Finanzplatz Regionalbörsen im Schatten der Großmacht

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So gigantisch ist der Druck zur Veränderung auch deshalb nicht, weil alle Börsen sich ein weiteres Dahindämmern noch viele Jahre leisten könnten. „Die meisten Börsen sind stinkreich“, sagt ein Insider. Der Grund: Alle waren mal kräftig an der Deutschen Börse beteiligt. Der Börsengang der Frankfurter spülte den Provinzbörsen, die einst mit zusammen zehn Prozent an der Deutschen Börse beteiligt waren, durchweg zweistellige Millionenbeträge in die Kassen. Aus Not muss niemand fusionieren. Verbesserungen für Anleger. Eine fusionierte Deutsche Vereinigte Börse aus Deutscher Börse AG und den Regionalbörsen würde sicher in der Region Kosten sparen. In kleineren Aktien, die noch rege an mehreren Börsenplätzen gehandelt werden, würde die Liquidität gebündelt. Dies käme wiederum privaten Anlegern zugute. Die Kehrseite der Medaille: Ein gutes Stück Wettbewerbsdruck würde entfallen. Verbesserungen im Aktienhandel, insbesondere solche, von denen Privatanleger profitieren, kamen oft von den Regionalbörsen. Sie führten längere Handelszeiten ein und schufen die Möglichkeit, Aktien fortlaufend nicht nur in 50er-Blöcken, sondern in beliebiger Stückzahl zu handeln. Deutlich besser als Frankfurt informieren Regionalbörsen Anleger über Kurse. Stuttgartliefert kostenlos Echtzeit-Kurse. In Berlin können Anleger übers Internet sogar in das aktuelle Orderbuch des Maklers schauen. Sie sehen dort nicht nur, zu welchen Kursen eine Aktie angeboten wird, sondern auch in welchen Stückzahlen. Regionalbörsen gaben auch als erste Privatanlegern eine Bestpreis-Garantie: Die Kurse, zu denen sie bedient wurden, durften nicht schlechter sein als die an einer Referenzbörse. Kontrollieren, ob er wirklich den besten Preis bekommen hat, kann ein Anleger aber nur schwer. Allzu oft war „Best Price“ eher Marketing-Gag als seriöse Garantie. Mehr Durchblick soll die neue EU-Richtlinie Mifid bringen. Sie verpflichtet Banken ab Ende 2007, Orders immer dort ausführen zu lassen, wo Anleger den für sie günstigsten Preis bekommen – und dies auch zu dokumentieren. „Für uns bietet die Mifid eine große Chance“, heißt es unisono von den Regionalbörsen. Weniger erfreut ist man darüber, dass die Mifid es Banken erleichtert, Kundenorders intern gegeneinander zu verrechnen. Mit den Internalisierungsplattformen der Banken könnten neue Wettbewerber ins Spiel kommen.

Börsen für neue Produkte entstanden zuerst in der Region. Die erfolgreichste entwickelte Stuttgart. Die baden-württembergische Börse baute die Tochter Euwax zur marktführenden Plattform für Optionsscheine und Zertifikate auf. Die Deutsche Börse verschlief den Zertifikate-Boom und zog erst Jahre später mit ihrem Smart Trading genannten Projekt nach. Hannover hat eine Warenterminbörse und eine Plattform zum Handel von Krediten aufgebaut. Hamburg, Berlin und Düsseldorf führten auch vor Frankfurt den Fondshandel ein. Anleger sparen hier den beim Fondskauf über eine Bank üblicherweise fälligen Ausgabeaufschlag von bis zu fünf Prozent des Anteilswerts. Stattdessen zahlen sie die üblichen Wertpapierhandelsgebühren – und wiederum den Spread zwischen Ausgabe- und Rücknahmepreis des Fonds. Das muss nicht immer billiger sein, ist auf jeden Fall aber schneller. Wer Fonds bei seiner Bank oder Fondsgesellschaft verkauft, bekommt in der Regel nur den Kurs vom Folgetag und kann auch nicht sofort über sein Geld verfügen. Weil die Deutsche Börse es nach dem unrühmlichen Ende des Neuen Markts lange nicht wagte, eine Börse für junge Unternehmen zu gründen, preschten die Regionen vor: Stuttgart gründete das Mittelstandssegment Gate-M, Hamburg seinen Start-up-Markt, und München startete ein M:access getauftes neues Börsensegment – alle noch, bevor Frankfurt Ende 2005 den Entry Standard gründete. Seitdem saugt Frankfurt die meisten kleineren Börsengänge ab, die regionalen Mittelstandssegmente haben kaum eine Chance mehr. Ein Problem, das die Börsen schon kennen: „Für die Frankfurter ist das richtig gut. Sie haben ein Experimentierfeld für neue Ideen in den Regionen“, sagt Berlins Börsenchef Walter. Wenn dort ein Projekt danebengeht, kostet das Frankfurt nichts. Läuft eine neue Idee in der Region gut, können sie diese abgreifen und dann den Markt aufrollen. Nachdem Fusionspläne mit der Londoner Börse und mit der Euronext gescheitert sind, wird Frankfurts Francioni sich wieder stärker auf den Heimatmarkt und die lange vernachlässigten Privatanleger konzentrieren. Ein erstes Signal dafür ist die Zertifikatebörse Alex, die er mit der Schweizer Börse gründete. „Der Kampf um den Derivatehandel hat gerade erst begonnen“, schwant es Stuttgarts Börsenvorstand Munz, gegen dessen erfolgreiche Euwax sich Alex in erster Linie richtet. Von einem machtvollen „Hier kommt Alex“ kann dabei aber noch keine Rede sein. Die Frankfurter übersahen, dass der Internetbroker der niederländischen Rabobank ebenfalls Alex heißt. Jetzt müssen sie einen neuen Namen für ihr Baby suchen.

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