Abstimmung im Abgeordnetenhaus US-Rettungsplan für Finanzmärkte abgelehnt

Dramatische Abstimmung im US-Repräsentantenhaus: Das umstrittene 700-Milliarden-Dollar-Paket zur Rettung der Finanzmärkte ist knapp gescheitert. Das hat Politiker und Finanzmärkte rund um den Globus in einen Schockzustand versetzt. Das Weiße Haus hat bereits weitere Initiativen angekündigt, das Abgeordnetenhaus für Donnerstag eine neue Sitzung einberufen.

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Quelle: handelsblatt.com

WASHINGTON/NEW YORK. Massive Kursverluste der Bankenaktien ließen den Dow-Jones-Index um fast sieben Prozent einbrechen. Der S&P-500-Index verzeichnete mit einem Minus von 8,8 Prozent den stärksten Rückgang seit dem Börsencrash 1987. "Wir werden nun sehen, wie weit der Tsunami an den Märkten in den nächsten Tagen noch geht", kommentierte der ehemalige stellvertretende US-Notenbank -Chef, Alan Blinder, sichtbar konsterniert die Situation.

Mit 228 zu 205 Stimmen votierten die Abgeordneten gegen das 700 Mrd. Dollar schwere Hilfspaket, mit dem die Regierung den Banken einen Großteil ihrer faulen Hypothekenprodukte abkaufen wollte. Das Paket war erst nach mühevollen Verhandlungen zustande gekommen und galt als der Befreiungsschlag gegen die Krise. "Das wurde uns als der letzte Strohhalm verkauft, der alles retten sollte", sagte Walter Hellwig, Vermögensverwalter bei der Morgan Asset Management in Birmingham/Alabama, der Nachrichtenagentur Bloomberg.

Gescheitert ist das Vorhaben am Widerstand der konservativen Republikaner im Repräsentantenhaus. "Die Republikaner haben das Gesetz gekillt", sagte Barney Frank, demokratischer Vorsitzender des Finanzausschusses. Viele Parteigänger von Präsident George W. Bush fühlten sich von dem größten Staatseingriff in der US-Geschichte überrumpelt und fürchten um ihre Wiederwahl bei den Kongresswahlen im November. Umfragen zufolge lehnen die meisten Wähler das Rettungspaket ab. "Die Amerikaner wollten diese Staatshilfe nicht, und jetzt hat auch der Kongress sie abgelehnt", sagte der republikanische Abgeordnete Mike Pence aus Indiana. Sein Parteifreund Jeb Hensarling aus Texas bezeichnete den Plan als eine "Rutschbahn zum Sozialismus".

Selbst ein Appell von US-Präsident Bush konnte die bittere Niederlage nicht verhindern. Bush hatte noch am Vormittag persönlich um die Zustimmung der Abgeordneten gekämpft und vor einer Ausbreitung der Finanzkrise auf die reale Wirtschaft gewarnt. Auch Notenbank-Chef Ben Bernanke hatte von einer "ernsthaften Bedrohung" gesprochen, sollte der Kongress das Paket ablehnen. Finanzminister Hank Paulson kündigte nach der Abstimmungsniederlage an, die Finanzmärkte mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu stützen. Anschließend eilte der ehemalige Goldman-Sachs-Chef zu einer Krisensitzung mit Bush und Bernanke ins Weiße Haus.

Politische Beobachter gehen jetzt davon aus, dass das Rettungspaket neu aufgeschnürt werden muss und in den nächsten Tagen erneut zur Abstimmung kommt. Das Repräsentantenhaus berief für Donnerstag eine neue Sitztung ein. Für Mittwoch war bislang das Votum im Senat geplant.

Angst vor einer tiefen Rezession in den USA ließ auch den Ölpreis um zehn Dollar fallen. Gleichzeitig suchten Investoren Schutz in sicheren Anlagen wie US-Staatsanleihen und Gold, dessen Preis um knapp drei Prozent auf 898 Dollar je Feinunze zulegte. Aus Sorge vor den negativen Auswirkungen der Entscheidung auf die US-Wirtschaft verlor der Dollar gegenüber Yen und Euro an Boden. Auf dem Geldmarkt der Banken in London war der Libor-Satz für Dreimonatsgelder bereits zuvor auf den neuen Rekordstand von 5,22 Prozent gestiegen. "Das Bankensystem nähert sich einem totalen Stillstand", sagte Frederic Dickson, Marktstratege bei der Investmentgesellschaft D.A. Davidson & Co.

Am Kapitalmarkt wurden sofort nach der gescheiterten Abstimmung Forderungen laut, wenigstens Teile des Pakets in den nächsten Tagen erneut in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen. "Es muss etwas passieren, sonst frieren die Kreditmärkte weiter ein", sagte Pimco-Fondsmanager Bill Gross.

In den vergangenen Wochen und Monaten waren eine Reihe von Großbanken der Kreditklemme zum Opfer gefallen. Weil sich die Institute nach weltweit mehr als 500 Mrd. Dollar Abschreibungen vor allem auf Immobilienkredite gegenseitig misstrauen, leihen sie sich untereinander kein Geld mehr. Daher ging die Investmentbank Lehman Brothers in die Insolvenz, die Konkurrenten Bear Sterns und Merrill Lynch flohen in die Arme der Geschäftsbanken JP Morgan und Bank of Amerika. Die viertgrößte Geschäftsbank der USA, Wachovia, konnte sich wegen Spekulationen um ihre Liquiditätslage und einem Kurssturz von über 70 Prozent gestern nicht mehr halten und ging in einem Notverkauf an den Konkurrenten Citigroup.

Die Angst vor dem Wähler

Als einer der Hauptgründe für die Ablehnung des Rettungspakets gilt die Angst der Abgeordneten vor ihren Wählern - und damit vor dem Verlust des Arbeitsplatzes beim anstehenden Urnengang im November. Viele wollten nicht wegen Hilfe für "ohnehin unersättliche Banker" abgewählt werden. Auf Webseiten wie

"nocashfortrash.org" brüsteten sich vor der Abstimmung viele Kommentatoren damit, Druck auf ihre Abgeordneten und Senatoren ausgeübt zu haben, gegen das Gesetz zu stimmen.

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