Consulting Warum viele Fusionen scheitern

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Blinder Fleck Personal

Anders als in anderen Unternehmen werde bei Dekra schon in der Übernahmephase festgelegt, wie Neuerwerbungen in das Unternehmen eingebunden werden sollen, sagt Dekra-Managerin Crusen. Verunsicherung, Unruhe oder gar Widerstand in der Belegschaft gebe es bei den neu akquirierten Unternehmen des Prüfkonzerns deshalb nicht: „Bei uns muss sich niemand Sorgen um seinen Job machen, wir bauen keine Leute ab“, sagt Crusen, „die Mitarbeiter und ihre Kundenbeziehungen sind das Kapital, das wir brauchen, um in einen neuen Markt hineinzukommen.“ Firmen, denen es schlecht geht und wo eine Sanierung ansteht, scheiden schon in der Vorauswahl aus.

Das Dekra-Beispiel bestätigt, was Berater Gerds von vielen Fusionen weiß. „Wer bei der Auswahl der Übernahmekandidaten nicht nur auf Synergien schielt, sondern vor allem auf Übereinstimmungen achtet und die Details der Integration schon in der Akquisitionsphase plant, minimiert das Risiko, später zu scheitern.“ Die Praxis sieht jedoch anders aus. Wie eine im August abgeschlossene Deloitte-Studie zeigt, sind Abteilungen für M&A, also für Fusionen und Übernahmen, nach wie vor auf technokratische Fragen fixiert – im Vordergrund stehen die genaue Durchleuchtung der Finanzen des Übernahmekandidaten, die Vertragsgestaltung, steuerliche Aspekte und Bewertungsdetails.

Wachstum durch Akquisition

Nur langsam setzt ein Lernprozess ein. Erst in knapp einem Drittel der befragten Unternehmen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die für Neuakquisitionen und Übernahmen zuständigen Fachabteilungen sich in Zukunft stärker um die anschließende Integration und Integrationsrisiken kümmern müssen. „M&A-Kompetenzen mit operativem Geschäftsbezug werden deutlich wichtiger“, sagt Consulter Gerds dazu im typischen Beraterdeutsch.

Die Freudenberg-Gruppe in Weinheim bei Mannheim hat diese Lektion gelernt. Das in 55 Ländern vertretene Familienunternehmen mit 32 000 Mitarbeitern und gut 4,2 Milliarden Euro Umsatz ist in 14 Geschäftsgruppen unterteilt und entsprechend vielen völlig unterschiedlichen Märkten aktiv. Zur Produktpalette zählen bekannte Konsumartikel wie das Putztuch Vileda, aber auch Schwingungsdämpfer und Dichtungen für Autos und Software für Mittelständler.

Gewachsen ist das Unternehmen in den 160 Jahren seines Bestehens vor allem im Ausland – durch den Kauf von Firmen in aller Welt. „Rund zwei Drittel der Akquisitionen entfallen mittlerweile auf das außereuropäische Ausland, der Jahresumsatz der neuen Tochterunternehmen variiert in der Regel zwischen 5 und 50 Millionen Euro“, sagt Marc Kühn, Leiter der für Übernahmen und Fusionen zuständigen Fachabteilung.

Verzicht auf Zwangsassimilierung

Wenn bei ihm wieder mal eine Neuerwerbung ansteht – und das ist statistisch einmal im Monat der Fall –, folgt das Prozedere einem seit Jahren bewährten Plan. „Ein Team kümmert sich um die zahlenmäßige Bewertung, ein anderes prüft, ob Produkte, Prozesse, Abläufe und Strukturen zu uns passen“, sagt Kühn, „und schon in dieser frühen Phase wird überlegt, wie die Integration ablaufen soll.“

Dass es später nur selten Probleme mit den neuen Töchtern gibt, liegt offenbar auch an der Steuerung des Familienkonzerns. „Freudenberg versteht sich als Unternehmen, in dem unternehmerische Verantwortung delegiert wird“, sagt Kühn, „die Gruppe ist dezentral organisiert, neuen Unternehmen wird der nötige Freiraum gewährt.“ Der Verzicht auf die Zwangsassimilierung erspart Freudenberg wie den Neubeteiligungen nerven- und kräftezehrende Konflikte. „Bei uns hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Kultur der neu erworbenen Einheiten zu den wertvollen Assets eines Unternehmens gehört“, sagt der M&A-Verantwortliche.

Das war auch für Kühn nicht immer selbstverständlich. Bevor er vor vier Jahren zu Freudenberg wechselte, arbeitete der Betriebswirt bei einem Private-Equity-Investor. Dort ging es vor allem um kurzfristige Ergebnissteigerungen, langfristiges Denken war nicht so angesagt.

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