Konjunktur in Großbritannien Briten rutschen in die Rezession

Hohe Arbeitslosigkeit, sinkende Aktienkurse und ein Haushalt, der von roten Zahlen nur so strotzt: Großbritannien steht am Rande einer schweren Wirtschaftskrise. Die Regierung hat wenig Spielraum für Gegenmaßnahmen.

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Premierminister Gordon Brown will sein Land vor einer Krise bewahren. Doch sein Spielraum ist begrenzt. Quelle: Reuters

LONDON. Großbritannien steht kurz vor seiner ersten Rezession seit 16 Jahren und muss nach neuen Wirtschaftsberichten mit stark ansteigender Arbeitslosigkeit rechnen. Gleichzeitig gerät der Haushalt immer tiefer in die roten Zahlen. Die EU hat am Dienstag offiziell ihr Strafverfahren gegen die zu hohe britische Neuverschuldung eröffnet. Der jüngste Quartalsbericht der Britischen Handelskammer alarmierte Politik und Finanzmärkte gleichermaßen und führte die Londoner Börse offiziell in den Bärenmarkt - ein Rückgang von 20 Prozent gegenüber dem Hoch des vergangenen Jahres.

"Wenn die gegenwärtigen Trends anhalten, sind britische Unternehmen nur ein Quartal von einer Rezession entfernt", fasste es der Chef der British Chamber of Commerce (BCC), David Frost, zusammen. Der Bericht bezieht sich auf eine Umfrage unter 5 000 Unternehmen. Sogar Unternehmer, die bisher zuversichtlich waren, hätten in den letzten drei Wochen das Vertrauen verloren, so Frost. Der Vertrauensindex liegt so tief wie seit 1992 nicht mehr, als Großbritannien seine letzte Rezession durchmachte.

BCC-Ökonom David Kern sprach von einer "grimmigen" Perspektive, "die Korrekturperiode wird länger dauern und dürfte hässlicher werden als bisher angenommen". Er rechnet mit einem Abbau von 300 000 Arbeitsplätzen zum bis Jahresende. Laut der Wirtschaftsprüfgesellschaft KPMG ist die Zahl der offenen Stellen im Vereinigten Königreich im Juni zum ersten Mal seit fünf Jahren gesunken. Wegen der anwachsenden Zahl fertiggestellter und unverkaufter Neubauwohnungen haben vor allem Wohnungsbaugesellschaften mit dem Stellenabbau begonnen.

2007 waren die Briten mit einem Wachstum von 3,1 Prozent noch Wachstumsmeister in der OECD. Nun sind herstellende Industrie- und Dienstleistungsbranchen gleichermaßen von dem unerwartet scharfen Abschwung betroffen. Nach Angaben des Nationalen Statistikamtes ging die Industrieproduktion im Mai trotz des schwachen Pfundes um 0,5 Prozent zurück - fünfmal schneller als vorhergesagt. "Offenbar stärkt das schwache Pfund den Industriesektor nicht, was die Schwäche der Auslandsnachfrage bei einer globalen Schwächung reflektiert", sagte Hetal Mehta von der Ernst & Young Item Business Group.

Zum erstenmal seit 16 Jahren sinken die Hauspreise und liegen sogar in London 7,5 Prozent unter dem Vorjahresstand. Zusammen mit der Teuerung der Lebenshaltungskosten hat dies das Vertrauen britischer Konsumenten untergraben. Die Produktion von Gebrauchsgütern liegt 2,5 Prozent unter dem Vorjahresstand. Der Dienstleistungsbereich, der drei Viertel der britischen Wirtschaft ausmacht, ist auf einem Stand, wie seit der Rezession Anfang der Neunziger Jahre nicht mehr.

Premierminister Gordon Brown versicherte am Rande des G8-Gipfels erneut, Großbritannien seit "gut positioniert" und er der richtige Mann, das Land durch die Krise zu führen. Doch für geld- oder fiskalpolitische Gegenmaßnahmen bleibt der Regierung wenig Spielraum.

Expertenumfragen zufolge wird die Bank von England die Zinsen bei ihrer Sitzung am Donnerstag trotz der verschlechterten Aussichten unverändert lassen. Notenbank-Chef Mervyn King bezeichnete bei einer Unterhausanhörung die Bekämpfung der Inflation als Priorität. Die aktuelle Teuerungsrate liegt bei 3,3 Prozent, dürfte bis Jahresende aber auf über 4,0 Prozent ansteigen. Und die Inflationserwartung der Briten liegt mit 4,6 Prozent auf einem Höchststand.

Haushaltspolitisch hat die Labour-Regierung noch weniger Spielraum. Schatzkanzler Alistair Darling muss drastisch sparen oder die Steuern erhöhen, wenn er den Haushalt in den Griff bekommen will. Die EU-Finanzminister haben den Briten bis März 2010 Zeit gegeben, ihr aktuelles 3,3 Prozent Defizit wieder unter die vorgeschriebene 3,0 Prozent Grenze zu drücken. Sanktionen drohen Großbritannien aber nicht, da das Land nicht zur Euro-Zone gehört.

Doch nach einem Bericht des Finanz- Think Tanks "National Institute of Economic and Social Research" (NIESR) wird die Haushaltslücke im kommenden Jahr über bereits geplante Sparmaßnahmen um 7,5 Mrd. Pfund anwachsen, weil die Steuereinnahmen drastisch zurückgehen - vor allem aus Wohnungsverkäufen. Der Fehlbetrag entspricht einer zweiprozentigen Steuererhöhung - genau das, was Premier Brown vor über einem Jahr in seinem scharf kritisierten letzten Haushalt als Steuersenkung gewährte.

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