Milliardenumsatz EU-Kartelljäger machen Kasse

Die Europäische Union hat im vergangenen Jahr über drei Milliarden Euro Strafgelder für Verstöße gegen das Kartellrecht eingenommen. Diese Summe ist nicht nur ein Rekordergebnis, sondern auch ein Zeichen für die dreisten Geschäftsmethoden vieler Konzerne. Auch deutsche Firmen sind dabei alles andere als zurückhaltend.

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Die EU-Kommission hat knapp eine Mrd. Euro Bußgeld allein gegen ein Fahrstuhlkartell verhängt. Quelle: dpa

HB BRÜSSEL. Sie sind Beamte, tragen graue Anzüge und verrichten ihren Dienst in unscheinbaren Brüsseler Amtsstuben. Aber die EU-Kartelljäger machen einen Milliardenumsatz, von dem manches Unternehmen träumen dürfte. Im zurückliegenden Jahr nahmen sie einen Rekordbetrag von 3,3 Milliarden Euro ein, das war fast doppelt soviel wie 2006, als 1,8 Milliarden Euro Strafgelder in der EU-Klasse klingelten.

Unter den Kartellsündern waren 2007 erste Adressen der Industrie. Siemens bekam knapp 419 Millionen Euro wegen Absprachen bei Schaltanlagen aufgebrummt, Thyssen-Krupp knapp 480 Millionen Euro wegen der Beteiligung an einem Kartell für Fahrstühle und Rolltreppen. Das mit fast 500 Jahren älteste deutsche Unternehmen, Prym in Stolberg, musste 40,5 Millionen Euro wegen illegaler Preisrunden bei Reißverschlüssen nach Brüssel überweisen.

"Die Manager wussten genau, dass das, was sie taten, verboten war" - so oder ähnlich kritisiert die resolute EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes (66) folgenschwere Fehlleistungen in Chefetagen. Die Niederländerin baute die üblicherweise im Stillen arbeitende Kartellabteilung ihres Hauses zu einer lukrativen Einnahmequelle für die EU aus. Kroes nennt die Vorzeigeeinheit unverhohlen ein Huhn, das goldene Eier legt.

Die Strafgelder liegen auch deshalb so hoch, weil sie für "Wiederholungstäter" nach oben geschraubt wurden. So bekam Thyssen-Krupp im Februar einen Aufschlag von 50 Prozent, weil das Unternehmen vor knapp zehn Jahren schon einmal wegen Absprachen im Edelstahlsektor Buße leisten musste. Auf der anderen Seite können "Kronzeugen", die ihre Verstöße als erste in Kroes' Eliteabteilung beichten, auf Schonung hoffen. Der Chemiegigant Bayer umschiffte so zu Monatsbeginn eine Strafe von 201 Millionen Euro wegen Preisabsprachen bei Chloropren-Kautschuk vollständig.

Das viele Geld aus den Firmenkassen weckt Begehrlichkeiten. Zu Jahresbeginn schlug Kroes, eine aus Rotterdam stammende Geschäftsfrau und frühere Verkehrsministerin, vor, mit den Straf-Euros zusätzliche Beamte anzuheuern. Mit mehr Personal könnten in ihrem Haus noch mehr Strafen verhängt werden, lautete ihre ebenso einfache wie einleuchtende Rechnung.

Die Initiative verhallte aber sang- und klanglos im Räderwerk der EU. In Brüssel haben die EU-Staaten ein großes Wort mitzureden. Bisher fließen die Bußgelder umgeschmälert in den EU-Haushalt und mindern so den Beitrag der Mitgliedstaaten. Die EU-Kommission darf also nicht über das Füllhorn von Frau Kroes verfügen.

Deutschland als größter Einzahler in Brüssel dürfte für das laufende Jahr dank der geschäftstüchtigen Kommissarin etwa 650 Millionen Euro an EU-Beiträgen einsparen, rechnen Spezialisten vor.

Bisher ist die Brüsseler Kartellpolitik trotz der riesigen Strafen eher eine Sache für Eingeweihte, also hochbezahlte Fachanwälte oder Unternehmensvertreter. Doch Kroes denkt weiter. Nach dem Vorbild ihrer luxemburgischen Kommissarskollegin Viviane Reding, die die Kosten für Handy-Auslandsgespräche drückte, will sie direkt etwas für den Verbraucher tun. Und da bietet sich die Energiebranche an. In Deutschland sind die Versorger Eon und RWE bereits wegen möglicher Preisabsprachen auf den Gasmärkten im Visier. Weitere Verfahren könnten folgen.

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