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Carmen Maria Parrino und Kai Bender im Interview „Smart Mobility braucht Städte als Regulator“

Die beste Art, sich in Helsinki fortzubewegen: Das gut funktionierende öffentliche Verkehrssystem. Ein Vorbild für deutsche Städte? Quelle: Unsplash

Selten sind sich die Deutschen so einig: Ob auf der Straße oder im Zug - in unserem Verkehrssystem läuft’s nicht immer rund. Smart Mobility soll das ändern und auch noch dem Klima nutzen. Wer und was sich dafür ändern muss, wissen die beiden Experten Carmen Maria Parrino, Vorsitzende der Geschäftsführung von Abellio Rail Mitteldeutschland GmbH, und Kai Bender, Deutschlandchef der Strategieberatung Oliver Wyman.

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Herr Bender, Millionen Auto-Pendler stehen täglich genervt im Stau. Das wäre doch die Chance für mehr Kunden im ÖPNV. Woran hapert es noch?

Kai Bender: Wir müssen uns bewusst machen: Der Schienenausbau hat genau so geografische und wirtschaftliche Grenzen wie die Kapazitäten von Bussen und Bahnen. Deshalb müssen wir die Nachfrage senken, indem die innerstädtische Verdichtung steigt.

Soll es noch enger werden in unseren Städten?

Bender: Städte und Unternehmen müssen dafür sorgen, dass die Menschen kürzere Wege zur Arbeit haben statt täglich weite Strecken pendeln müssen.

Parrino: Für mich ist die Transformation von Bilbao ein ganz großes Vorbild. Aus der Stahlstadt der 1980er Jahre wird seit 2013 eine Stadt, die Wohnen und Arbeiten vereint.

Dr. Kai Bender ist Deutschlandchef bei Oliver Wyman.

Aber wie lässt sich jetzt das Problem vieler eigentlich überzeugter ÖPNV-Nutzer lösen, dass sie vor allem beim Wechsel auf ein anderes Transportmittel häufig ihren Anschluss verpassen?

Parrino: Wir müssen vereint die Anschlussfrequenz aller Transportmittel von Bahn und Bus bis zum Leihfahrrad oder dem Taxibus für die letzte Meile nach Hause erhöhen. Allerdings muss man dabei Prioritäten setzen.

Das klingt nicht gut für ländliche Pendler.

Parrino: Aber man muss ehrlich sein: Das riesige Netzwerk der Bahn kann sich nicht an allen Zug-Enden auf die Taktzeiten des dortigen Nahverkehrs anpassen. Aber es würde schon vielen Menschen und dem Klima helfen, wenn man den Schwerpunkt auf gute Anschlüsse zwischen Geschäftszentren mit viel Pendelverkehr legt.

Bender: Ein gutes Beispiel ist die Strecke Berlin-München. Da gibt es ausreichend Zubringer-Verkehr und die Bahnstrecke ist schnell.

Carmen Maria Parrino ist Vorsitzende der Geschäftsführung der Abellio Rail Mitteldeutschland GmbH.

Das macht es Zugreisenden leichter. Aber es nutzt noch keinem, der sich innerhalb eines Verkehrsverbundes an den Haltestellen die Füße in den Bauch steht.

Bender: In Deutschland ist die Qualität der Mobilität noch sehr unterschiedlich: Beispielsweise ist Köln weiter als Frankfurt. Ich träume von Helsinki: Die Stadt hat eine sensationelle Erreichbarkeit zu Fuß. Gute Apps erleichtern den Kunden die so genannte Intermobilität zwischen verschiedenen Fortbewegungsmöglichkeiten. Auch Amsterdam und Hongkong nutzen ähnliche Apps.

Bleibt noch die berühmte letzte Meile von der Bushaltestelle nach Hause.

Bender: Genau an diesen Endhaltestellen wären die neuen Elektroroller sinnvoll. Oder die Verkehrsverbände organisieren Sammeltaxen oder Rufbusse, wie es im Harz und rund um Naumburg vorbildlich funktioniert.

Parrino: Außerdem brauchen wir überall sichere Fahrradstellplätze. Stelle ich mein Rad drei Tage hintereinander am Bahnhof ab, ist es doch so gut wie geklaut. Stattdessen gibt es Autoparkplätze in Massen. Da muss sich auch der Diskurs mit der Autolobby ändern.

Bender: Man sieht es doch von Naumburg bis Helsinki: Für Smart Mobility zum Nutzen aller Bürger brauchen wir Städte als Regulator, die eine Vision und eine Roadmap haben, die Leitplanken für alle Anbieter aufstellen. Sie brauchen einen Moderator und die Unterstützung der Wirtschaft. Aber die Verantwortlichen der Stadt müssen auch schneller entscheiden können, denn diese Konzepte funktionieren nur, wenn rasch darin investiert wird.

Das klingt nach einem guten Plan für Großstädte, hilft aber ländlichen Regionen wie dem Emsland oder der Lausitz noch nicht.

Parrino: Da müssen wir alle ehrlich sein: Mehr Mobilität als bisher können wir kaum aufs Land bringen. Neue Strecken sind teuer und es fehlen die Zugführer und Busfahrer. Die Lösung liegt woanders. Wir brauchen neue Angebote, damit die Menschen nicht schon für ihren täglichen Bedarf in die nächste Stadt fahren müssen. Nehmen Sie das Beispiel Nordhessen. Dort hat die Bahn einen Bus für die medizinische Versorgung ausgebaut. Der DB Medibus steuert zu festen Sprechzeiten die Marktplätze an und die Einwohner können dort einfach medizinische Leistungen bekommen.

Je vernetzter Mobilitätsanbieter kooperieren, um so sinnvoller werden ihre Kunden-Apps. Doch aus den Fahrzeiten und Ticketkäufen lassen sich Bewegungsprofile erstellen. Da graust es Datenschützern.

Bender: Einige US-Riesen stehen in der Tat schon an der Tür oder sind bereits hindurch. Google Maps gibt schon gute Fahrplan-Auskünfte. Apple hat bei allen Angeboten eine außerordentlich loyale Fangemeinde, Amazon beherrscht bereits die Logistik für die letzte Meile. Man muss aber unterscheiden: Fahrplan-Auskünfte können und wollen wir niemandem verwehren. Da profitieren Busse und Bahnen und vor allem Gelegenheitspendler von. Anders ist es schon beim Ticketverkauf.


Wie also können Mobilitätsanbieter sicherstellen, dass Kundendaten nicht missbraucht werden?

Bender: Im internationalen Vergleich sind deutsche Daten besser geschützt. Ein einfaches Opt In oder Opt Out reicht bei uns nicht. App-Anbieter müssen den Nutzern sauber erklären, wofür sie ihre Bewegungs- und Adressdaten nutzen. Aber sie können dem Nutzer auch klarmachen, welche Leistung er im Gegenzug bekommt.

Parrino: Ich wundere mich bei dieser Diskussion gelegentlich. Autofahrer tippen ohne Bedenken ihre Fahrziele ins Navi, Fußgänger nutzen Google Maps und Flugreisende füttern Vergleichsportale mit ihren Daten – aber ein großes Thema ist der Datenschutz nur im ÖPNV. Dabei gibt es noch eine ganz andere, ernstzunehmende Herausforderung beim Datenschutz, vor allem im ländlichen Raum.

Was meinen Sie?

Parrino: Viele Transporteure wie Bus- oder Taxianbieter sind Familienunternehmen. Je mehr ihre Angebote und Fahrpläne in öffentliche Mobilitätskonzepte einfließen, um so überwachter fühlen sie sich. Das ist Ausdruck des Generationenwechsels, der auch den Verkehrsbetrieben bevorsteht.

Die aktuellen Debatten um Mobilität greifen zu kurz. Erst wenn wir wissen, wie wir leben möchten, wissen wir auch, wie wir uns bewegen wollen. Kurzfristige Geschäftsmodelle wie E-Scooter und Flugtaxis lösen das Problem...

Möchte vielleicht auch mancher Anbieter keine Kundenbewertungen über sich lesen?

Parrino: Vielleicht auch das. Viele kleinere Unternehmen sind aber auch technisch noch nicht so weit. Die muss man an die Hand nehmen.

Scheitert Smart Mobility womöglich daran, dass es für all die schönen Konzepte schon jetzt weder in der Stadt noch auf dem Land genug qualifiziertes Personal für Bahn, Bus oder Taxen gibt?

Bender: Das ist ein enormes Problem sowohl im Personen- wie im Güterverkehr. An dieser Stelle müssen wir übrigens auch über das Thema Zuwanderung nachdenken. Und das Problem hat nicht nur mit Bezahlung zu tun, sondern mit der Wertschätzung, die wir als Gesellschaft Lokführern oder Straßenbahnfahrern entgegenbringen. Niedriges soziales Image, mittlere Bezahlung und hohe Verantwortung - das passt doch nicht zusammen.

Könnte autonomes Fahren dieses Kapazitätsproblem lösen?

Bender: Realistisch? Frühestens in 15 und mehr Jahren. Auch deshalb müssen wir jetzt Smart Mobility für möglichst viele Menschen, Städte und Unternehmen interessanter machen.

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