Milliarden-Verluste Finanzkrise: Die Spur des Monsters

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„Niemand hatte die Traute“

Sie ist der neue Superstar unter den Analysten. Um Meredith Whitney vom Investmenthaus Oppenheimer reißen sich die US-Wirtschaftsfernsehsender, seit sie bereits im vergangenen Herbst vor hohen Verlusten bei Finanzwerten warnte und für die Citigroup eine Dividendenkürzung vorhersagte. Die Finanzmärkte kollabierten, Citigroup verlor innerhalb weniger Minuten 15 Milliarden Dollar an Wert. „Niemand hatte die Traute, schwarz auf weiß zu drucken, was ich gedruckt habe“, sagt sie. Seither korrigierte sie ihre Gewinnschätzungen für die Banken mehr als 30- mal nach unten, und „das wird nicht die letzte Herabstufung für 2008 sein“, kündigte sie gerade an. Manch einer an der Wall Street ballt die Faust in der Tasche, wenn er sie sieht. Sie soll sogar Todesdrohungen bekommen haben. Doch fürchten muss sich die 38-Jährige nicht – sie ist mit einem Profi-Catcher verheiratet.

„Pfahl im Fleisch“

Gammesfeld ist ein kleines Dorf in der Nähe von Rothenburg ob der Tauber. Ein paar Handwerksbetriebe, einen Edeka-Markt und eine der kleinsten Volksbanken Deutschlands gibt es hier. Bis zum Sommer ist hier Fritz Vogt von dienstags bis samstags zum Dienst erschienen – als Bankchef und Putzfrau in einer Person. Bei ihm gibt es weder Geldautomaten noch einen Computer. Doch der 78-Jährige ist nicht nur berühmt, weil er sich gegen eine Zwangsfusion seiner Bank mit einem anderen Institut wehrte. Er ist auch so etwas wie die moralische Instanz der Branche.

In seiner Bank gibt es ausschließlich Kredite, Girokonten und Sparbücher. Die Kunden führen hier weder Depots noch handelt die Bank selbst mit Aktien. Das hat Vorteile: Die Finanzkrise tobt in der ganzen Welt — und an Gammesfeld zieht sie vorbei. Während er früher belächelt wurde, wäre mancher Bankchef jetzt wohl froh in seiner Haut zu stecken.

„Die Probleme an den Finanzmärkten verwundern mich nicht“, sagt Vogt. „Es ist das Ergebnis der Profitgier und des Raubtierkapitalismus der Banken.“ Was ihn allerdings noch mehr ärgert, als die riskanten Machenschaften der Kreditinstitute, ist das Versagen der Aufsichtsbehörden. „Uns Kleinen machen sie das Leben schwer, und die Großen gehen ihnen durchs Netz.“

Er weiß, wovon er spricht: Bei der jüngsten Prüfung seiner Bank habe die BaFin bemängelt, dass er drei Jahre alte Kreditanträge verwende und von seinen Kreditnehmern, darunter ausschließlich kleine Mittelständler und Landwirte aus dem Dorf, nicht vierteljährlich eine Bilanz anfordere. „Deswegen wurde mir mit Amtsenthebung gedroht“, schimpft er. Die Großen dagegen könnten offenbar machen, was sie wollen: „Das ist doch Willkür-Demokratie.“

Vor einigen Wochen ging er in den wohlverdienten Ruhestand. Seine Bank wird es weiterhin geben. Mit Peter Breiter, einem gebürtigen Gammesfelder, hat er jemanden gefunden, der seine Idee fortführen wird. „Wir werden als Pfahl im Fleisch von denen da oben erhalten bleiben.“

Finger weg

Jim Cramer ist der Guru der kleinen Investoren. Sie lieben es, wenn er in seiner schrillen Fernsehshow „Mad Money“ zur besten Sendezeit mit Stühlen um sich wirft, Lenin-Bilder von der Wand reißt und mit der Faust ein Keyboard bearbeitet, bei dem nach Tastendruck Kassen klingeln, Kinder jammern oder Geisterstimmen vor bestimmten Aktien warnen: „House of Pain!“ Bereits im Sommer vergangenen Jahres warnte er vor Finanzwerten: „Finger weg!“ Doch mit dem Zusammenbruch von Bear Stearns lädierte der Aktien-Guru seinen eigenen Ruf: Beim Internet-Portal YouTube gehört ein Video einer seiner Sendungen zu den meistgesehenen: „Seid nicht blöde“, schreit er darin, „Bear Stearns geht nicht pleite, verkauft die Aktie nicht“, beschwört der ehemalige Hedgefonds-Manager seine Anhänger. Jetzt kann er nur hoffen, dass nicht allzu viele auf ihn hörten.

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