Geldpolitik Negativzinsen sind eine gigantische Umverteilungsmaschine

Eine aktuelle Studie zeigt, dass Banken in der Eurozone 2020 insgesamt 8,5 Milliarden Euro an Strafzinsen auf ihre Einlagen bei den nationalen Notenbanken gezahlt haben, so viel wie nie zuvor. Das Gros der Belastungen schulterten die deutschen Finanzinstitute. Quelle: imago images

Die negativen Zinsen der EZB bescheren den Banken in Südeuropa Gewinne. Dagegen bluten die Banken in Deutschland aus. Die Eurozone mutiert immer mehr zur Umverteilungsunion. Ein Kommentar.

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Große Erwartungen an das Treffen der Notenbanker der Europäischen Zentralbank (EZB) am Donnerstag hatten die Teilnehmer an den Finanzmärkten nicht. Europa kämpft weiter gegen die Pandemie, eine durchgreifende Erholung lässt noch auf sich warten. In dieser Situation, so die Analysten, werde die EZB geldpolitisch auf Sicht fahren und die Liquiditätsschleusen sperrangelweit geöffnet halten. Und in der Tat: Die EZB reagierte wie erwartet: Die Leitzinsen bleiben unverändert, die Anleihekäufe bleiben auf hohem Niveau. 

Über ein mögliches Abspecken der Anleihekäufe habe man noch nicht einmal diskutiert, sagte EZB-Chefin Christine Lagarde auf der Pressekonferenz. Nach wie vor gehe es darum, die Finanzierungsbedingungen für Staaten, Unternehmen und Haushalte günstig zu gestalten. Mit anderen Worten: Ein Ende der Null- und Negativzinsen ist nicht in Sicht. 

Negativzinsen seien ein „effektives Instrument der Geldpolitik“, erklärte Lagarde. Sie belasteten zwar die Sparer, doch seien davon in der Eurozone nur fünf Prozent der Guthaben betroffen. In Deutschland sei der Anteil betroffener Einlagen doppelt so hoch, doch liege das daran, dass die Deutschen netto mehr sparten als die Menschen in anderen Euroländern, und das vor allem in Form von Bankeinlagen. Dem stehe gegenüber, dass Niedrigzinsen die kreditfinanzierten Investitions- und Konsumausgaben ankurbelten und so die Konjunktur stützten. Insgesamt hätten die Minuszinsen mehr Vor- als Nachteile. 

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von Frank Doll

Anhaltende Kapitalflucht

Was Lagarde jedoch verschwieg: Negativzinsen sind eine gigantische Umverteilungsmaschine zwischen den Banken im Norden und Süden der Eurozone. Das zeigt eine aktuelle Studie des Fintech-Unternehmens Deposit Solutions. Demnach haben die Banken in der Eurozone im vergangenen Jahr insgesamt 8,5 Milliarden Euro an Strafzinsen auf ihre Einlagen bei den nationalen Notenbanken gezahlt, so viel wie nie zuvor. Das Gros der Belastungen schulterten die deutschen Finanzinstitute. Sie mussten 2,7 Milliarden Euro an Strafzinsen zahlen, das entspricht 17 Prozent ihrer Vorsteuergewinne. 
Der Negativzins ließ die Nettozinseinnahmen der Banken in Deutschland und Frankreich um jeweils rund 3,5 Prozent schrumpfen. In Italien minderte er die Nettozinseinnahmen hingegen nur um ein Prozent, in Spanien und Portugal sogar nur um 0,6 Prozent.

Der Grund für die ungleiche Wirkung der Negativzinsen dürfte in der anhaltenden Kapitalflucht aus den Südländern nach Deutschland liegen. Diese hat die Target-Forderungen der Bundesbank gegenüber dem Eurosystem auf zuletzt mehr als eine Billion Euro anschwellen lassen. Die Geldüberweisungen aus den Südländern werden über die Konten der Geschäftsbanken bei der Bundesbank geleitet. Dadurch steigen die Einlagen der Banken bei der Bundesbank, auf die die Institute Strafzinsen entrichten müssen. Dagegen mindert der Kapitalabfluss die Einlagen der südeuropäischen Banken bei ihren Zentralbanken. Sie müssen daher weniger Strafzinsen zahlen.

Gewinne durch Geldleihgeschäfte  

Verstärkt wird die Umverteilung zwischen Nord und Süd durch die großzügig bemessenen Geldleihgeschäfte, die die EZB den Geschäftsbanken anbietet. Vergeben die Banken viele Kredite an Unternehmen, erhalten sie das zur Refinanzierung benötigte Zentralbankgeld zu niedrigen Zinsen von bis zu minus ein Prozent. Faktisch schenkt die EZB den Banken also Geld. Je mehr Geld sich eine Bank von der EZB leiht, desto größer ihr Gewinn. 



Laut der Studie von Deposit Solutions haben vor allem griechische, italienische, spanische und portugiesische Banken von den günstigen Leihgeschäften der EZB Gebrauch gemacht. Die Banken aus diesen Ländern haben „negativ verzinste Kredite mit einem Gesamtvolumen von bis zu 12 Prozent ihrer Bilanzsummen aufgenommen“, heißt es in der Studie. Die Gewinne der italienischen und spanischen Banken durch die Leihgeschäfte mit der EZB überstiegen ihre Verluste durch die Strafzinszahlungen an die Notenbank. Italiens Banken erzielten dadurch im vergangenen Jahr einen Nettogewinn durch die Negativzinsen von 1,6 Milliarden Euro, für spanische Banken lag er bei einer Milliarde Euro. 

Anders sieht es bei deutschen und französischen Banken aus. Zwar haben auch sie sich Geld zu extrem günstigen Konditionen von der EZB geliehen. Doch waren ihre Verluste durch die Strafzinsen auf Notenbankeinlagen höher als ihre Gewinne durch die negativ verzinsten Geldleihgeschäfte. Per Saldo verzeichneten die Banken in Frankreich 2020 Nettoverluste durch die Negativzinsen von 410 Millionen Euro. Bei den Banken in Deutschland standen unter dem Strich Nettoverluste von über einer Milliarde Euro. 

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Daher kann es nicht verwundern, dass immer mehr Banken in Deutschland Strafzinsen von ihren Kunden verlangen, um so ihre Verluste zu begrenzen. Während Lagarde auf der Pressekonferenz die EZB-Negativzinsen und die Geldleihgeschäfte als Konjunkturstabilisatoren pries, zeigt die Studie von Deposit Solutions, was tatsächlich hinter der Negativzinspolitik steckt: Das Bestreben, mithilfe der Geldpolitik jenseits demokratischer Legitimations- und Kontrollmechanismen Wohlstand von Nord- nach Südeuropa zu schaufeln und so die Eurozone dauerhaft zu einer gigantischen Umverteilungsunion umzumodeln.

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