Neuorientierung des Erdgasgeschäft Gazprom sitzt am längeren Hebel

Im Erdgasgeschäft stehen turbulente Zeiten an: Europas Verbraucher müssen sich auf höhere Importrechnungen einstellen, da die russische Staatsgesellschaft Gazprom, wichtigster Lieferant für Europa, das Angebot verteuert. Das Erdgasgeschäft steher vor einer Neuorientierung.

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DÜSSELDORF. Die internationalen Notierungen beim Energiepreisführer Öl sind kräftig nach oben geklettert. Gleichzeitig wollen die zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan höhere Preise für Erdgaslieferungen an Gazprom in Rechnung stellen; die Russen, die zentralasiatisches Gas überwiegend in Europa absetzen, sollen in Zukunft die international üblichen Preise bezahlen.

"Gazprom braucht für die Deckung des steigenden Absatzes nach Europa wesentlich höhere Aufwendungen - sowohl bei der Ressourcengewinnung als auch in der Transportinfrastruktur", sagt der Essener Energieprofessor Dieter Schmitt. Die Russen wollen sich zudem in der Wertschöpfungskette bis zum europäischen Endenergieverbraucher stärker engagieren. Gazprom sei allerdings daran interessiert, dominante Marktpositionen nicht zu gefährden. Das geplante Joint Venture mit der Düsseldorfer Eon AG beim Bau eines Erdgaskraftwerks in Lubmin bei Greifswald sei erst der Beginn weiterer Engagements mit europäischen Partnern. Schon heute kooperieren die Russen eng mit der BASF-Tochter Wintershall beim Vertrieb von Erdgas.

Gleichzeitig sind Gazprom, Eon, Wintershall und die niederländische Gasunie dabei, eine neue Gaspipeline durch die Ostsee zu errichten. Die 1 200 Kilometer lange Nord-Stream-Leitung ist jedoch mit wachsenden Problemen verbunden: Die ursprünglichen Kostenplanungen wurden mittlerweile von vier Mrd. Euro auf 7,4 bis über acht Mrd. Euro nach oben korrigiert. Die Europäische Investitionsbank (EIB) will in die Finanzierung erst einsteigen, wenn ein Förderantrag und eine politische Einigung aller 27 EU-Länder vorliegen. Zinsverbilligte Kredite der EIB sollten bis zur Hälfte der ursprünglich angepeilten Kosten bereitstellen. Bei den osteuropäischen EU-Mitgliedern, aber auch bei den skandinavischen EU-Staaten, stößt das Nord-Stream-Projekt allerdings auf erhebliche Widerstände.

Politiker aus dem Europäischen Parlament und Berater der EU-Kommission warnen schon vor einer Einkesselung durch Gazprom und vor dem Verlust energiepolitischer Souveränität. Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier beurteilt die Notwendigkeit eines engen Verhältnisses mit Moskau als "wesentlichen Teil einer modernen europäischen Ostpolitik". Noch stehe ein neues Partnerschaftsabkommen zwischen der EU und Russland allerdings auf der Kippe, sagt Schmitt.

Je mehr gegenseitige projektbezogene Kapitalverflechtungen zwischen deutschen und russischen Gasunternehmen blockiert würden, umso größer werde die Gefahr, dass Russland zum Vorreiter einer Gas-Opec werden könnte. Das meint Heino Elfert, Herausgeber des Hamburger Fachblatts Energie-Informationsdienst (EID). In Moskau hätten Absichten, ein Kartell zu bilden, schon seit Längerem großen Zulauf. Um Abhängigkeiten von Russland zu begrenzen, setzt die EU-Kommission auf eine stärkere Diversifizierung der Gasbezüge und den Ausbau von Gasspeicherkapazitäten in Europa. Neue Pipelines zwischen Nordafrika und Europa sind im Bau. Eine wesentliche Entspannung erwartet Brüssel auch durch die Installation der Nabucco-Pipeline, die zentralasiatisches und längerfristig auch iranisches Gas erschließen soll. Bislang sind sechs Partner - aus Deutschland die RWE AG - im Nabucco-Konsortium vertreten. Der Baubeginn der Pipeline ist für 2009 geplant; von 2012 an sollen die Gaslieferungen erfolgen. Die Gesamtkapazität wird mehr als 25 Mrd. Kubikmeter pro Jahr erreichen.

Um die Bezugsrisiken beim Erdgas zu begrenzen, setzt die Bundesregierung darauf, dass durch energiepolitische Vorkehrungen kein expansiver Gasverbrauchsanstieg hierzulande zustande kommt. In den nächsten zehn Jahren sind insbesondere kräftige Absatzverluste auf dem Wärmemarkt programmiert. Die Bundesregierung will den Gasverbrauch durch den Einsatz von regenerativen Energien bis 2020 um ein Viertel reduzieren. Die Gasversorger versuchen vor allem in der Stromerzeugung Absatzverluste zu kompensieren. Um Gaskraftwerke wirtschaftlich betreiben zu können, hält Schmitt die direkte Beteiligung von Gasproduzenten aus Russland oder auch Norwegen für nötig. Wenn diese als Miteigentümer eingebunden werden könnten, wären sie auch daran interessiert, ihre Stromanlagen jederzeit zu wettbewerbsfähigen Konditionen zu beliefern, so Schmitts Fazit.

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