Aktien und Anleihen Börse 2010: Was hält, was fällt

Die Börsen haben sich rasant erholt – und viel Positives vorweggenommen. Das Absturz-Risiko steigt. Weil Anleihen nur noch Magerzinsen bieten, kommen Anleger an Dividendenpapieren aber nicht vorbei.

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Dax: 30 Prozent Ertrag waren Quelle: dpa

In Extremsituationen bedienen sich auch nüchterne Zahlenmenschen pathetischer Bilder: „Der Patient Weltwirtschaft hat den Mordanschlag von 2009 überlebt, aber er wird noch jahrelang auf der Intensivstation liegen.“ So erklärt Stephen Roach, Chef der Glaskugel-Abteilung von Morgan Stanley und Berater von Barack Obama, die Welt. Die massiven Rettungsaktionen durch Staaten und Notenbanken nach der Finanzkrise nennt Roach „ein gewaltiges Experiment der Wiederbelebung mit Doping-Methoden“. Bisher scheint das Experiment geglückt; der Kollaps blieb aus. Der Dax liegt seit Anfang des Jahres fast 20 Prozent im Plus.

Doch 2010 dürfte das Jahr der Wahrheit werden: Zeigen sich nun die unerwünschten Nebenwirkungen der Notenbank-Aktionen? Fällt die Wirtschaft nach dem Auslaufen zahlreicher Rettungsaktionen in die Rezession zurück? Oder schafft sie es, sich in einen selbsttragenden Aufschwung zu retten, die Dopingmittel der Notenbanken und Rettungsprogramme im sanften Entzug zu reduzieren und schließlich wieder auf eigenen Beinen zu stehen?

Selbst wenn der Rückfall in die Krise ausbleiben sollte: Vielen Aktien drohen Korrekturen. Auch Dax-Perlen wie BASF, Bayer, MAN, Linde, RWE, E.On und Siemens, eigentlich Basis-Investments in jedem Depot, sind aktuell wohl zu teuer.

Keine Prognosen für 2010 und 2011

Auffällig ist, dass die Mehrzahl der Dax-Vorstände noch immer keine Prognosen für die Jahre 2010 und 2011 abgeben will. Zu unsicher ist die Lage. Das Kursbild des Dax aber spiegelt diese Skepsis nicht wider. Viele Aktien sind nicht mehr weit von ihren Höchstständen aus den Jahren 2007 oder 2008 entfernt. Die Unternehmen verdienen aber nach wie vor nur einen Bruchteil der damaligen Rekordgewinne. Natürlich kaufen Anleger mit Aktien immer die Hoffnung auf künftige Gewinne, nicht allein die von heute. Aber welche Gewinnerwartung ist realistisch?

„Jedenfalls nicht die von 2006 und 2007“, sagt Albert Edwards, Chefstratege von Société Générale. Die Wirtschaft werde 2010 global „zwar wachsen, aber der starke Trend der Weltwirtschaft bis 2008 mit im Mittel fast fünf Prozent Wachstum pro Jahr wird in den kommenden zwei Jahren noch nicht annähernd wieder erreicht“. Die Unternehmen spüren das. BASF zum Beispiel wird, wenn alles gut geht, 2009 nicht einmal die Hälfte des Gewinns von 2007 einfahren, ist aber schon wieder fast so teuer wie damals. Ähnlich hoch bewertet sind fast zwei Drittel der Werte im Dax.

Zu weit gelaufen scheinen aber auch die 2009 so beliebten Unternehmensanleihen. Deren Kurse trieben die Anleger auf Werte weit über 100 Prozent des Nennwerts, den Anleger am Ende der Laufzeit zurückbekommen; mit Pleiten rechnet auf diesem Niveau also niemand. Doch genau die drohen in der Spätphase einer schweren Rezession fast zwangsläufig. „Es ist nicht ersichtlich, wieso ausgerechnet die aktuelle Krise eine Ausnahme machen sollte“, sagt Edwards.

Tabelle: Prognose für Dax-Werte

Billiges Geld der Notenbanken und staatliche Konjunkturprogramme wie die Abwrackprämie und milliardenteure Infrastrukturprojekte retteten die Konjunktur vor dem Absturz ins Bodenlose. Aber viele staatliche Programme laufen 2010 aus – oder ihre Wirkung wird nachlassen. „Die Konjunktur wird relativ schwach wachsen, etwa um zwei Prozent, die Frage ist, ob sich daraus steigende Unternehmensgewinne und Umsätze ableiten lassen“, sagt Analyst Tammo Greetfeld von UniCredit. 2009 haben viele Unternehmen mehr Gewinn ausgewiesen als befürchtet; meist aber nur, weil sie Kosten gespart haben. Demgegenüber blieben Umsätze und Auftragseingänge sogar hinter den ohnehin schwachen Erwartungen zurück – in manchen Branchen sind sie zweistellig eingebrochen –, insgesamt keine guten Aussichten fürs kommende Jahr.

Trotzdem rechnen die Analysten im Durchschnitt etwa für die 50 Unternehmen im Euro Stoxx 2010 schon wieder mit gut 80 Prozent mehr Gewinn als 2009. „Die Gewinnschätzungen sind in der Tendenz zu hoch; sie dürften im Laufe des Jahres nach unten korrigiert werden“, sagt Teun Draaisma, Chefstratege Europa von Morgan Stanley; er erwartet 2010 eine Korrektur, wenn auch nicht bis auf die alten Tiefststände vom März 2009.

Rekordjagd bei Anleihen passé

Trotz der durchwachsenen kurzfristigen Aussichten sind Aktien mit hoher, stabiler Dividende aber langfristig attraktiv, so die Aktie der Deutschen Telekom mit aktuell mehr als sieben Prozent Dividendenrendite. Mit Fresenius Medical Care oder K+S kaufen sich Anleger in solide Unternehmen ein, die von langfristigen Trends wie Nahrungsmittelknappheit oder Alterung der Bevölkerung profitieren dürften. „Wer solche Papiere kauft, hat unter Chance/Risiko-Gesichtspunkten nicht das schlechteste Langfrist-Investment, zumal, wenn auch noch die Dividende stimmt, er muss aber zwischenzeitliche Rückschläge im zweistelligen Prozentbereich notfalls verkraften“, sagt Christoph Riniker, Stratege bei Julius Bär.

Alternativen zur Aktie sehen dagegen immer weniger verlockend aus. 2009 war seit einer Generation das beste Jahr für Zinspapiere. Mit den Bonds sicherer Schuldner waren leicht zweistellige Erträge zu erzielen, einige Anleihen finanzschwacher Unternehmen verdoppelten sich sogar. Wer sich etwa im Dezember 2008 eine neue Metro-Anleihe mit Laufzeit bis 2013 zulegte, sitzt auf einem Plus inklusive Zins von 30 Prozent. Vor Jahresfrist rentierte eine Metro-Anleihe mit knapp neun, heute mit nur noch 3,4 Prozent. „Der Markt ist – was weitere Kursavancen betrifft – ziemlich ausgereizt“, sagt Eugen Keller, Rentenstratege vom Bankhaus Metzler.

Auch bei Staatsanleihen erwarten Experten keine weiteren Kursgewinne, die die Renditen weiter drücken würden. „Wir denken, dass die aktuelle Verzinsung von 3,1 Prozent das Tief für die kommenden zwölf Monate markiert und im Jahresverlauf die Renditen auf bis zu vier Prozent steigen könnten“, sagt Folker Hellmeyer, Chefanalyst der Bremer Landesbank.

Auch 2010 niedrige Zinsen

Bei höheren Renditen und damit niedrigeren Kursen dürften dann aber Großanleger kaufen und so die Kursverluste durch stärkere Nachfrage begrenzen. Lebensversicherer etwa müssen ihr Geld zu wenigstens 3,6 Prozent anlegen, um Kundenansprüche bedienen zu können. Es sei deshalb „gut denkbar, das sie in steigende Renditen hineinkaufen und den Markt stützen“, sagt Keller.

Das größte Risiko für Anleihen ist Inflation. Sollten die Preise deutlich steigen, würde dies zu einem Kursrutsch am Rentenmarkt führen. Keller von Metzler mag daran noch nicht glauben. „Die Kapazitäten in der Industrie sind nach wie vor sehr schwach ausgelastet. Wir glauben daher nicht, dass im kommenden Jahr Preisdruck über die Gütermärkte entsteht. Im Gegenteil.“ Deshalb würde die Europäische Zentralbank beim Zins auch „höchstens kosmetische Korrekturen bei der Liquidität vornehmen“. Sparer müssten dann noch lange mit wenig mehr als einem Prozent Tagesgeld-Zins leben. Vielleicht kaufen einige dann doch Aktien.

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