Guten Putsch!

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Wer sich den Jahreswechsel mit dem Besuch von Parteiwebseiten versüßt, muß feststellen: Deutschlands Politik dreht sich zur Zeit am liebsten um sich selbst. CDU Generalsekretär Ronald Pofalla präsentiert auf www.cdu.de ein rundweg ödes "10 Punkte Papier für Deutschland", daß sich liest, als seien die Landtagswahlen in 2008 und die Lohnforderungen auf www.spd.de die einzigen Ereignisse von Rang. Daneben ist in der Koalition kein Interesse an außenpolitischen Themen zu entdecken. Dabei gäbe es die in Hülle und Fülle.

Zunächst Europa. Hier stehen wichtige Aufgaben an. Der Vertrag von Lissabon muß zum Leben erweckt werden. Es gibt an vielen Stellen, zum Beispiel beim Subsidiaritätsprinzip, Interpretationsspielräume, die die Kommission zu nutzen weiss wenn es die Staaten und Parlamente nicht tun. In einigen europäischen Ländern ist die Tendenz zur Desintegration ungebrochen. Vor allem Belgien befindet sich in brüchiger Verfassung. Belgische Intellektuelle, die eine denkbare Teilung des Landes gelassen sehen, berufen sich darauf, daß ohnehin immer mehr auf EU Ebene geregelt werde. Freihandel, eine gemeinsame Aussenpolitik und eine gemeinsame Währung verringerten die Kosten der Desintegration. Das mag aus Sicht eines einzelnen Landes stimmen. Aber es kann nur gut gehen, wenn sich auf EU-Ebene die großen Länder der gemeinsamen Aufgaben bewußt sind und sich ihnen gewachsen zeigen. In Deutschland bewegt man sich aber von diesem Ziel weg. So notwendig die Debatte Mindestlohn versus Kombilohn ist - so kleinkariert ist sie wenn sie sich zum Alleinthema der nächsten zwei Jahre entwickelt. Die einzigen Themen, die zur Zeit an Außenpolitik erinnern, sind Roland Kochs Schreckgespenster der ausländischen Staatsfonds und der Ausländerkriminalitä t. Die deutsche Politik glänzt mit Selbstbezogenheit und spielt mit dem Gedanken an Protektionismus, der auch in der albernen Idee des Deutschlandfonds zum Ausdruck kommt.  Die Lage im nahen und mittleren Osten ist sicherheitspolitisch und wirtschaftspolitisch von besonderer Bedeutung. Die deutschen Soldaten in Afghanistan haben eine Perspektive verdient - ebenso wie das Land selbst. Wenn die westliche Koalition dort nicht glaubt, ihre Ziele erreichen zu können, muß sie ihren Einsatz aufstocken - oder ehrlich zugeben, daß es so nichts werden kann. Dann aber haben die Soldaten einen baldigen Abzug verdient.  Der Atomkonflikt mit dem Iran ist noch nicht ausgestanden, und die Lage in Pakistan wird zum Problem. Wie sollte der Westen mit der Atommacht Pakistan im Fall eines Bürgerkrieges umgehen? Eine Frage, auf die wir uns Antworten des Aussenminis ters wünschen würden. Der äußert sich jedoch lieber zur deutschen Tarifpolitik, die ihn nun wirklich nichts angeht - offenbar um Punkte gegen Kurt Beck beim Gerangel um die Kandidatur 2009 zu sammeln. Der punktet virtuos zurück - als Gast bei einem nationalen Fernsehereignis ersten Ranges: dem 70en Geburtstag von Dieter Thomas Heck ("Danke Dieter"  - eine Sendung, die einen eigenen Artikel verdient hat).  Fazit: Die Welt endet nicht bei Hansi Hinterseer in Tirol (und auch nicht bei Florian Silbereisen, wenn man auch manchmal den Eindruck haben mag, daß es so sei). Der deutsche Egotrip kann zum Problem für Europa werden. Höchte Zeit also, daß die Aussenpolitiker und Journalisten ihm ein Ende bereiten.

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