Wirtschaft von oben #64 - Beirut So hart trifft die Explosion von Beirut die libanesische Wirtschaft

Die gewaltige Explosion im Hafen von Beirut hat wichtige Teile der libanesischen Hauptstadt zerstört. Satellitenbilder zeigen jetzt, welche wirtschaftlich bedeutenden Stadtviertel besonders stark betroffen sind.

Satellitenbild des Hafens von Beirut

Am Dienstagabend erschütterte eine gewaltige Detonation Libanons Hauptstadt Beirut. Sie war so heftig, dass sie sogar noch in Zypern zu spüren war. Mehr als 100 Menschen starben, etwa 5000 wurden verletzt. Häuser wurden zerstört, Fenster zersprangen, Autos wurden zertrümmert. Hunderttausende Menschen sind obdachlos.

Die Explosionen ereigneten sich im Hafen der Stadt. Die genaue Ursache ist bisher noch ungeklärt. Nach Angaben des libanesischen Ministerpräsidenten Hassan Diab ist im Hafen eine sehr große Menge Ammoniumnitrat explodiert. Etwa 2750 Tonnen des für die Herstellung von Sprengstoff verwendeten Materials seien dort seit sechs Jahren ohne Vorsichtsmaßnahmen in einem Lagerhaus untergebracht gewesen. Das Unglück hat viele Stadtviertel verwüstet hinterlassen – und damit nicht nur die libanesische Hauptstadt, sondern die Wirtschaft des gesamten Landes hart getroffen, wie aus jetzt verfügbaren Satellitenbildern deutlich wird.

Am mutmaßlichen Ausgangspunkt der Katastrophe, dem Lagerhaus im Hafen von Beirut, ist nun auf den Satellitenaufnahmen nur noch ein großer, mit Wasser gefüllter Krater zu sehen. Insgesamt ist der Hafen mit am schwersten von der Explosion getroffen – und das hat auch große Auswirkungen auf die Volkswirtschaft des Landes. Der Libanon importiert jährlich Waren im Wert von etwa 20 Milliarden Dollar. Rund 60 Prozent davon gelangen durch den Hafen ins Land. Die im Vergleich dazu relativ geringen Exporte summieren sich auf etwa vier Milliarden Dollar. Der Hafen ist die wirtschaftliche Hauptschlagader des Landes, über ihn wird die Bevölkerung versorgt. Direkt neben dem Lagerhaus standen etwa Silos, in denen sonst ein Großteil der Getreidevorräte des Landes lagert. Auf den Satellitenbildern ist zu erkennen, dass die Silos nun nicht mehr zu gebrauchen sind.

In der Nähe des Explosionsorts liegt der Beirut Central District. Auf den Satellitenaufnahmen ist zu sehen,wie das Konferenz- und Veranstaltungszentrum Seaside Arena an der äußersten Spitze des Stadtteils demoliert wurde. Der Innenstadtbezirk zieht sich weiter bis um den Place de l’Etoile und gilt als kommerzieller und kultureller Dreh- und Angelpunkt der Stadt. Das in den 1990erJahren von Ministerpräsident Rafic Hariri aufwendig wiederaufgebaute Stadtzentrum Beiruts ist nicht nur ein bedeutendes Banken- und Geschäftsviertel, auch das libanesische Parlament sowie zahlreiche Büros der Vereinten Nationen haben hier ihren Sitz. Mit seinen Kathedralen, dem Nationalmuseum sowie zahlreichen Cafés und Restaurants war der Central District ein beliebter Treffpunkt für Touristen. Die hier ansässigen Luxusboutiquen zogen nicht nur die reiche Oberschicht des Landes an, sondern auch wohlhabende Touristen aus den benachbarten Golfstaaten. Das hier angesiedelte größte Einkaufs- und Freizeitviertel der Stadt, Beirut Souks, beherbergte zudem über 200 Geschäfte, ein Unterhaltungszentrum sowie einen großen Kinokomplex.

Auch das bei Touristen beliebte Ausgehviertel Mar Mikhael mit seinen Bars, Restaurants Kunstgalerien und Geschäften hat es hart getroffen. Der Tourismus ist sehr relevant für das Land und zählt, trotz der in der gesamten Region schwierigen Sicherheitslage, nach wie vor zu den wichtigsten Wirtschaftssektoren des Libanon. Die Tourismuseinnahmen im Jahr 2019 werden auf 2,5 Milliarden Dollar geschätzt.

Dort, wo zuvor allabendlich viele Menschen durch die Straßen schlenderten, ein gutes Essen oder einen Drink genossen, liegen nun Trümmerteile verstreut. Alles ist mit einer Schicht von Asche und Staub überzogen. Noch in den Neunzigern war das Wohnviertel von ölverschmierten Mini-Autowerkstätten, Metzgereien und Haushaltswarenläden geprägt. Auf dem Satellitenbild sind die Trümmer der Häuser oberhalb der beliebten Armenia-Street selbst aus dem All sichtbar.

Mit den Vierteln Gemmayze und Achrafieh hat es noch zwei weitere beliebte Touristentreffpunkte hart getroffen. Ersteres ist durchzogen von kleinen Gassen und historischen Gebäuden. Hier traf sich auf der Rue Gouraud vor allem das Partyvolk in Bars und Pubs – nach der Wirtschaftskrise und der Pandemie allerdings deutlich weniger als zuvor.

Achrafieh im Osten Beiruts gilt als wohlhabender Stadtbezirk. In dem hauptsächlich von Christen bewohnten Wohn- und Geschäftsviertel befanden sich neben zahlreichen Bürokomplexen auch das mit 195 Metern höchste Gebäude des Libanon. Gleich zwei Universitäten sowie ein Krankenhaus liegen in Achrafieh. Mit seinen Luxushotels, Shoppingmalls, Restaurants und Nachtclubs zählte der moderne Beiruter Bezirk zu den bedeutendsten Touristen-Hot-Spots der Stadt.

Der Libanon steht nach der Expliosions-Katastrophe vor neuen existenziellen Problemen. Dabei lebte bereits zuvor ein Großteil der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Immer wieder fällt der Strom in dem Land aus. Im vergangenen Monat musste sogar ein Flugzeug seine Landung abbrechen, da die Lichter auf dem Rollfeld erloschen. Dazu hat die libanesische Währung zuletzt drastisch an Wert verloren und auch die Arbeitslosenrate steigt. Dem Staat fehlt nun das Geld zum Wiederaufbau. Politische Konflikte erschweren die Handlungsfähigkeit der Regierung, die Bevölkerung protestiert gegen die Korruption und das Missmanagement.

Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.


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