Wirtschaft von oben #52 – Flughafen Tegel Geliebt und gehasst – Flughafen Tegel bleibt am Netz

Der Berliner Airport Tegel soll nun doch nicht vorübergehend schließen, der Flughafenchef rechnet mit steigenden Passagierzahlen. TXL wurde geliebt und gehasst, mehr als vier Jahrzehnte lang. Historische Luftaufnahmen und exklusive Satellitenbilder zeigen seine bewegte Geschichte. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

Flughafen Berlin Tegel

Die Coronapandemie hat den Luftverkehr fast zum Erliegen gebracht. Um Betriebskosten zu sparen, sollte der Hauptstadtflughafen Tegel am 15. Juni außer Betrieb gehen – vorübergehend, hieß es in einer Gesellschafterversammlung von Bund und den Ländern Berlin und Brandenburg Mitte Mai. Nun hat sich das Blatt gewendet: Am Mittwoch verkündete Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup, man werde den Airport nun doch am Netz lassen. Aufgrund des anziehenden Flugverkehrs und der Aufhebung der globalen Reisewarnung erwarte man steigende Passagierzahlen. An der endgültigen Schließung am 8. November 2020 halte man aber fest, bekräftigte Lütke Daldrup.

Der Tegel-Airport hat die Menschen elektrisiert – und in ihrer Hassliebe vereint. Architektonisch gilt er als Glanzstück: stilprägend für die Generationen nach den Wirtschaftswunderjahren. Berlin hat ihn mit der Zeit aber zu „Deutschlands versiffter Visitenkarte“ und einem „Eingangstor in die Vergangenheit“ verkommen lassen. Der „TXL“ hat damit 46 Jahre lang Geschichte geschrieben, wie in den exklusiven Luftbildaufnahmen des Geoportals Berlin und den Satellitenbildern von LiveEO zu sehen ist – als Einflugschneise für Touristen, Geschäftsreisende und Staatsgäste.

Vor 1970 – Flugplatz in nur 90 Tagen

Die jüngere Geschichte des Flughafens beginnt gleich nach dem Zweiten Weltkrieg. Gut einen Monat nach Beginn der Berlin-Blockade stimmt die französische Besatzungsmacht dem Bau eines neuen Flughafens in ihrem Sektor zu, der zur Unterstützung der Berliner Luftbrücke dienen soll. In einer Rekordzeit von 90 Tagen wird ein Flugplatz gebaut. Wo zuvor auf den Luftaufnahmen noch viel Natur zu sehen ist, entsteht die mit 2428 Metern damals längste Landebahn Europas.


Am 5. November 1948 landet dort das erste Flugzeug. Es dauerte noch ein paar Jahre, bis ein echter Linienbetrieb Berlin mit der Welt verbindet. Den ersten planmäßigen Flug nahm Air France 1960 auf – in behelfsmäßigen Baracken. Ab 1964 schickte die US-Airline Pan Am Direktflüge von Berlin-Tegel nach New York.

Mitte der 1960er Jahre startet die Hauptstadt den Ideenwettbewerb „Flughafen Berlin-Tegel, Bauzone Süd“. Es wird der Beginn der Architektenkarriere der Hamburger Meinhard von Gerkan und Volkwin Marg. Die beiden erhalten am 16. März 1966 den Zuschlag für ihre bis dahin beispiellose Konzeption: den Drive-in-Flughafen.

Tegel folgte dem Leitbild der „autogerechten Stadt“, Reisende konnten praktisch mit dem Wagen bis kurz vor den Flugsteig fahren oder ihn dort sogar parken. Auch heute noch ist das gmp-Architekturbüro stolz auf den Bau. „Tegel ist zu einem Mythos geworden“, sagt Miterfinder Marg 2016 der Zeitung „B.Z.“. „Unser beruflicher Blitzstart mit Tegel ist zur Legende geworden.“

1970-1980: Eröffnung des Drive-in-Flughafens

Am 23. Oktober 1974 geht „Tegel-Süd“, wie der Flughafen damals noch hieß, in Betrieb. Kosten des Flughafens: 430 Millionen Mark. Das sechseckige Terminal, das auf den Luftaufnahmen im Süden zu sehen ist, wird zum Markenzeichen Tegels. Bis heute macht der Flughafen mit seinen scharfen Kanten und viel unverputztem Beton einen recht rohen Eindruck. „Das war das Prinzip“, sagte von Gerkan 2016 der „Zeit“. „Der Flughafen sollte aus purer Funktion bestehen. Das Gepäck wird nicht sortiert, sondern kommt vom Check-in-Schalter direkt zur Maschine – und dann natürlich der Ring, der ermöglicht, immer den kürzesten Weg zum Gate zu wählen.“

Ein Jahr später löst Tegel den Berliner Konkurrenten Tempelhof als wichtigsten Flughafen der geteilten Stadt ab. Für das Wachstum des Luftverkehrs hatte das Architektenduo vorgesorgt. Neben dem ersten sechseckigen Terminal sollte ein zweites entstehen. Gebaut wurde es aber nie, und zwar nicht nur aus Kostengründen. „Wir waren überzeugt, dass (Tegel) das Vorbild für alle Flughäfen weltweit würde“, sagte von Gerkan. Aber bei der Planung in den Sechzigern habe „ja kein Mensch daran gedacht, dass es eines Tages zu Flugzeugentführungen kommen würde! Für Sicherheitskontrollen ist es natürlich wirtschaftlicher, alle Passagiere durch einen Flaschenhals zu schleusen.“

1980 bis 2000: Tegel-Süd wird zu Otto Lilienthal

Die Achtziger beginnen zunächst unspektakulär. Der Flughafen „Tegel-Süd“ wird 1988 in „Otto Lilienthal“ umbenannt. Im Zuge der Wiedervereinigung werden alle Restriktionen für den Berliner Luftverkehr aufgehoben und deutsche Fluggesellschaften können ihn nun auch ansteuern. 1996 beschließen die Gesellschafter Berlin, Brandenburg und der Bund dann den Bau des Flughafens Berlin Brandenburg International (BBI) auf dem Gebiet des Flughafens Schönefeld. Die Flughäfen Tegel und Tempelhof sollen im Gegenzug schließen.


2000 bis 2010: Billigflieger erzwingen Anbau

Doch der Luftverkehr über Berlin wächst, Billigflieger erobern den Himmel. Die Gesellschafter entscheiden, einen unspektakulären Anbau in Holzbauweise im Westen zu errichten, zu erkennen als eine Art „Finger“ unter dem Hauptterminal. Air Berlin bekommt als damals zweitgrößte deutsche Airline ein eigenes Terminal C am östlichen Rand des Flughafengebäudes, wie auf den Bildern zu erkennen ist. Inzwischen ist Air Berlin pleite. Vom Terminal C fliegt heute vor allem Easyjet ab.

2010 bis 2020: An der Kapazitätsgrenze

Zu Beginn des letzten Jahrzehnts sind Air Berlin und Lufthansa allerdings noch die wichtigsten Airlines am Airport TXL. Das Ziel von Air Berlin, die Hauptstadt zu einem zweiten Drehkreuz nach Düsseldorf für Fernziele wie Bangkok auszubauen, scheitert nach wenigen Jahren, denn nur selten landen die ganz großen Maschinen hier. Eine der wenigen Ausnahmen war der 2012 von der Lufthansa nach Tegel geschickte, doppelstöckige A380, den die Airline auf den Namen „Berlin“ taufte.

2012 ist auch das Jahr, in dem Tegel eigentlich schon schließen sollte. Doch der Parallelbau BER in Schönefeld wird zum Fiasko und weltweitem Lacher. Der große Glanz der weiten Welt will sich in Tegel nie einstellen. Direktflüge nach Asien oder in die Vereinigten Staaten bleiben die Ausnahmen.

Dennoch kommt der Flughafen an seine Kapazitätsgrenze, weil Berlin boomt und zum Mekka der Städtepilger wird. Allein 2019 wurden mehr als 24 Millionen Passagiere abgefertigt und damit zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Zuletzt wirkte der TXL regelrecht verlottert. Von Gerkan sagte der „Zeit“ 2016: „Die mittlerweile erreichte Jahreskapazität von über 22 Millionen Passagieren im Verhältnis zur Ursprungskapazität des einen Sechsecks von 2,5 Millionen Passagieren pro Jahr ist der Einfachheit, Übersichtlichkeit, der extrem kurzen Wege und der schnellen Abfertigungsvorgänge zu verdanken.“

TXL hatte daher auch seine Fans: Vor allem die FDP forcierte einen Volksentscheid. Am 24. September 2017, dem Tag der Bundestagswahl, gab es sogar eine deutliche Mehrheit für die Offenhaltung von Tegel auch nach dem BER-Start. Doch der Senat fühlte sich nicht daran gebunden. Tegel wird am 8. November 2020 schließen – endgültig.

2020 bis 2030: Zukunft als Stadtviertel

Stattdessen soll bald ein neues Stadtviertel entstehen: mit 5000 Wohnungen im Osten des Flughafens und Mischflächen für Wohnen und Gewerbe auf dem alten Flughafengelände im Norden. Im Nordwesten ist eine Aufforstung angedacht. Den Rest bilden Grünflächen. Außerdem wird das Planungsgebiet über die bestehenden Flughafenflächen hinaus vergrößert. Tegel lebt damit weiter – nur anders.

Die Rubrik „Wirtschaft von oben“ entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.


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