Musterknabe Slowenien übernimmt Amtsgeschäfte der EU

Als erstes der neuen Mitgliedsländer wird Slowenien an diesem Dienstag die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. Auf das Land zwischen Österreich und der Adria kommt in den nächsten sechs Monaten vor allem eine große Herausforderung zu: die Lösung der Kosovo-Frage.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

HB BRÜSSEL. Gut 15 Jahre nach seiner Loslösung von Jugoslawien übernimmt Slowenien am 1. Januar die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union. Eine steile Karriere für das Zwei-Millionen-Einwohner-Land, das schon seit seinem EU-Beitritt unter den osteuropäischen Staaten die Nase vorn hat: Slowenien hat das höchste Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf und führte vor einem Jahr als erster der neuen Mitgliedstaaten den Euro ein.

Auch im früheren Jugoslawien galt Slowenien als Musterknabe. Die kleine Alpenrepublik im Norden war schon damals deutlich wohlhabender als Kroatien, Serbien oder Bosnien-Herzegowina. Mit den Balkan-Völkern werden die Slowenen deshalb eher ungern in einen Topf geworfen: "Wir haben da gemischte Gefühle, ich denke, es entspricht nicht wirklich unserem Charakter", meint eine slowenische Diplomatin in Brüssel.

Doch mit der EU-Ratspräsidentschaft holt Slowenien sein jugoslawisches Erbe ein. Ljubljana wird sich während der sechsmonatigen Präsidentschaft vor allem mit den Problemen vor seiner Haustür befassen müssen - denn die sind gegenwärtig auch die größten Herausforderungen für die EU insgesamt. Es gilt, nach der allseits erwarteten Unabhängigkeitserklärung der serbischen Provinz Kosovo den Ausbruch von Chaos und Gewalt in der gesamten Region zu verhindern.

Da Slowenien selbst am 25. Juni 1995 seine Unabhängigkeit von Jugoslawien erklärte, ist die Regierung in Ljubljana in der Kosovo-Frage nicht ganz unparteiisch. Außenminister Dimitrij Rupel äußerte bei einem Besuch in Brüssel kurz vor Weihnachten jedenfalls Verständnis für die Unabhängigkeitsbestrebungen der albanischstämmigen Mehrheitsbevölkerung des Kosovos.

Bis der damalige jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic 1998 seine Repressalien gegen die Kosovo-Albaner begann, habe das Kosovo stets den Status einer autonomen Provinz genossen, sagte Rupel. Dies habe "zu 80 Prozent" dem Status einer jugoslawischen Teilrepublik entsprochen - dem Status also, den bis 1991 auch Slowenien innehatte.

Die Loslösung des Kosovos von Serbien betrachtet Rupel deshalb offenbar als logische Konsequenz aus dem Zerfall Jugoslawiens. "Es wird Zeit, dass die jugoslawische Krise endet, die 1991 mit einem Angriff auf Slowenien begann", sagte der slowenische Außenminister. Nur einen Tag nach der Proklamation der Unabhängigkeit durch das Parlament in Ljubljana war damals die Jugoslawische Volksarmee in Slowenien einmarschiert, anders als im benachbarten Kroatien dauerten die Gefechte aber nur wenige Tage an.

Rachegefühle gegen Serbien, das damals sowohl die jugoslawische Politik als auch die Armee dominierte, hegt Rupel aber nicht. Vielmehr forderte er in Brüssel, die Annäherung Serbiens an die EU zu beschleunigen: "Wir wollen, dass Serbien so schnell wie möglich das Stabilitäts- und Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet." Indirekt sprach sich der slowenische Außenminister sogar dafür aus, die von der EU an Serbien gestellten Bedingungen zu lockern. Bislang macht Brüssel die Unterzeichnung des Stabilisierungsabkommens, das einen ersten Schritt auf dem Weg zu einem EU-Beitritt darstellt, von einer Auslieferung des mutmaßlichen serbischen Kriegsverbrechers Ratko Mladic abhängig.

Auch wenn Rupel seine Äußerungen verklausulierte, wagte er sich mit diesem Vorschlag ziemlich weit vor - immerhin ist Mladic zusammen mit dem bosnischen Serbenführer Radovan Karadzic der berüchtigtste der vom Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag noch gesuchten Verdächtigen. Beide werden für das Massaker in der bosnischen Stadt Srebrenica verantwortlich gemacht. Doch an Selbstvertrauen scheint es der slowenischen Regierung nicht zu mangeln. "Ich glaube, wir haben uns sehr gut vorbereitet", sagte Rupel kürzlich in einem Interview der Nachrichtenagentur AP in Ljubljana.

Immerhin hat die scheidende portugiesische Ratspräsidentschaft bewiesen, dass kleine EU-Staaten durchaus ein ambitioniertes Programm schaffen können. Portugal drückte gerade in den letzten Wochen noch eine ganze Reihe wichtiger Entscheidungen durch, von der Finanzierung des Satelliten-Navigationssystems Galileo über die EU-Weinreform bis hin zur Einbindung des Luftverkehrs in den Emissionshandel.

Der Klimaschutz wird auch unter slowenischer EU-Ratspräsidentschaft ein wichtiges Thema bleiben. Anfang nächsten Jahres wird ein Vorschlag der EU-Kommission dazu erwartet, wie viel jeder einzelne Mitgliedstaat beim Ausbau erneuerbarer Energien leisten muss. Der Klimawandel werde "sicher den EU-Gipfel im März beschäftigen, vielleicht auch den im Juni", sagte Rupel. Im Bruch mit den EU-Traditionen wird die slowenische Ratspräsidentschaft übrigens keinen der beiden Gipfel im eigenen Land ausrichten. Dazu ist Slowenien dann doch zu klein: Es mangelt an geeigneten Konferenzorten.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%