Attentat in Pakistan Keiner will es gewesen sein

Am Tag nach der Beerdigung der ermordeten pakistanischen Oppositionsführerin Benazir Bhutto gehen die Unruhen weiter, es gab Tote und Verletzte. In aller Welt melden sich besorgte Politiker, die eine baldige Aufklärung fordern. Doch bisher verdächtigte Gruppierungen weisen alle Schuld von sich.

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Ausschreitungen nach dem Mord an Bhutto. Quelle: dpa

HB KARATSCHI/ISLAMABAD. Polizeiangaben vom Samstag zufolge wurde ein 27-Jähriger Anhänger von Bhuttos Partei PPP von vermummten Unbekannten erschossen. Der Mann sei gerade von dem Mausoleum zurückgekommen, in dem die Politikerin am Freitag bestattet wurde, erklärte ein ranghoher Polizist in der Stadt Hyderabad. Der Bruder des Toten, ein Politiker der PPP in der Provinz Sindh, sei bei dem Angriff verletzt worden. Polizisten in Hyderabad feuerten in eine Menge, die Reifen auf der Straße angezündet hatten. Zwei der Demonstranten seien dabei verwundet worden. Nach dem Attentat auf Bhutto am Donnerstag waren die Unruhen ausgebrochen. Bei Gewaltakten starben mindestens 33 Menschen, die meisten in Bhuttos Heimatprovinz Sindh.

Unterdessen ist in Pakistan eine Debatte über die Todesursache entbrannt. Ein Sprecher von Bhuttos Pakistanischer Volkspartei PPP wies einen Bericht des Innenministeriums zurück, nach dem die Oppositionsführerin nicht wie zunächst gemeldet durch Schüsse sondern durch einen Schädelbruch tödlich verletzt worden sei. "Es war ein gezielter Mord durch einen Scharfschützen", sagte der Sprecher. Die PPP forderte, die Hintergründe des Mordes von einer internationalen Kommission untersuchen zu lassen. Das Innenministerium hatte am Freitag bekannt gegeben, Bhutto sei durch die Wucht der Explosion gegen das Dach ihres Geländewagens geschleudert worden, nachdem der Selbstmordattentäter seinen Sprengsatz gezündet habe. Die abgefeuerten Schüsse hätten die Oppositionsführerin nicht getroffen.

Eine enge Vertraute Bhuttos hat darüber hinaus den Behörden Täuschung und Falschinformation vorgeworfen. Sie wies ebenfalls die offizielle Darstellung, wonach Bhutto beim Attentat einen tödlichen Schädelbruch erlitten habe, zurück. Dies sei lächerlich und eine "gefährliche Irreführung" der Öffentlichkeit, sagte die Oppositionssprecherin Sherry Rehman. Sie habe während des Attentats direkt hinter Bhutto im Auto gesessen und gesehen, wie plötzlich eine große Schusswunde an deren linken Hinterkopf aufplatzte und anschließend stark blutete. Einen Täter habe sie nicht gesehen. Erst danach sei das Fahrzeug von der schweren Detonation des Selbstmordattentäters erschüttert worden. Rehman selbst erlitt bei dem Anschlag ein schweres Schleudertrauma sowie Verletzungen an den Beinen.

"Es ist traurig, aber es sieht so aus, als ob sie etwas vertuschen oder die Verantwortung von sich weisen wollen - oder beides", erklärte Rehman weiter. Die Regierung habe Bhutto vor dem Anschlag wiederholt die gewünschten Sicherheitsvorkehrungen verwehrt und damit das Risiko eines Attentats erhöht. Bhuttos Ehemann hat der Regierung von Präsident Pervez Musharraf die Schuld am Tod seiner Frau gegeben.

Die Bhutto-Partei hat Angaben der Regierung zurückgewiesen, wonach das Terrornetzwerk Al Kaida und der Kriegsherr Baitullah Mehsud für das Attentat verantwortlich sind. Diese Geschichte erscheine fingiert und nicht zutreffend, erklärte Farhatullah Babar, ein Sprecher der PPP. Die Regierung versuche damit abzulenken. Bhutto habe der Regierung in der Vergangenheit von "Elementen" außerhalb der Al Kaida berichtet, die sie gefährden könnten, doch sei diesbezüglich nie ermittelt worden, sagte Babar weiter.

Sprecher des Kriegsherrn Mehsud widersprachen den Regierungsangaben ebenfalls und sprachen von einem Ablenkungsmanöver. In einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur AP bezeichnete ein Vertreter Mehsuds die Vorwürfe als "Regierungspropaganda". "Wir bestreiten das entschieden. Baitullah Mehsud ist nicht in den Tod Benazir Bhuttos verwickelt", sagte er der Associated Press am Telefon. Der Nachrichtenagentur Reuters teilte Mehsuds Sprecher Maulvi Omar in einem anderen Telefoninterview mit: "Stammesangehörige haben ihre eigenen Sitten. Wir attackieren keine Frauen."

Die Agenturen zitieren einen weiteren Sprecher namens Maulana Mohammed Umer mit den Worten, die Regierung wolle mit ihrer Anschuldigung nur von den "wahren Mördern ablenken." Umer habe sich aus der Stammesregion Süd-Waziristan gemeldet und sei Sprecher der vor kurzem gegründeten Gruppe Tehrik-i-Taliban, einer Koalition islamischer Extremisten, die gegen die mit den USA verbündete pakistanische Regierung kämpft. Die Gruppe wird von Mehsud angeführt. Mehsud lebt in der Nähe der pakistanisch-afghanischen Grenze und ist Befehlshaber einer Pro-Taliban-Miliz. "Tatsache ist, dass wir nur gegen Amerika kämpfen. Wir betrachten die politischen Führer Pakistans nicht als unsere Feinde", sagte Umer. Er stelle die Position seiner Gruppe im Auftrag Mehsuds klar, fügte er hinzu.

Die pakistanische Regierung hatte Mehsud am Freitag für die Tötung Bhuttos verantwortlich gemacht und erklärt, sie habe Beweise, dass Al Kaida und Taliban hinter dem Selbstmordanschlag steckten. Die Regierung habe am Freitag eine Botschaft Mehsuds abgefangen, in der dieser seinen Leuten zur Ausführung des Attentats gratulierte. Laut der veröffentlichten Abschrift dieser Botschaft sagte Mehsud: "Das war eine eindrucksvolle Arbeit. Es waren sehr mutige Jungs, die sie (Bhuttto) getötet haben." Die Regierung bezeichnete Mehsud als einen Führer von Al Kaida.

Mehsud steckt nach Regierungsangaben auch hinter dem Anschlag vom 18. Oktober auf eine Parade nach der Rückkehr Bhuttos aus dem Exil. Dabei waren damals mehr als 140 Menschen getötet worden; Bhutto selbst blieb unverletzt. Anhänger der langjährigen Rivalin von Präsident Pervez Musharraf vermuten indes, dass die pakistanische Regierung hinter dem Anschlag steckt.

Bhutto war am Donnerstag bei einer Wahlkampfveranstaltung in Rawalpindi getötet worden. Am Freitag wurde sie unter der Anteilnahme Hunderttausender im Mausoleum ihrer Familie an der Seite ihres ebenfalls ermordeten Vaters beigesetzt.

Der Sohn Bhuttos will eine Erklärung vorlesen, die seine Mutter für den Fall ihres Todes hinterlassen hat. Das kündigte der Vater des Jungen an, Asif Ali Zardari. Die Erklärung sei an die PPP gerichtet. Die Führung der Partei will am morgigen Sonntag bei einem Krisentreffen entscheiden, ob sie an der für 8. Januar geplanten Parlamentswahl teilnimmt. Die Regierung hatte nach der Ermordung Bhuttos signalisiert, dass sie am Wahltermin festhalten will. Der Oppositionspolitiker Nawaz Sharif von der Muslimliga (PML), wie Bhutto ein ehemaliger Ministerpräsident, rief schon nach dem Attentat am Donnerstag zum Boykott der Parlamentswahl auf.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat sich angesichts der politischen Unruhen in Pakistan besorgt über die Sicherheit des Atomwaffenarsenals des Landes gezeigt. "Atomwaffen dürfen niemals in die Hände islamistischer Terroristen geraten", sagte Steinmeier der "Bild am Sonntag" laut Vorab-Bericht. Trotz der unruhigen Situation nach der Ermordung von Oppositionsführerin Benazir Bhutto bestehe zwar dafür noch keine konkrete Gefahr. Damit dies so bleibe, müssten in Pakistan aber wieder stabile Verhältnisse einkehren. "Was wir dafür tun können, darüber beraten wir mit den Vereinten Nationen, den USA und den Europäern", sagte Steinmeier dem Blatt zufolge weiter. Das grausame Attentat auf die Oppositionsführerin habe eine Situation geschaffen, die sich "zur größten Krise in der Geschichte Pakistans ausweiten kann", meinte Steinmeier weiter und rief die Politiker in Pakistan zur Zusammenarbeit auf.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy, der als Wahlbeobachter nach Pakistan reist, sagte dem Audiodienst der Nachrichtenagentur dpa, das Land stehe ohne Zweifel am Scheideweg. Ob es den Weg ins Chaos oder in die Stabilität gehe, hänge von demokratischen Wahlen ab. Und von der Stabilität Pakistans hänge die Zukunft der ganzen Region ab. Seiner Ansicht nach wäre es sinnvoll, den geplanten Wahltermin am 8. Januar einzuhalten, da sich sonst die Phase ohne legitimierte Führung verlängern würde. "Das wäre nicht gut."

Der außenpolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Eckart von Klaeden (CDU), sagte dem dpa-Audiodienst, er rechne mit weiteren Gewalttaten. Es kommt jetzt darauf an, wie sich die Volkspartei PPP reorganisieren werde. Unter den derzeitigen Umständen seien faire und freie Wahlen nicht möglich. Im benachbarten Afghanistan befürchtet die Bundesregierung nach einem "Spiegel"-Bericht, dass die Ausweisung zweier Vertreter der UN und EU die diplomatischen Bemühungen um die Stabilisierung des Landes gefährden könnte. Die beiden Diplomaten hatten Afghanistan wegen angeblicher Kontakte zu lokalen Taliban verlassen müssen.

Die Situation nach dem tödlichen Anschlag auf Bhutto könne sich zur größten Krise in der Geschichte Pakistans auswachsen, warnte der Minister. Die Politiker dort müssten zusammenarbeiten, um den Fundamentalisten zu widerstehen.

Die US-Präsidentschaftsbewerberin Hillary Clinton hat eine internationale Untersuchung des tödlichen Anschlags auf Bhutto gefordert. Die Politik von US-Präsident George W. Bush, Pakistans Präsident Pervez Musharraf einen Blankoscheck auszustellen, sei klar gescheitert, sagte Clinton bei einem Wahlkampfauftritt am Freitag in Iowa. "Wir brauchen eine internationale und unabhängige Untersuchung des Todes von Benazir Bhutto." Clintons Konkurrent um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten, Barack Obama, griff Musharraf scharf an. Ungeachtet milliardenschwerer US-Unterstützung für den pakistanischen Präsidenten habe dieser den Kampf gegen den Terrorismus nicht zu seinem zentralen Anliegen gemacht.

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