung viele unerwünschte Einflüsse wie Vögel im Motor oder Insekten in der Elektronik abhalten. Am Ende drohen nicht nur die ruhenden Triebwerke festzuhängen, weil ohne den Regelbetrieb das Öl nicht mehr in allen Teilen für ausreichende Schmierung sorgt. Zusätzlich treibt die salzige Luft schädliche Feuchtigkeit in alle Ecken und lässt das Metall schneller mürbe werden als im Flugbetrieb, wo die trockene Luft in großer Höhe schädliches Kondenswasser quasi aufsaugt.

Wenn die Fluglinien trotzdem ihr teures Gerät in die feuchte Luft stellen, dann damit sie schnell wieder auf sie zugreifen können. Denn auch wenn das Material in der Meeresluft etwas mehr leidet, an den gut erreichbaren Airports haben die Linien und ihre Techniker die Jets immer gut im Blick. Und sie können sie schneller wieder in Dienst holen, wenn sich die Wirtschaft erholt und die Nachfrage rascher anzieht als erwartet. Bei der richtigen Vorbereitung dauert das nur 60 Stunden. An abgelegenen Airports zieht es sich inklusive Anreise und dem Transport des nötigen Materials gern eine halbe Woche länger oder auch deutlich mehr hin.

Doch die Zuversicht scheint zu schwinden. Denn inzwischen füllen sich heimlich auch jene Stellplätze, die das genaue Gegenteil von Frankfurt, Nordholz oder Hawaii sind: abgelegen, trocken – und mit 300 Dollar Gebühr für Dauerparker pro Monat deutlich günstiger als große Airports mit Tagesraten von teilweise mehreren Tausend Euro.

Flughafen Dubai

Wohl angesichts der stetig steigenden Zahl an Corona-Kranken schicken die ersten US-Gesellschaften ihre Maschinen im wahrsten Sinne des Wortes in die Wüste. Ziel ist meist der extrem trockene Südwesten der USA. Delta nutzt den Pinal Airpark in Arizona. American Airlines parkt seine Flieger am Roswell International Air Center in New Mexico. Die bei UFO-Fans bekannte ehemalige Militärbasis erweitert gerade von gut 15 auf fast 20 Quadratkilometer Abstellfläche. Und selbst in der sonst wichtigsten Wachstumsregion Asien wächst der Bedarf. Darum baut die vom ehemaligen Deutschbänker Tom Vincent betriebene Asia Pacific Aircraft Storage in der australischen Wüstenstadt Alice Springs aus.

Und anders als aus Frankfurt oder Paris kommen die dort geparkten Flugzeuge nicht zurück – oder nur als Ersatzteile für andere Maschinen.

Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.


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