Wirtschaft von oben #66 – Coronakrise Auf diesem Schiffsfriedhof enden die Kreuzfahrtträume

In Papenburg wurde die MS Horizon einst ins Wasser gelassen, im türkischen Aliağa wird sie nun Schritt für Schritt auseinandergebaut. Sie ist nicht das einzige Schiff, das die in Not geratenen Kreuzfahrtunternehmen nun verschrotten lassen, wie exklusive Satellitenbilder zeigen. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

In Aliaga wird die Krise der Kreuzschifffahrt offensichtlich. Statt wie sonst die Kreuzer zu renovieren und zu verkaufen, lassen die Reedereien sie verschrotten.

Die MS Horizon hat ein langes, bewegtes Leben hinter sich. Sie wurde in Papenburg, in der Meyer Werft, gebaut. Genau 30 Jahre ist das her. Die griechische Reederei Celebrity Cruises hatte das 208 Meter lange Schiff damals bestellt. Die Horizon kreuzte durch die Wasser der Bermudas, sogar bis nach Alaska ist sie gekommen. Zwischenzeitlich trug sie den Namen „Island Star“, dann „Pacific Dream“. Zuletzt gehörte sie zur Flotte der spanischen Reederei Pullmantur Cruises, dort durfte sie wieder unter ihrem Taufnamen fahren.

Doch die Coronapandemie und die damit einhergehenden Reisebeschränkungen trieben die Reederei in die Insolvenz. Für die Horizon ist daher ihr aktuelles Ziel auch ihr letztes. Ihr Leben endet auf dem Schiff-Friedhof Aliağa in der Türkei. Dort stehen schon drei weitere Kreuzfahrtschiffe. Das belegen exklusive Satellitenbilder von LiveEO: Selbst aus dem All sind die zwei Kreuzer mit blauem und ein Schiff mit rotem Deck gut zu erkennen.

Bisher kannte die Kreuzfahrtindustrie nur ein Gesetz: Es gehen so viele Menschen auf Kreuzfahrt, wie es Platz auf Schiffen gibt. Verschrottet werden die Schiffe nur im Ausnahmefall, wenn es gar nicht anders geht, sagt Alexis Papathanassis, Professor für Kreuzfahrtmanagement an der Universität in Bremerhaven: „Solche Schiffe hat man an Sekundärmärkte verkauft und renoviert.“ Sie fuhren dann in anderen Gewässern unter anderer Marke weiter. „Aber seit Corona ist der Markt in der Krise“, so Papathanassis.

Die Pandemie traf die Kreuzfahrtindustrie gleich dreimal: Erst mehrten sich die Nachrichten von Ausbrüchen des Coronavirus auf einem Schiff, oft infizierten sich gleich hunderte von Passagieren. Dann mussten die Reedereien alle ihre Fahrten einstellen, noch heute verbieten einige Häfen die Anfahrt der Kreuzer. Und nun kämpfen die Unternehmen finanziell ums Überleben. Sie haben kaum Einnahmen, aber weiterhin Kosten für den Betrieb der Kreuzer, Crew und Kredite.

Größere Schiffe sind da von Vorteil, sagt Papathanassis: „Bei mehr Passagieren an Bord habe ich pro Person geringere Fixkosten.“ Mit Casinos, Bars und Spas unterhalten die Schiffe ihre Gäste – und bringen sie dazu, viel Geld auszugeben. Die Reedereien machen mittlerweile rund ein Viertel ihres Umsatzes an Bord, sagt Papathanassis. Die Bauweise von älteren Schiffen macht es schwer, diese Möglichkeiten auszuschöpfen. Auch technologisch haben sie Nachteile: Die Motoren sind weniger effizient und damit weniger umweltfreundlich.

Weil die Reeder aber nun mit finanziellen Problemen kämpfen, geben sie auch Schiffe in das Recycling, die sonst vielleicht noch einige Jahre weitergefahren wären. Zum Beispiel die Carnival Inspirationa: Nach nur 24 Jahren auf See wird auch sie in Aliağa auseinandergenommen.

Die MS Horizon stand vor der Verschrottung noch zum Verkauf. 65 Millionen Dollar hätte das Schiff mit Platz für über 1800 Passagiere gekostet. Aber niemand wollte sie mehr haben. Das Schwesterschiff MS Monarch wurde erst 2018 renoviert und stand für 125 Millionen Dollar zum Verkauf. Sie liegt bereits vor den Werkstätten von Aliağa.

Seit 1976 nehmen die Abwrackwerften an der Küste der türkischen Stadt Schiffe und Ölplattformen auseinander. Das Gelände gehört dem türkischen Staat, aber die Unternehmen sind privat. Sie gehen nach der sogenannten Landungsmethode vor: Während das Schiff mit dem Bug auf Land liegt, treibt der restliche Schiffskörper auf dem Wasser. Das ist nur möglich, weil in Aliağa kaum Strömung oder Gezeiten herrschen.

Die Schiffsverschrottung gilt als schmutziges Geschäft. 2002 kritisierte Greenpeace den Standort für Umweltverschmutzungen und schlechte Arbeitsbedingungen. Seitdem haben sich die Bedingungen verbessert, berichtet die Organisation „Shipbreaking Plattform“ und die EU hat bereits zwei der dort ansässigen Recyclern bescheinigt, dass sie nach EU-Standards arbeiten.

2181 Kilometer Luftlinie trennen die MS Horizon am Ende ihres Lebens von dem Ort, an dem sie gebaut wurde. Die Horizon war das 51. Kreuzfahrtschiff, das in der Meyer Werft in Papenburg vom Stapel lief. Es ist jedoch das erste Kreuzfahrtschiff aus der Werft, das verschrottet wird.

Die Rubrik „Wirtschaft von oben“ entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.


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