Transfergesellschaft „Werften, die Personal abbauen, suchen gleichzeitig qualifizierte Mitarbeiter“

Die MV Werften Stralsund haben schon viele Krisen erlebt. Quelle: dpa, imago images

Von der Fischerei über Windanlagen zu Kreuzfahrtschiffen: Die MV Werften Stralsund haben schon viele Krisen erlebt. Aufgrund der Pandemie müssen sich viele Mitarbeiter nun über eine Transfergesellschaft neu orientieren – und ihre Resilienz wieder einmal beweisen. Teil 19 von „Nächster Halt: Aufbruch“, unserer Serie zur Bundestagswahl.

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Dieser Artikel ist Teil unserer Serie zur Bundestagswahl 2021. Wir folgen der längsten IC-Strecke Deutschlands – vom Südwesten bis in den Nordosten. Nächster Halt: Aufbruch – Fahrt durch eine unterschätzte Republik

Gut geht es der deutschen Schiffbaubranche schon lange nicht mehr. Verbuchte sie 2016 noch Aufträge in Höhe von 7,8 Milliarden Euro, waren es 2020 nur noch knapp unter einer Milliarde Euro. Ein Grund war auch hier die Corona-Pandemie: Wenn die Menschen nicht reisen, bestellt auch niemand Kreuzfahrtschiffe oder Megayachten. Auch die Unternehmensgruppe MV Werften in Stralsund, Wismar und Rostock, die heute zum Hongkonger Konzern Genting gehört, geriet so im vergangenen Jahr in Schieflage – nicht zum ersten Mal.

Fast 300 Mitarbeiter wechselten im August daher in eine Transfergesellschaft der ​​Agentur für Struktur- und Personalentwicklung (AgS). Für viele ist es nicht der erste Kontakt: Bereits 2012 wurde der Vorgängerverbund der heutigen MV Werften umstrukturiert und Mitarbeitern angeboten, in eine Transfergesellschaft zu wechseln, um darüber möglichst schnell neue Arbeitgeber finden.

Nun will der Staat MV Werften mit 300 Millionen Euro retten. Das sei „eine wichtige Entscheidung, die den Beschäftigten der Region und dem Land Zuversicht gibt“, verkündete Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Das Geld soll garantieren, dass bestehende Aufträge fertiggestellt werden können – und ein Großteil der Mitarbeiter über die Transfergesellschaft Jobalternativen findet. Am stärksten trifft der personelle Umbau den Standort Stralsund. Oliver Fieber, geschäftsführender Gesellschafter der AgS, verantwortet die Transfergesellschaft.

WirtschaftsWoche: Herr Fieber, die AgS verantwortet die Transfergesellschaft Küste am Standort Stralsund – wieder einmal. Was können Sie den Mitarbeitern bieten?
Oliver Fieber: Leider kennen wir viele der Akteure noch aus einem anderen Transferprojekt für Mitarbeiter der damaligen P&S Werften recht gut. Wir waren dort bereits 2012 in Stralsund tätig. Wir haben auch damals die Kollegen in neue Beschäftigungsverhältnisse vermittelt und haben für sie in enger Abstimmung mit der Agentur für Arbeit die berufliche Qualifizierung organisiert. Dieses Mal sind 288 Kollegen der Stralsunder Werft in die Transfergesellschaft Küste MV-Werften gewechselt. Sie sind bei uns jetzt für mindestens sieben Monate unter Vertrag und wir helfen ihnen dabei, wieder zurück in den Arbeitsmarkt zu finden: Beispielsweise indem wir ihnen konkret Vermittlungsvorschläge unterbreiten oder indem wir sie dabei unterstützen sich selbständig zu machen.

Was machen Sie konkret?
Unsere Aufgabe ist es unter anderem, die Kollegen bei ihrer beruflichen Neuorientierung zu unterstützen, ihnen möglichst eine neue Perspektive zu bieten. Die Menschen sollen dabei schnellstmöglich eine andere zumutbare Beschäftigung in der Region finden…

…und zumutbar ist die Stelle, wenn…
Wir unterstützen in drei Bereichen. Erstens: durch regelmäßige Bewerbungscoachings. Zweitens: durch die Umsetzung von zielführenden Maßnahmen der beruflichen Qualifizierung, die teilweise über mehrere Monate laufen und die gemeinsam mit regionalen Bildungsträgern organisiert werden. Und drittens stimmen wir uns mit personalsuchenden Unternehmen aus der Region ab, um neue Stellen für die Kollegen zu finden und ihnen konkrete Vermittlungsvorschläge unterbreiten zu können.

Nächster Halt: Aufbruch

Fahrt durch eine unterschätzte Republik

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Arbeitnehmer verlieren ihren Arbeitsplatz, sollen in eine Transfergesellschaft wechseln, sich neu orientieren. Hand aufs Herz: Da herrscht ziemlich schlechte Stimmung, oder?
Natürlich hat das Angebot zum Wechsel in die Transfergesellschaft bei den Betroffenen keine Begeisterungsstürme ausgelöst. Die Kollegen wissen ja, dass sie von Arbeitslosigkeit bedroht sind und dass es sich um ein befristetes Arbeitsverhältnis handelt, das spätestens nach einem Jahr endet. Aber viele kannten unsere Arbeit schon und standen dem Instrument „Transfergesellschaft“ als Alternative zur unmittelbaren Arbeitslosigkeit durchaus positiv gegenüber. „Bescheiden“ ist die Situation aus Sicht der Kollegen natürlich trotzdem.

Wie gehen Arbeitnehmer aus einer solchen Krise gestärkt hervor?
Ich gehe davon aus, dass alle Kollegen aus dem Transferprojekt etwas mitnehmen können. Insbesondere das Thema Qualifizierung gewinnt immer mehr an Bedeutung. Durch neue Technologien ändern sich die Anforderungen im Beruf heute ständig. Wenn man seine Fähigkeiten da auf den neuesten Stand bringt, kann das nicht schaden.

Lebenslanges Lernen empfinden viele mehr als Drohung denn als Segen. Wie gehen Sie damit um?
Die Menschen wissen, dass Weiterbildung der Schlüssel zum Erfolg ist. Neues zu lernen vermittelt auch: Es lohnt sich nicht, darauf zu warten, dass jemand auf dich zukommt. Wenn du etwas anpackst, kannst du dein Schicksal zum Teil in die eigenen Hände nehmen.

Wie vermeidet man Resignation – und erreicht Resilienz?
Die Menschen lernen aus ihren Erfahrungen. In 735 Projekten, die wir bislang mit weit über 43.000 Arbeitnehmern durchgeführt haben, hatten wir durchschnittlich eine Neuorientierungsquote von über 70 Prozent. Für das Projekt in Stralsund streben wir trotz der schwierigen Rahmenbedingungen eine Erfolgsquote von 75 Prozent innerhalb der nächsten zwölf Monate an.

Nur befinden Sie sich nicht in einer boomenden Region, sondern haben die Aufgabe, Menschen in einer strukturschwachen Gegend neu zu vermitteln. So leicht kann das ja nicht sein.
Es kommt immer auf die konkreten Umstände an. Aktuell stellen sich Vermittlungsprozesse aufgrund der schwierigen Rahmenbedingungen insbesondere im Schiffbau etwas anders dar, als 2012 oder 2013. Aber: Selbst auf den Werften, die gerade Personal abbauen müssen, werden gleichzeitig qualifizierte Mitarbeiter gesucht. Jemanden durch zielführende Qualifizierungsmaßnahmen für andere Tätigkeiten zu befähigen, ist daher auch eine wichtige Aufgabe.

Welche Fähigkeiten bräuchten Fachkräften wie Schiffsbauer und Werftmitarbeiter denn, um wieder in ihrer alten Firma oder in anderen Branchen unterzukommen?
Die erforderlichen Qualifizierungsmaßnahmen werden gerade im Detail abgestimmt: Dazu zählen zum Beispiel die Aktualisierung von Schweißerscheinen, das Erlernen neuer Spezialschweißverfahren, die jetzt gefragt sind, oder auch der Erwerb von ganz klassischen Führerscheinen.

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Was wird aus denen, die nach einem Jahr in der Transfergesellschaft keine neue Stelle haben?
Sie haben dann immer noch weiter ihren Anspruch auf den Bezug des Arbeitslosengelds. Sollten sie also innerhalb des Jahres keine neue Arbeitsstelle finden, werden sie weiter durch die Agentur für Arbeit unterstützt.

Mehr zum Thema: Dieser Artikel ist Teil einer Serie zur Bundestagswahl 2021. Wir folgen der längsten IC-Strecke Deutschlands – vom Südwesten bis in den Nordosten. Nächster Halt: Aufbruch – Fahrt durch eine unterschätzte Republik

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