Finanzkrise Londoner Hedgefonds zahlen Zeche für Lehman-Pleite

Für die Lehman-Pleite zahlen vor allem europäische Großkunden. Die USA dagegen schützen ihre Investoren. Das Debakel bedroht Londons Finanzmeile.

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Londoner Finanzmeile: Hedgefonds-Aktien verpfändet Quelle: AP

So kleinlaut hat man die einstigen Herrscher des Finanzuniversums nie erlebt. Hedgefonds-Manager, die noch vor Kurzem mit Milliardenwetten Banken an den Rand der Pleite brachten, stehen plötzlich selbst vor der Insolvenz. Der Grund: Seit dem Absturz der US-Investmentbank Lehman Brothers im September sind bei der Londoner Lehman-Tochter, die von den Hedgefonds als Drehscheibe für ihre Deals benutzt wurde, rund 65 Milliarden Dollar eingefroren. „Das ist ein gewaltiges Problem für die Branche“, sagt ein Londoner Hedgefonds-Manager.

Für die City könnten die Konsequenzen dramatisch sein. „Seit dem Zusammenbruch von Lehman lagern Hedgefonds ihre Depots in die USA aus“, sagt der Branchen-Insider. Das Problem für den Aktienmarkt: 20 der 65 Milliarden Euro hatten viele der 1.300 betroffenen Kunden für Leerverkäufe deponiert – also für Wetten auf fallende Kurse (Short-Spekulationen). Dieses Kapital sitzt nun bei der Lehman-Tochter zwangsweise fest. John Hempton, Gründer des Hedgefonds Bronte Capital, sieht dies als Ursache dafür, dass manche Kurse verrückt spielen und gegen den Trend stark steigen. Denn Short-Positionen bei Lehman seien plötzlich – koste es, was es wolle – geschlossen worden, indem die Bank bestimmte Papiere gekauft hat, bei denen Kunden auf fallende Kurse gewettet hatten.

Bestes Beispiel dafür ist die – nach allen üblichen Kriterien überteuerte – Volkswagen-Aktie, deren Kurs zeitweise an einem Tag um 50 Prozent nach oben schoss, was 50 Milliarden Euro mehr Marktwert entsprach. Andere Papiere fallen dramatisch im Wert – wegen der Zwangsverkäufe im Zusammenhang mit dem Kollaps von Lehman in London, sagt Hempton.

Viele sitzen in der Londoner Falle

Die eingefrorenen Milliarden der Spekulanten sind wohl weg. Denn die Hedgefonds-Manager haben ihr Kapital den Banken nicht nur als Sicherheit für die eigenen Geschäfte übergeben, sondern dazu gleich noch eine Blanko-Verfügung unterschrieben. Lehman durfte die in London deponierten Aktien als Sicherheit für eigene Bankgeschäfte nutzen. In den USA wurde dies 1934, fünf Jahre nach dem Crash von 1929, verboten. Gut zu wissen: In Deutschland dürfen Wertpapierbanken Sicherheiten nur weiterverpfänden, wenn der Kunde dies „ausdrücklich und im konkreten Fall erlaubt“, sagt Lars Röh, Anwalt bei der Berliner Wirtschaftskanzlei Lindenpartners.

Überweisung für New York. John Hempton von Bronte Capital sieht das Fehlen von Schutzrechten in London als Ursache dafür, dass die Lehman-Pleite für das Finanzsystem so verheerend wurde. „Die britische Lehman-Tochter hat fast die gesamten Sicherheiten der britischen Kunden weiterverpfändet und große Schecks aus der City nach New York geschickt“, sagt Hempton.

„Es ist sehr traurig“, sagt der Chief Operating Officer eines großen US-Hedgefonds. „Nur wenige Fonds haben überhaupt den Unterschied im Investorenschutz zwischen den USA und Großbritannien erkannt.“ Viele waren einfach überzeugt, dass ein so großer Broker wie Lehman niemals würde pleitegehen können – und sitzen nun in der Londoner Falle. Indem sie das Insolvenzrisiko ignorierten, machten die Hedgefonds den gleichen Fehler wie Normalsparer, die sich Lehman-Zertifikate aufschwatzen ließen.

Acht Milliarden Dollar hat Lehman kurz vor seinem Zusammenbruch aus London erhalten. Der Hedgefonds Bay Harbour Management prangert in einer Klageschrift an, dass das von ihm deponierte Kapital aus London abgesaugt und in die USA transferiert worden sei. Es klagen auch der Hedgefonds GLG, an dem die deutsche Privatbank Sal. Oppenheim beteiligt ist, ebenso Harbinger Capital Partners und eine Tochter der Fondsgesellschaft Schroders. Indirekt dürften auch deutsche Privatanleger betroffen sein: Versicherer und Pensionskassen investieren auch in Hedgefonds.

Dass die Kläger viel Geld sehen, ist eher unwahrscheinlich. Denn viele Hedgefonds haben Lehman per Unterschrift erlaubt, ihre Sicherheiten weiterzuverpfänden. Die Weiterverpfändung für eigene Geschäfte sei bei Depot-Verträgen von Brokern, die für Hedgefonds arbeiten (Prime Broker), eine Standardklausel gewesen, sagt Christoph Gleske, Partner bei der Wirtschaftskanzlei Freshfields in Frankfurt. „Wenn die Bank über Wertpapiere des Kunden verfügt und dann insolvent wird, kann der Kunde nur noch einen Schadensersatzanspruch geltend machen.

Hedgefonds müssen sich hinten anstellen

Mit diesem Anspruch wird er wie alle anderen unbesicherten Gläubiger der Bank behandelt“, so Gleske. Mit anderen Worten: Die Hedgefonds haben sich ihrem Broker ausgeliefert und müssen sich daher – ebenso wie die Privatanleger mit ihren Lehman-Zertifikaten – in der langen Schlange der Gläubiger hinten anstellen. Analysten schätzen, dass sie von jedem Pfund vielleicht nur 15 Pence wiedersehen.„Je mehr Sicherheiten weiterverpfändet wurden, desto größer werden die Verluste sein, weil diese Sicherheiten weg sind“, sagt Steven Pearson, Partner beim Wirtschaftsprüfer PricewaterhouseCoopers, dem Londoner Insolvenzverwalter von Lehman. Hedgefonds dürften ihr Geld nicht früher zurückbekommen als alle anderen Gläubiger auch, fügt Pearson hinzu.

Doch eine mehrmonatige Wartezeit werden viele Hedgefonds nicht überleben, warnt der Branchenverband Managed Funds Association und fordert die Bank von England mit drastischen Worten zum Eingreifen auf, „um die schnelle Freigabe der Kundengelder zu gewährleisten“. Mehrere Hedgefonds-Kunden von Lehman stünden am Rande des Zusammenbruchs. „Fonds ziehen bereits Kapital von den Prime Brokern ab, besonders von denen in Großbritannien“, warnt der Verband und droht: „Dies könnte desaströse Folgen für den Finanzstandort Großbritannien haben.“ Die Bank von England müsse dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit geben, die eingefrorenen Sicherheiten herauszugeben, fordert der Verband. Das käme einer Garantie der Notenbank für Hedgefonds-Sicherheiten gleich – und wäre das nächste Rettungspaket nach den Milliarden für die Banken.

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