Analystenschätzungen Allzu optimistische Börsenpropheten

Die Bundesbank hat die Gewinnschätzungen von Analysten zu den Dax-30-Unternehmen der vergangenen 20 Jahre untersucht. Das Ergebnis ist ernüchternd: Die Prognosen der Analysten taugen vor allem in Abschwungphasen wenig.

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Analystenschätzungen zur Quelle: REUTERS

Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), Dividendenrendite, Gewinn pro Aktie und wie sie alle heißen: Es gibt eine Reihe von Kennzahlen zu Aktien, die Privatanleger und institutionelle Investoren vor einem Aktieninvestment gleichermaßen zu Rate ziehen.

Viele davon beziehen sich auf die Zukunft und basieren deshalb im wesentlichen auf den Schätzungen der Analysten. Deren Job ist es, Informationen zu sammeln und mithilfe unterschiedlicher mathematischer Modelle in einer Zahl zu verdichten: der Gewinnschätzung. Wertpapieranalysten sind eine Bindeglied zwischen den beobachteten börsennotierten Unternehmen sowie potenziellen Investoren und Marktbeobachtern. Letzten Endes entscheidet aber nur die Genauigkeit der Analystenschätzungen und die daraus gebildete sogenannte Konsensschätzung über eine Reihe wichtiger Kennzahlen.

Deutliche Vorhersagefehler der Analysten

Die Genauigkeit der Prognosen aus den Analyse-Abteilungen der Investmentbanken und Finanzdienstleister hat die Deutsche Bundesbank nun unter die Lupe genommen. Für die Untersuchung hat die Bundesbank deshalb die Analystenschätzungen der vergangenen 20 Jahre zu den Dax-30-Unternehmen – für die es zahlreiche regelmäßige Analysen gibt – auf ihre Treffergenauigkeit überprüft.

Das Ergebnis ist ernüchternd: Die Gewinnschätzungen auf Sicht von zwölf Monaten sind im Durchschnitt deutlich übertrieben. Über alle Dax-Unternehmen gerechnet, erwarteten die Analysten einen durchschnittlichen Gewinnanstieg um 21 Prozent. Tatsächlich erreichten die Unternehmen aus dem Leitindex der Deutschen Börse lediglich eine Steigerung um elf Prozent.

Die Asymmetrie ist offensichtlich, insbesondere in Abschwungphasen. Denn in Zeiten stark sinkender Aktienkurse weichen die Gewinnerwartungen noch stärker von den erreichten Werten ab, als in Phasen des Börsenaufschwungs. „Die Vorhersagefehler der Analystenschätzungen betrugen in drei nach 1990 beobachteten konjunkturellen Einbrüchen und den damit einhergehenden starken Aktienkursrückgängen mehr als 50 Prozent“, heißt es im Monatbericht der Bundesbank vom Juli 2009.  

Überoptimistisch und träge

Als Erklärung für diese Verzerrung nach oben vermutet die Bundesbank einen Überoptimismus der Analysten und in einer gewissen Trägheit der Schätzungen. Weil die Analysten nicht jeden Monat eine neue Gewinnprognose abgeben, stammt ein Großteil der in die Konsensschätzung einfließenden Einzelwerte von früheren Zeitpunkten.

Auf Monatsbasis betrachtet wurde in den vergangenen 20 Jahren nur jede vierte Schätzung revidiert, seit dem Jahr 2000 war es jede dritte. Damit lässt sich jedoch nur ein gewisser Zeitverzug erklären, jedoch nicht die starke Asymmetrie zwischen geschätzten und tatsächlichen Gewinnen.

Deshalb sieht die Bundesbank einen weiteren Grund für den Überoptimismus in Abschwungphasen in möglichen Interessenkonflikten. Wissenschaftler, die das erforscht haben, kamen zum gleichen Ergebnis: Weil einige Analysten bewusst eine Verschlechterung der Geschäftsbeziehungen zu Unternehmen zu vermeiden suchen, ist ihre Prognose zu optimistisch.

Fritz H. Rau, Vorstandsvorsitzender der Analystenvereinigung DVFA, schließt das nicht aus. „Interessenkonflikte zu verneinen, widerspricht jeglicher Lebenserfahrung.“ Rau bezweifelt keineswegs die Ergebnisse, aber die von der Bundesbank angeführten Gründe für die Abweichungen will er so nicht stehen lassen: „Analysen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt auf einer bestimmten Datenbasis entstehen, verlieren ihre Gültigkeit, wenn sich die Datenbasis ändert. Die Bundesbank hätte Gewinnschätzungen, die seit drei Monaten nicht mehr aktualisiert wurden, nicht in die Betrachtung nehmen dürfen.“

Basis für die Prognosen sind dem DVFA-Vorstandschef zufolge meist die Erwartungen der Unternehmen, die für ihr Geschäftsjahr schließlich ein Umsatzziel, eine Kostenstruktur und einen Ertrag anstreben und ihre Planung daran ausrichten. Allerdings würden die Unternehmen ihre eigene Zukunft oft falsch einschätzen. „Das ist wie mit den Konjunkturprognosen: die mussten in den vergangenen Monaten mehrfach nach unten angepasst werden.“ Jede Prognose, so Rau, sei nun mal mit Vorsicht zu genießen. „Ein Analyst hat ein Unternehmen einzuschätzen und ist nun mal kein Anlageberater. Für ihn und seinen Arbeitgeber geht es auch darum, Kompetenz zu zeigen.“

Die genauen Gründe für die Abweichungen der Gewinnschätzungen von der Realität lassen sich also nicht so genau identifizieren. Auch die Ergebnisse der Bundesbank sind da nicht eindeutig. Eins ist jedoch erwiesen: Eine größere Streuung der verschiedenen Analystenschätzungen zu einem Unternehmen bedeuten auch einen größeren absoluten Vorhersagefehler. Anleger, die sich also auf Konsensschätzungen und davon abgeleitete Börsenkennzahlen stützen, sollten deshalb besonders skeptisch sein, wenn die Analystenschätzungen weit auseinander liegen. Sie sind umgekehrt umso genauer, je mehr Schätzungen zu einem Unternehmen vorliegen und je enger die Ergebnisse beieinander sind. Denn dass die Unternehmensgewinne langfristig mit den Aktienkursen einher gehen, hat nicht erst die Bundesbank empirisch nachgewiesen.

Systematische Abweichung

Die Bundesbank spricht in ihrem Monatsbericht von einer „systematischen Abweichung“ der Analystenschätzungen und gibt deshalb Anlegern noch eine Empfehlung zur Interpretation der Analysen: Insbesondere in Abschwungphasen sollten sie auch das Verhältnis der positiven zu den negativen Revisionen der Analystenschätzungen im Auge behalten. In der aktuellen Krise überstieg die Zahl der nach unten revidierten Gewinnschätzungen erst im Oktober 2007 die der nach unten korrigierten Prognosen. Da waren die Börsen allerdings schon im Sinkflug. 

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