Antje von Dewitz Die Gipfel-Stürmerin

Antje von Dewitz verbannt Chemie aus den Textilien und hat die Firma ihres Vaters komplett auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Der Mut zur grünen Mission macht sie zur jüngsten Familienunternehmerin in der Hall of Fame.

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„Unternehmen sollten danach besteuert werden, wie viel sie für das Gemeinwohl tun .“

Tettnang, München Antje von Dewitz lässt nicht alles mit sich machen. Der Marketing-Expertin ist es wichtig, authentisch rüberzukommen. Als der Fotograf vorschlägt, dass sie sich vor der Kletterwand ein Seil über die Schulter hängt, sagt sie einfach: „Das mach‘ ich nicht. In der Kleidung würde ich nie klettern gehen. Mit Seil sieht das völlig doof aus.“

Dann will der Fotograf, dass das Seil wenigstens von der Kletterwand dekorativ im Hintergrund herunterhängt. Bevor jemand nach einer Leiter fragen oder ein Mitarbeiter einspringen kann, nimmt die Vaude-Chefin flink die ersten drei Griffe und hängt das Seil in den Karabinerhaken in drei Meter Höhe ein. Ein paar Sekunden später steigt sie zwei Griffe rückwärts, ein Sprung, halbe Drehung, die promovierte Betriebswirtin landet wie eine Katze. Antje von Dewitz fackelt nicht lange, packt zu. Ähnlich ist die 44-Jährige ihren Job angegangen, als sie vor sieben Jahren die Führung der Outdoor-Marke Vaude von ihrem Vater übernahm. Albrecht von Dewitz wacht jetzt als alleiniger Beirat über das Treiben seiner Tochter.

Ihm gehören noch 30 Prozent der Anteile, 46 Prozent hat Antje von Dewitz übernommen. Die restlichen 24 Prozent halten ihre beiden Schwestern, die nicht bei Vaude arbeiten. Die Familie bildet den Gesellschafterausschuss. Das Unternehmen mit seinen 500 Mitarbeitern in der Zentrale in Obereisenbach hat sich, seit Antje von Dewitz die Geschäfte führt, stärker verändert als je zuvor. Ihr unternehmerischer Erfolg führt sie in die „Hall of Fame“ der Familienunternehmen. Kein Mitglied war bei der Aufnahme jünger. Wie hat sie das in Rekordzeit geschafft?

2010 beschloss Antje von Dewitz, dass Vaude bei der Fertigung von Zelten, Rucksäcken und Outdoor-Kleidung mittelfristig keine Schadstoffe mehr einsetzt. „Unsere Produkte werden in der Natur genutzt. Das sehen wir als Verpflichtung“, sagte sie damals. Anfangs noch in der Branche belächelt, hat sie Erstaunliches geleistet. Und sie war konsequenter als die meisten Konkurrenten. Die Vaude-Chefin spricht hochkonzentriert und schnell. Sie will ihre Botschaften in kürzester Zeit an die Kunden bringen. „95 Prozent der Sommerkollektion 2017 werden frei von umweltschädlichen Fluorcarbonen, kurz PFC, sein“, kündigt sie an. „Und bis 2020 werden wir es schaffen, komplett PFC-frei zu sein.“

Mutig hat Dewitz ein heikles Thema angepackt. In Funktionstextilien steckt jede Menge Chemie. Die Stoffe werden bisher eingesetzt, um Schmutz und Wasser abzuweisen. Für die Menschen in Produktionsländern wie China oder Indonesien ist PFC laut Greenpeace eine Gefahr, weil es über das Abwasser in die Umwelt gelangen kann. Auch die Verkäufer in den Sportgeschäften seien durch Ausdünstungen gefährdet, behaupten die Greenpeace-Aktivisten. Und mal im Ernst: Welcher Outdoor-Begeisterte trägt schon gern giftige Stoffe auf der eigenen Haut?

Dewitz hat den Trend erkannt und genutzt, was nicht jeden in der Industrie freut. „Wenn ich mir Freunde machen wollte, dürfte ich das nicht tun“, betont sie. Endlose Untersuchungen und Materialtests hat Vaude hinter sich – und wohl noch vor sich. Dabei stellt sich die Chefin auch mal selbst in einer neuen Regenjacke unter die eiskalte Testdusche, um die Funktionalität des Ökomaterials zu prüfen. Die ultraleichten Rucksäcke probiert sie mit der Familie bei mehrtägigen Wanderungen aus.


Der Senior als Schlüssellieferant

Die hohen Investitionen in die Materialentwicklung zahlen sich aus. Dewitz räumt für ihr Engagement einen Preis nach dem anderen ab. Erst im Mai 2016 bekam Vaude in München den Green-Tec-Award für den nachhaltigen Umbau des Hauptquartiers in der Nähe von Tettnang. Im März gab es eine Auszeichnung vom Rat für Nachhaltige Entwicklung für das Second-Hand-Programm auf Ebay. Und so weiter und so weiter. Als erstes Unternehmen lässt sich Vaude auch auf nachhaltige und faire Produktionsbedingungen zertifizieren. Bei den Rucksäcken könnte der Zugriff auf den Produzenten nicht direkter sein. Ihr Vater hat eine Rucksackfertigung in Vietnam aufgebaut, die ihm persönlich gehört. Damit ist der Senior einer der Schlüssellieferanten.

Das Thema Nachhaltigkeit steht ganz oben auf ihrer Agenda, und das zu Recht, meinen Branchenkenner. „Sie ist die Einzige, die das so konsequent lebt“, betont Philipp Prechtl. Der Sportexperte der Unternehmensberatung Dr. Wieselhuber & Partner ist fest davon überzeugt, dass von Dewitz damit einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz besitzt. Prechtl: „Sie schafft es sehr gut, sich zu differenzieren.“ Vielen Wettbewerbern fehle hingegen eine klare Positionierung.

Auch Sporthändler sind angetan. Sie sei „eine gestandene Business-Frau“, meint Kim Roether, Chef der Sporthandelskette Intersport. Ihr Konzept sei stimmig, lobt der Manager. Gleichwohl, Umweltbewusstsein und hohe soziale Standards würden sich nicht unbedingt in der Kasse der Ladenbesitzer niederschlagen, betont Intersport-Vorstand Jochen Schnell: „Kaum ein Kunde ist bereit, einen Aufschlag für nachhaltige Produkte zu bezahlen.“ Oder etwa doch? Vaude ist laut von Dewitz über neun Prozent im vergangenen Jahr gewachsen.

Ein erstaunlicher Erfolg in einem schwierigen Umfeld. 2015 haben die Europäer für rund elf Milliarden Euro Regenjacken, Wanderschuhe und Rucksäcke gekauft. Das entspricht laut Branchenverband European Outdoor Group (EOG) einem mageren Plus von rund zwei Prozent. „Der Markt ist okay, aber in der Vergangenheit waren wir andere Wachstumsraten gewohnt“, meint EOG-Präsident John Jansen.

Da die Ware weitgehend austauschbar ist, entsteht ein enormer Konkurrenzkampf zwischen zahllosen Anbietern. Wenigen globalen Marken wie The North Face oder Columbia stehen Hunderte regionale und lokale Wettbewerber gegenüber. Die größten deutschen Marken sind Jack Wolfskin, Schöffel und Vaude. Die wichtigsten ausländischen Anbieter in den deutschen Sportgeschäften sind CMP, Mammut, Icepeak und Salewa. Und gleichzeitig drängen Eigen- und Billigmarken auf den Markt.

Berührungsängste gegenüber ihren gigantischen Vertriebspartnern wie Amazon und Zalando hat von Dewitz nicht. „Wir passen uns der Realität unserer Kunden an, und viele kaufen eben online.“ Zudem habe der stationäre Handel dieses Geschäft unterschätzt und den Internetriesen das Feld quasi überlassen, analysiert sie kühl. Der Wettbewerb ist knallhart. Deshalb lässt sich von Dewitz nicht in die Zahlen schauen. Noch nicht einmal den Jahresumsatz verrät die Chefin. „Gut 40 Prozent Eigenkapital haben wir und schreiben schwarze Zahlen“, lässt sich von Dewitz immerhin entlocken. Der Grund: „Wir wollen nicht, dass unsere Kunden wissen, welchen Anteil sie an unserem Umsatz haben. Wir könnten sonst unter Druck geraten.“ Die Boomzeiten in der Outdoorbranche sind eben vorbei.


Absatzrückgänge nimmt sie in Kauf

Bei weichen Fakten wie der Frauenquote im Unternehmen ist die Mutter von vier Kindern offener: „60 Prozent insgesamt, 40 Prozent bei den Führungskräften.“ Ob betriebseigenes Kinderhaus, flexible Arbeitszeitmodelle oder die Förderung des örtlichen Freibads als Pächter, Vaude ist auch Vorreiter in der Familienfreundlichkeit.

Dewitz hat ein ausgeprägtes Gespür für die Veränderungen in der Gesellschaft. Dafür spricht das neueste Projekt „iRentit“. Sie will ein Leihsystem für Rucksäcke, Fahrradtaschen und Zelte aufbauen. „Das ist unsere Antwort auf die Share-Economy. Wir sind nah am Zeitgeist“, sagt von Dewitz. Über die Reparatur-Plattform im Internet iFixit stellt Vaude Kunden Reparaturanleitungen zur Verfügung. Dort erklärt die Unternehmerin, wie ihre Produkte mit dem richtigen Werkzeug und den passenden Ersatzteilen selbst wieder in Gang gesetzt werden können. Von Dewitz sieht das als weiteren Beitrag zur Nachhaltigkeit. Dass ihre Firma dadurch unter Umständen weniger Neuware verkauft, nimmt sie in Kauf.
Nachhaltigkeit ist bei Vaude Chefsache. „Noch wichtiger ist, dass dieses Ziel im ganzen Unternehmen gleichberechtigt neben der Wirtschaftlichkeit steht. Das gehört für mich zum Unternehmertum.“ Wäre das breiter verankert, ginge es der Welt besser. Klimakatastrophe, Raubbau an der Natur und die aufgehende Schere zwischen Arm und Reich sind für sie die Hauptursachen großer Probleme, auch der Flüchtlingsbewegungen. Angst machen ihr die jüngsten politischen Entwicklungen. Doch aufgeben gilt nicht: „Ich kämpfe schon immer für eine bessere Welt.“

In der Wirtschaft läuft etwas ziemlich falsch, findet sie. „Unternehmen sind zu einseitig auf Profit ausgerichtet und sollten danach besteuert werden, wie viel sie für das Gemeinwohl tun.“ Bei der EU in Brüssel hat sie ein neues Erbschaftsteuermodell vorgestellt. Dass sie allein die Welt verändern kann, glaubt sie nicht. Aber sie geht überzeugt ihren Weg. Schließlich stammt sie aus einer Familie, die sich immer schon abseits der ausgetrampelten Pfade bewegte.

Ihr Vater Albrecht von Dewitz, ein Niedersachse, war Anfang der 1970er-Jahre zusammen mit seiner Frau, einer gebürtigen Bremerin, im Oberschwäbischen im Urlaub und fand Gefallen an der Gegend. Das Paar zog an den Bodensee, Albrecht gründete dort 1974 den Outdoor-Ausrüster Vaude. Der Name leitet sich aus den Anfangsbuchstaben „V(au)“ und „D(e)“ seines Namens ab.

In dieser Landschaftsidylle wuchs Antje von Dewitz auf. Die Nähe zur Natur hat sie geprägt. Demnächst will sie sich einen Traum verwirklichen und einen Bauernhof kaufen. Wenn das klappt, fällt der nächste Outdoor-Sommerurlaub aus. „Dann müssen wir renovieren“ - indoor.

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