Grüner Wasserstoff Kann Essen zur Elektrolyse-Hochburg werden?

Wird Essen in den nächsten Jahren zu einem Zentrum einer grüne Wasserstoffökonomie? Quelle: imago-images, PR

Als Heimat von Unternehmen wie E.On und RWE gilt Essen als Energiehauptstadt Europas. Nun soll die Stadt auch zur Metropole für Wasserstoff werden. Doch wie funktioniert die Technologie dahinter? Teil 11 von „Nächster Halt: Aufbruch“, unserer Serie zur Bundestagswahl.

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Dieser Artikel ist Teil unserer Serie zur Bundestagswahl 2021. Wir folgen der längsten IC-Strecke Deutschlands – vom Südwesten bis in den Nordosten. Nächster Halt: Aufbruch – Fahrt durch eine unterschätzte Republik

Keine andere Stadt in Deutschland weist eine so hohe Dichte an Energiekonzernen und energieintensiven Industrieunternehmen auf wie Essen. Die Konzerne E.On, Evonik, ThyssenKrupp, Steag und RWE haben hier ihren Sitz, auch Forschungseinrichtungen wie das Gas- und Wärmeinstitut. Im Umfeld finden sich weitere Einrichtungen und Firmen der Energiebranche. Ihr Fokus für die nächsten Jahre ist klar: Eine grüne Wasserstoffökonomie aufziehen. Die Stadt soll zu deren europäischem Zentrum werden. Sogar einen H2-Beirat, bestehend aus Vertretern der wichtigsten Institutionen am Standort, wurde aufgestellt.

Auch im Bundestagswahlkampf ist der grüne Wasserstoff beliebt. Die Grünen wollen für Deutschland eine „Führungsrolle“; die Union, dass die Bundesrepublik zum „Wasserstoffland Nr. 1“ aufsteigt. Bei der SPD träumt man von einem „Leitmarkt für Wasserstofftechnologien“, die FDP fordert „mehr Tempo beim Wasserstoff„. Kurzum: Bei wenigen Themen herrscht mehr Einigkeit. Tatsächlich könnte grüner Wasserstoff Chemie- und Stahlindustrie ohne fossile Energie auskommen lassen, Lastwagen, Schiffe und Flugzeuge klimaneutral antreiben und helfen, Wind- und Sonnenenergie zu speichern. 

Der technologische Kern der Wasserstoffwirtschaft ist dabei die Elektrolyse, bei der aus Wasser und Strom reiner Wasserstoff erzeugt wird. Doch wie funktioniert das? Gibt es technische Hürden? Wir beantworten die wichtigsten Fragen:

Welche Verfahren der Wasserstoffelektrolyse gibt es?
Es gibt drei relevante Technologien. Die beiden klassischen funktionieren mit einer Säure oder mit einer Lauge als Elektrolyt. Letztere, die sogenannte alkalische Elektrolyse, ist heute am weitesten verbreitet. Einer der weltweit wichtigsten Hersteller dieser Anlagen ist seit fast 50 Jahren das Unternehmen ThyssenKrupp Uhde Chlorine Engineers, eine Tochter des Essener Stahlkonzerns ThyssenKrupp. Der dritte und neueste Ansatz ist die Hochtemperatur-Elektrolyse, die beispielsweise vom Dresdner Start-up Sunfire entwickelt wird. Diese findet bei Temperaturen von etwa 800 Grad statt und gilt als effizienteste Form.

Wie funktioniert die Elektrolyse?
Das Prinzip ist mehr als 220 Jahre alt und so simpel, dass es an Schulen im Chemieuntericht gelehrt wird. In ein mit einem Elektrolyt und Wasser gefülltes Behältnis werden zwei Elektroden gehängt. Der durch die Flüssigkeit fließende Strom spaltet das Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff auf. Am Pluspol sammelt sich der Sauerstoff, am Minuspol der Wasserstoff. Die Gase müssen nur abgesaugt werden.

Wie hoch ist der Wirkungsgrad der Elektrolyse?
Wird Energie umgewandelt, geht ein Teil verloren. Das ist auch bei der Elektrolyse so. Bei der sauren (PEM) und der alkalischen Elektrolyse liegt der Wirkungsgrad bei jeweils etwa 60 bis 62 Prozent. Energie geht hier vor allem in Form von Wärme verloren. Die Wärme kann aber anderweitig weiterverwendet werden, was den Wirkungsgrad erhöht.

Beim alkalischen Verfahren ist es von Vorteil, es nur moderat auszulasten. Das erhöht den Wirkungsgrad. Die Hochtemperaturelektrolyse wiederum lohnt sich vor allen an jenen Orten, wo Abwärme etwa von Chemieanlagen anfällt, die genutzt werden kann. Der Wirkungsgrad liegt dann bei etwa 85 Prozent. Außerdem funktioniert die Hochtemperaturelektrolyse in beide Richtungen, also sowohl um aus Strom Wasserstoff zu machen (Elektrolyse) als auch, um diesen wenn er der Speicherung dient später wieder in Strom zurück zu verwandeln (Brennstoffzelle).

Gibt es in Elektrolyseanlagen kritische Rohstoffe?
Elektrolyseanlagen bestehen zu einem guten Teil aus Nickel und Kupfer. Beide Metalle gelten nicht als kritisch. Die Elektroden aber sind in vielen Fällen mit den Edelmetallen Platin oder Iridium überzogen, die als knapp gelten. Neuartige Beschichtungsverfahren aber reduzieren die eingesetzte Menge des Materials. Bei der alkalischen Elektrolyse kann in einigen Fällen sogar ganz auf die Edelmetallbeschichtung verzichtet werden.

Nächster Halt: Aufbruch

Fahrt durch eine unterschätzte Republik

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Wie lange halten die Anlagen?
Hier gehen besonders bei der alkalischen Elektrolyse die Meinungen auseinander. So gelten diese Anlagen heutzutage als anfälliger, wenn sie häufigen und starken Stromschwankungen ausgesetzt sind. ThyssenKrupp aber hat dies zuletzt immer wieder mit Belastungstests untersucht. Das Ergebnis: Auch sie sind sehr robust. „Wir versuchen, die Limits zu verschieben“, sagt Andrei Zschocke, bei ThyssenKrupp Uhde Chlorine Engineers für die Strategie des grünen Wasserstoffgeschäfts zuständig. 

Grundsätzlich können Elektrolyseanlagen mehrere Jahrzehnte ihren Dienst tun. Müssen sie danach erneuert werden, lässt sich das Material recyceln. Die PEM-Elektrolyse auf Säurebasis sei hingegen „wie ein Ferrari an der Ampel“, sagt ein Experte. Innerhalb kürzester Zeit könne sie viel Strom in Wasserstoff wandeln, habe dann allerdings keinen besonders hohen Wirkungsgrad. Im Alltag brauche man sie daher eher selten, außer etwa bei einzelnen abgelegenen Windrädern.

Lässt sich Meerwasser zur Wasserstoffelektrolyse nutzen?
Die saure Elektrolyse benötigt reines Wasser, die alkalische sogar hochreines Wasser, das von sämtlichen Mineralien befreit ist. Nur so kann die Anlage effizient laufen. Daher muss Wasser, bevor es in die Anlage kommt, auch entsalzt werden. Experten zufolge benötigen die Verfahren dazu aber vergleichsweise wenig Energie. Das Bundesforschungsministerium unterstützt zudem die Entwicklung einer Salzwasserelektrolyse. Die wäre etwa für Regionen der Welt praktisch, wo zwar viel Sonnenenergie, aber kaum Frischwasser vorhanden ist.

Braucht es ähnlich wie bei Batterien jetzt Gigafactorys für Elektrolyseanlagen?
ThyssenKrupp Uhde Chlorine Engineers hat bereits bei Frankfurt mit einem Joint-Venture-Partner eine Fabrik, die jährlich Elektrolysezellen im Gigawattbereich fertigen kann. Doch rechnen Experten im Unternehmen damit, dass in den nächsten Jahren weitere solche Werke gebaut werden müssen, um den Bedarf an Elektrolysetechnik weltweit decken zu können. 

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Welche Rolle kann Deutschland da in Zukunft spielen?
Deutschland wird Brancheninsidern zufolge zwar ein wichtiger Technologielieferant für die Wasserstoffelektrolyse sein. Die alkalische Elektrolyse etwa ist noch längst nicht ausentwickelt. Die Herstellung von Wasserstoff hierzulande aber dürfte aufgrund der vergleichsweise mageren Ausbeute an Sonnen- und Windenergie eine geringe Rolle spielen. So drehen beispielsweise Windräder in Patagonien im Jahr dreimal mehr Tage unter Volllast als in der Nordsee. Noch größer dürfte der Unterschied zu solchen auf dem deutschen Festland sein.

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