Wirtschaft von oben #71 – Die Baltic Pipe So weit ist die Konkurrenz zu Nord Stream 2

Von einem Stopp des deutsch-russischen Gasprojekts Nord Stream 2 würde vor allem Polen profitieren. Gemeinsam mit Dänemark baut das Land an einer Alternativroute, die Erdgas aus Norwegen statt aus Russland direkt nach Polen liefert. Wo an der Baltic Pipe schon gebaut wird zeigen exklusive Satellitenbilder. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

Baustelle in Goleniów

Sie ist 900 Kilometer lang, verbindet die drei europäischen Länder Polen, Dänemark und Schweden: die Erdgasleitung Baltic Pipe. Kostenpunkt: rund zwei Milliarden Euro. Doch gerade Polen nimmt die Kosten gerne in Kauf, könnte das Projekt das Land doch endlich aus den Fesseln der Energiemacht Russland befreien – und Polen sich als neue Energiemacht in der Ostseeregion positionieren. Vor allem dann, wenn das deutsch-russische Gasprojekt Nord Stream 2 tatsächlich als Reaktion auf den Giftanschlag an den Kreml-Kritiker Alexey Nawalny gestoppt wird.

Schon vor zwei Jahren beschlossen Dänemark und Polen den Bau der neuen Erdgasleitung. Sie könnte nicht nur Erdgas nach Polen bringen, sondern auch die osteuropäischen Nachbarn und sogar Deutschland damit versorgen. Ende Oktober 2022 soll die Baltic Pipe fertig gebaut sein. Alle notwendigen Baupläne in Dänemark, Schweden und Polen liegen vor. Die EU unterstützt das Projekt mit mehr als 200 Millionen Euro. Bauträger sind der dänische Gas- und Stromnetzbetreiber Energinet und der polnische Gasnetzbetreiber Gaz-System. Wie weit die Bauarbeiten bisher vorangeschritten sind, zeigen exklusive Satellitenbilder von LiveEO.

Anfangspunkt der neuen Erdgasleitung wird die bereits bestehende Leitung Europipe II. Diese bringt norwegisches Gas aus der Nordsee nach Deutschland. Westlich von Dänemark soll die neue polnische Leitung an diese anschließen und im dänischen Jütland an der Nordsee an Land treffen. Die Satellitenbilder lassen erahnen, wo die Leitung später verlaufen wird. 750 Meter Rohre sollen am Ende unter den Dünen verlaufen.

Von der dänischen Westküste geht es für die Pipeline zunächst bis ans andere Ende von Jütland. Südlich von Kolding geht es dann ein kleines Stück unter dem Meeresboden rüber nach Fünen. Die Leitung soll einmal quer über die drittgrößte Insel Dänemarks verlaufen, nördlich von Nyborg wieder in die Ostsee tauchen, nahe Slagelse wieder ans Land der größten dänischen Insel Seeland kommen und schließlich südlich der Kleinstadt Faxe Dänemark verlassen. Doch damit das Gas die Strecke bis hinüber nach Polen schafft, muss es an einer sogenannten Kompressorstation mit viel Druck versehen werden. Eine solche entsteht nahe Everdrup, ein Stück weiter im Inneren der Insel, wie die Satellitenbilder zeigen. Auch der Lauf der Pipeline ist bereits zu erkennen. Insgesamt verbuddeln die Dänen rund 200 Kilometer neue Rohre auf dem Festland, unter dem Kleinen Belt, der Meerenge zwischen dem Festland und der Insel Fünen sowie auf der Insel Seeland.

Jährlich sollen durch die Baltic Pipe zehn Milliarden Kubikmeter norwegisches Erdgas nach Polen transportiert werden. Das Land will sich damit bei der Gasversorgung unabhängig von Russland machen. Bisher beziehen die Polen rund 60 Prozent ihres Erdgases vom russischen Energieriesen Gazprom. In diesem Jahr hat Polen den Liefervertrag mit dem staatlichen russischen Gaslieferanten gekündigt, Ende 2022 läuft der Vertrag aus. Bis dann soll die neue Baltic Pipe fertig gebaut sein.

Doch bis dahin müssen die zukünftigen Betreiber noch einiges fertigstellen. Auf den Satellitenbildern ist an der polnischen Ostseeküste, nahe der polnischen Orte Niechorze und Pogorezlica, immerhin bereits eine breite Schneise für die landseitige Gasleitung geschlagen. Sie soll die Offshore-Leitung mit dem polnischen Gasnetz verbinden.

Rund 275 Kilometer lang wird die Unterseeleitung zwischen Dänemark und Polen sein. Um das Erdgas dann in Polen zu den Verbrauchern weitertransportieren zu können, müssen die Polen ihr Gasnetz erheblich ausweiten und insgesamt rund 280 Kilometer an neuen Rohren verlegen, unter anderem für eine neue Pipeline zwischen den Orten Goleniów und Lwówek. Die Kompressorstation in Goleniów muss, wie auch die Station bei Odolanow, ausgebaut werden. In Gustoryzn wird eine ganz neue derartige Anlage entstehen. Wie die Satellitenbilder zeigen, haben die Bauarbeiten in Goleniów bereits begonnen. Für Planung, Bau und Betrieb des Teilstücks der Pipeline in Polen ist der polnische Gasnetzbetreiber Gaz-Systems verantwortlich.

Dass derzeit das andere große Pipelineprojekt, Nord Stream 2, wackelt, dürfte vor allem Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki freuen. Er kritisiert das Projekt schon seit Jahren. Nach dem jüngsten Giftanschlag auf den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny forderte Morawiecki Deutschland und die EU erneut dazu auf, den Bau zu beenden. „Der einzige rationale Ausweg wäre es, das Projekt Nord Stream 2 zu den Akten zu legen“, schrieb er in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“.

Karte von Europa mit bestehenden Erdgasleitungen und geplanten Pipelines

Nord Stream 2 mache Europa von russischen Gaslieferungen abhängig, kritisierte Morawiecki. Das Gefährlichste daran sei jedoch, dass Russland unter dem Deckmantel wirtschaftlicher Zusammenarbeit Einfluss auf Deutschland als einer der wirtschaftlich und politisch wichtigsten Partner in der EU und Nato bekomme. Mit einem Staat, der internationale Standards und das Völkerrecht verletze, nicht nur bei sich zu Hause, sondern auch auf dem Gebiet der EU- und Nato-Mitgliedsländer, könne man „keinen konstruktiven Dialog führen“, so Morawiecki.

Kritik an Russland kam auch von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union: „Denjenigen, die engere Beziehungen zu Russland fordern, sage ich: Die Vergiftung von Alexej Nawalny mit einem hoch entwickelten chemischen Kampfstoff ist kein Einzelfall.“ Das gleiche Muster habe man zuvor in Georgien und der Ukraine, in Syrien und Salisbury gesehen – und bei der Einmischung in Wahlen weltweit. Dieses Muster ändere sich nicht und „keine Pipeline wird daran etwas ändern“, betonte von der Leyen.

Der Kreml hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen davor gewarnt, Kritik an Russland mit der Zukunft der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 zu verknüpfen. „Was die erwähnte Gasleitung anbelangt, so sollte man wahrscheinlich damit aufhören, sie im Kontext irgendeiner Politisierung zu erwähnen“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow in Moskau der Staatsagentur Tass zufolge. Die Gasleitung sei ein kommerzielles Projekt, das im Interesse sowohl von Russland als auch der Länder der Europäischen Union sei, in erster Linie aber Deutschlands.

Die Rubrik „Wirtschaft von oben“ entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

Mehr zum Thema: Nord Stream 2: Moratorium ja, Baustopp nein. Ein Gastbeitrag von Hermann Otto Solms und Martin Neumann.


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