Es ist eine seltsame Antwort, die man in diesen Tagen von Politikern und Wirtschaftsvertretern in Berlin auf die Frage nach dem deutsch-amerikanischen Verhältnis erhält. „Ich bin ja eigentlich ein Freund Amerikas“, heißt es zunächst, um danach umso heftiger Kritik zu üben an der ungebremsten Durchdringung der deutschen, europäischen und globalen Wirtschaft mit amerikanischen Standards und an dem bis in Vorstandsetagen reichenden langen Arm von Washingtons Außenpolitik. Die Klagen aus der deutschen Wirtschaft haben inzwischen auch die Politik erreicht, der BDI hat dazu bereits vor einiger Zeit eine „Petita“-Liste verfasst. Doch in Berlin reagiert man hilflos. Vielleicht nimmt sich Kanzlerin Angela Merkel der Sache während der G8-Präsidentschaft an, allerdings fällt das Thema zwischen den Rost ministerieller Zuständigkeiten.
Das Angst-Thema der deutschen Wirtschaft trägt einen Namen: SEC, die US-Börsenaufsicht Securities and Exchange Commission. Die nimmt deutsche Aktiengesellschaften, die an der New Yorker Börse gelistet sind, immer stärker in den Würgegriff, hinzu kommen Ambitionen der amerikanischen Börse nach Zukäufen in Europa und die Art und Weise, wie die amerikanische Außen- und Handelspolitik Interessen durchsetzt. So haben sich im Falle Iran deutsche Firmen und Banken an die Bundesregierung gewandt, die von der SEC und anderen US-Behörden nach ihren Aktivitäten in dem Land gefragt wurden. Der Vorwurf der SEC: Die Unternehmen würden ihr Engagement in einem von Washington als „Schurkenstaat“ definierten Land der Aktionärsöffentlichkeit verheimlichen und damit – sollten die Aktivitäten publik werden – Vermögen amerikanischer Wertpapier-Besitzer vernichten. Dass diese Unternehmen immer gesagt haben, sie würden ein internationales Embargo gegen Iran mittragen, bis dahin aber im Rahmen deutschen und europäischen Rechts agieren, interessiert in Washington kaum.
Noch reagiert die Bundesregierung nicht direkt, sondern schickt etwa den Vorsitzenden des CDU-Wirtschaftsrates, Kurt Lauk, vor, der jüngst davor warnte, europäische Unternehmen würden durch „die Hintertür“ amerikanischen Standards unterworfen. Es gehe um eine „Schlacht“, die Europa nicht verlieren dürfe.
Die Amerika-Kritik von Managern und Wirtschaftspolitikern entzündet sich vor allem an der doppelten Moral jenseits des Atlantiks. Deutsche Unternehmen weisen immer wieder darauf hin, wie amerikanische Konzerne auch über Dritt-Firmen und mit teilweiser Rückendeckung ihrer Regierung in genau jenen Märkten aktiv sind, die man Europäern verschließen möchte.
Als Widerspruch zwischen liberaler Markt-Rhetorik und unilateraler Machtrealität wird auch die amerikanische Handelspolitik gebrandmarkt. Im Windschatten der stockenden Verhandlungen für ein multilaterales Welthandelsabkommen sichern sich in Südostasien die USA mit den Japanern einen Markt nach dem anderen mit bilateralen Handelsabkommen. In diesen Ländern bleibt dann für europäische Unternehmen nicht mehr viel übrig. Nun geht es nicht darum, mit deutscher Abschottungspolitik zu antworten. Aber ordnungspolitisch fairer Wettbewerb zwischen Europa und den USA setzt dieselben Spielregeln in den internationalen Märkten voraus. Und handelspolitisch befindet man sich in Berlin ohnehin im Tal der Ahnungslosen: In der Bundesregierung konkurrieren Außen-, Wirtschafts- und Finanzministerium um Kompetenzen – wenn man nicht ohnehin die Verantwortung auf Brüssel schiebt. Im Parlament und in den Medien hingegen gilt das Thema als „unsexy“. Die Folgen: Deutschland erleidet nicht nur einen Wettbewerbsnachteil – weil unter Freunden zu viel geschwiegen wird, geht die schleichende Entfremdung auf beiden Seiten des Atlantiks weiter.
michael.inacker@wiwo.de