
Eines der ältesten Bankhäuser der Wallstreet ist pleite, die Folgen für das internationale Finanzsystem sind nicht abzusehen. Lehman agiert weltweit und ist in komplexe Finanzgeschäfte verwoben. Am meisten sorgen sich Experten um das Derivategeschäft: Das Finanzhaus hält so genannte Credit Default Swaps (CDS) im Wert von 800 Milliarden Dollar, die wie ein drohendes Fragezeichen über der Branche schweben.
Doch US-Finanzminister Henry Paulson bleibt hart: Es wird keine Rettungsaktion für Lehman geben. Das mag angesichts der Schwere des Falls verwundern. Doch seine Motive sind klar: Nach der Rettungsaktion der Fed für das US-Finanzhaus Bear Stearns im März und der staatlichen Übernahme der Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac vorige Woche, galt an den Finanzmärkten das Einspringen für Lehman schon als ausgemachte Sache.
Genau darin liegt aber das Problem des Moral Hazard: Die Banken vertrauen darauf, dass ihnen der Staat aushelfen muss, da sie zu groß sind, um Pleite zu gehen („Too big to fail“) – und gehen damit höhere Risiken ein. Schon seit Monaten wurde über eine privatwirtschaftliche Übernahme von Lehman verhandelt, doch niemand wollte sich die Finger verbrennen.
Paulsons Strategie ist dennoch riskant: Sie schafft neue Unsicherheiten in einem hoch nervösen Finanzsystem, das nun seine Kreditkosten erhöhen und die Kreditvergabestandards weiter verschärfen dürfte. Damit wird auch eine US-Rezession wieder wahrscheinlicher, die zuletzt schon überstanden schien. Nun versucht die Fed gegenzusteuern: Zum ersten Mal in ihrer 95-jährigen Geschichte lockert sie die Sicherheiten für Zentralbankgeld-Kredite. Wer Zentralbankgeld leihen will, darf künftig auch Aktien und zum Teil sogar Bonds unter Investmentgrade als Garantie hinterlegen. Damit soll ein neuer Liquiditätsengpass verhindert werden. Doch ob das genug Baldrian für die Finanzmärkte ist, bleibt fraglich.