Leadership-Professorin Heike Bruch im Interview "Tötet den Drachen"

Leadership-Professorin Heike Bruch über Personalführung in Startups, Visionen und wie sich junge Unternehmen einen Immunschutz für Krisenzeiten zulegen.

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Heike Buch, 41, leitet das Institut für Führung und Personalmanagement an der Universität St. Gallen

WirtschaftsWoche: Frau Bruch, für Startups wird das Geschäft in den nächsten Monaten schwerer. Sie kommen kaum noch an frisches Geld, Kunden halten sich zurück – wieso sollten sich Gründer gerade jetzt mit Personalthemen beschäftigen? 

Bruch: Weil sie mit richtiger Personalführung die Wahrscheinlichkeit, zu scheitern, deutlich reduzieren. Das haben wir in mehreren Studien belegt. Zudem spüren viele Unternehmen die schwierige Lage auf dem Fachkräftemarkt. Sie müssen sich darüber klar werden, wie sie das Potenzial der vorhandenen Mitarbeiter besser nutzen.

Wie geht das? 

Die Unternehmen müssen ein hohes Maß an Organisationaler Energie aktivieren – das wirkt wie ein Immunschutz für schwere Zeiten.

Das müssen Sie erklären.

Das Maß an Organisationaler Energie, wie wir es nennen, ist eng verbunden mit der Leistung der Mitarbeiter, aber auch mit Innovationskraft und Wachstum und weichen Faktoren, wie Qualität und Kundenzufriedenheit. Das kann man durch Befragungen der Mitarbeiter messen.

Ein Unternehmen mit einer starken Energie nutzt sein Potenzial also stärker als andere?

Genau. Wir messen die Energie von Unternehmen, indem wir uns ansehen, wie intensiv Mitarbeiter arbeiten. Ist die Energie hoch, also sind die Leute engagiert und begeistert? Oder befinden sie sich in einer Art Schlafzustand? Auf der anderen Seite unterscheiden wir in Positiv- und Negativenergie. Die Energie ist positiv, wenn alle an einem Strang ziehen. Negativ ist sie, wenn jeder gegen jeden kämpft.

Welchen Energiezustand haben Sie bei deutschen Startups gemessen? 

Junge Unternehmen erreichen meistens den Idealzustand hoher positiver Energie.

Dann ist doch alles in Ordnung.

Nur auf den ersten Blick. Sobald Startups etabliert sind, ergibt sich oft eine gefährliche Entwicklung: Dann entwickelt sich entweder ein Zustand angenehmer Trägheit, oder es wirken sogar negative Kräfte. Dann herrschen Eigennutz, Mikropolitik und destruktive Kräfte. All das führt zu einem Zustand resignativer Trägheit.

Wie kann das passieren? 

Hauptgrund für die resignative Trägheit ist die sogenannte Beschleunigungsfalle. Das Unternehmen tut zu viel gleichzeitig, leidet unter Ressourcenmangel und fährt dauerhaft an der Kapazitätsgrenze. Dies liegt häufig daran, dass die Strategie nicht klar ist. Viele Jungunternehmer haben so viele Themen auf dem Tisch, dass sie sich nach der Anfangseuphorie verzetteln und versuchen, alles gleichzeitig zu machen. Das hat verheerende Auswirkungen auf die Stimmung der Mitarbeiter.

Wie sorgen Führungskräfte für bessere Stimmung im Unternehmen? 

Der stärkste Treiber produktiver Energie ist professionelle Führung. Prinzipiell gibt es zwei Strategien für die Aktivierung von Energie: Zum einen können Führungskräfte ihre Mitarbeiter auf die Bewältigung einer Bedrohung einschwören. Zum anderen können sie versuchen, Mitarbeiter für eine faszinierende Vision zu begeistern. In jedem Fall müssen Führungskräfte lernen, die Mitarbeiter einzubeziehen. Sie müssen mit ihnen gemeinsam Ziele entwickeln und die Menschen so sehr begeistern, dass sie ihnen auch nach der Anfangseuphorie noch folgen. Mitarbeiter folgen ihrem Führungspersonal übrigens dann besonders gern, wenn sie sich kompetent fühlen, Handlungsspielräume wahrnehmen und merken, dass sie das Unternehmensergebnis beeinflussen können.

Wie entsteht dadurch Energie? 

Die entsteht, wenn Mitarbeiter begeistert sind, etwa von einer Idee. Dann sind sie bereit, an ihre Grenzen zu gehen und eigene Ideen einzubringen.

Welches Unternehmen macht das gut? 

Das Startup Serview, ein Spezialist für IT- Schulungen. Die rund 35 Mitarbeiter geben sich monatlich gegenseitig Feedback zu Themen wie Arbeitsqualität und Innovation, aber auch Erscheinungsbild oder Work-Life-Balance. Zudem hat jeder Mitarbeiter die Aufgabe, alle paar Wochen eine Innovationsidee vorzuschlagen, die von allen diskutiert wird. Und einmal im Jahr trifft sich die Belegschaft und gibt sich eine gemeinsam entwickelte Vision.

Was zeichnet eine gute Vision aus? 

Sie muss ein plastisches Bild der Zukunft zeichnen, und sie sollte sehr anspruchsvoll sein. Subjektiv muss die Vision aber noch erreichbar sein. Gründer müssen außerdem darauf achten, dass sie nicht die einzige Führungskraft sind, die Mitarbeiter begeistert.

Aber am Ende muss einer sagen, wo es langgeht. Sonst gibt es Chaos.

Je größer die Firma wird, desto stärker müssen Sie Einheiten schaffen, die ihre Beiträge zur Vision teilweise selbst definieren. Wenn die nur ausführen, was von oben gesagt wird, sind sie nicht mehr schnell und innovativ.

Aber welche Kollegen macht man stark? 

Führungskräfte sollten diejenigen werden, die dem Unternehmen gegenüber absolut loyal sind.

Aber einen Führungskreis aus opportunen Ja-sagern kann niemand wollen.

Bitte nicht missverstehen: Bei produktiver Energie entsteht keine Kultur von Jasagern. Im Gegenteil: Jeder kann konstruktive Kritik äußern und wird gehört. Loyalität heißt nur, dass einer im Sinne des Unternehmens handelt und die Werte lebt. Das kann Sparsamkeit sein, Innovation, technische Expertise. Unsere Forschung zeigt, dass gerade diejenigen Unternehmen, die dauerhaft Höchstleistung bringen, eine Kritik-Kultur etabliert haben, die Innovation und Lernen erst ermöglicht.

Viele Startups stehen derzeit vor einer Krise. Wie sollten Gründer reagieren? 

Wenn man es richtig macht, sind gerade Krisen eine besondere Chance, um Mitarbeiter zu mobilisieren, etwa mit der Strategie: „Tötet den Drachen.“ Beziehen Sie die Mitarbeiter ein in die Bewältigung der Bedrohung, töten Sie einen Drachen gemeinsam.

Zum Beispiel? 

Der Werkzeughersteller Hilti versetzt sich immer wieder in seinen stärksten Konkurrenten und entwickelt mit seinen Mitarbeitern gemeinsam Strategien für ihn. So wird die Mannschaft besonders kreativ, sieht eigene Schwachstellen und findet neue Ideen. Entscheidend in Krisenzeiten ist aber auch, dass Sie die Bedrohung vor den Mitarbeitern klar definieren. Solange die Bedrohung diffus bleibt, führt sie zu resignativer Energie. Zudem müssen Sie die Bedrohung so kommunizieren, dass alle Mitarbeiter das Problem und die Folgen verstehen. Häufig spüren die Mitarbeiter ohnehin, dass ein Problem heraufzieht. Sie werden misstrauisch, wenn sie nur wenige, oberflächliche oder beschönigte Informationen erhalten. Schließlich müssen Sie das Vertrauen stärken, dass man die Krise gemeinsam überwinden kann. All das wird von vielen unterschätzt.

Wie erklären Sie sich das?

Mit Strategie-, Struktur- und Finanzfragen gehen die meisten Gründer und etablierten Unternehmer professionell um. Die weichen Faktoren dagegen liegen oft brach. Dabei gehören sie zu den wichtigsten Themen in Unternehmen. Gerade Startups unterschätzen das und versuchen, das Thema nebenbei zu erledigen.

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